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Das Sparpaket – eine Frechheit.

Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!

(Brecht)

Was da gestern von der Bundesregierung als „Sparpaket“ verkündet wurde, ist in Wahrheit eine Liste zur sukzessiven Abschaffung des Sozialstaats. Ich bin erschüttert, wie unverhohlen die schwarz-gelbe Regierung nun die Demontage des sozialen Teils der Marktwirtschaft vorantreibt und diese gleichsam beerdigt – der eiskalte, ungebremste Kapitalismus erstarkt.

Wir dürfen nicht vergessen, wohin ein Gutteil der Mittel, die jetzt dem Staat fehlen, hingeflossen sind: In Banken. Übrigens vorwiegend in Banken, bei denen die Finanzierung sozialer Projekte, Kreditvergabe an Handwerker und Mittelstand… keine Rolle im Geschäftsmodell spiet. Das Geld ist, da sind sich selbst tief zerstrittene Fachleute einig, verloren.

Die von den Reichen angezettelte Finanzkrise wird nun von den Armen bezahlt. Dies ist ein unumstößlicher Fakt. Wer das Gegenteil behauptet, lügt.

Betrachtet man das „Sparpaket“ genauer, so wird man feststellen: Gutverdiener bleiben ungeschoren, die großen Vermögen bleiben unangetastet. In unverhältnismäßig starkem Umfang werden die Armen in diesem Land, die Hartz IV-Empfänger, zur Kasse gebeten.

Ich schäme mich für diese Bundesregierung! Es ist ekelhaft!

Der Hochsommer beginnt, die Temperaturen kratzen an die 30-Grad-Marke. Da ist es natürlich leicht, Wohngeldempfängern (das sind nicht nur Hartz IV-Empfänger sondern auch Niedriglöhner) den Heizkostenzuschuss zu streichen. Es wird argumentiert, dass der in Zeiten hoher Energiepreise eingeführt wurde und heute nicht mehr nötig sei. Das ist erstens falsch, denn die Energiepreise sind nur unmerklich gesunken (und der Leistungsempfänger hat nichts davon, wenn er im Jahr etwa 400 Euro für Heizung aufzuwenden hatte und nun 395 Euro benötigt, die geringen Einsparmöglichkeiten stehen in keinem Verhältnis zur kompletten Streichung der Leistung). Und zweitens wird das Sparpaket nicht dazu beitragen können, Energiekosten zu senken, wird doch in Zukunft eine Brennelementesteuer erhoben. Nicht, dass ich dagegen wäre, aber wir können uns sicher sein, dass das Stromoligopol diese Steuerkosten an den Verbraucher durchreichen wird.

Den Beziehern von Alg-II wird das Elterngeld zudem gestrichen – komplett. Nun könnte man zwar argumentieren, dass es sich beim Elterngeld um eine Lohnersatzleistung handelt (Danke, Nadine) und diese keinen Lohn erhalten, das vermindert die Zumutungen für die Empfänger aber nicht, ist doch bekannt, dass die Hartz IV-Regelsätze nicht genügen, um selbst minimale Lebenshaltungskosten zu decken. Und zum Elterngeld, dass für arbeitende Eltern zwar nicht ersatzlos gestrichen aber dennoch gekürzt ist, muss ich noch sagen, dass Ministerin Köhler Schröder inzwischen wohl gar keine Autorität in der Koalition mehr hat. Sie haben ihr das Prestigeprojekt unter dem Arsch weggerissen…

Das wirklich Schlimme aber ist die Streichung der Rentenzuschüsse für Hartz-IV-Empfänger, denn das kann unweigerlich nur eines bedeuten: Altersarmut. Man muss also feststellen: Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Westerwelle manifestieren wissentlich Altersarmut. Und die Grundsicherung – auch im Alter – muss der Staat zahlen. Wider besseren Wissens reißen Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Westerwelle einen erheblichen Teil der Menschen in die Altersarmut, ohne dabei etwas zu sparen. Wer, bitte wer, hat die gewählt?

An dieser Stelle möchte ich mal auf ein Dokument der Bundesregierung linken, in dem aufgeschlüsselt wird, welche Effekte von welchen Sparmaßnahmen erwartet werden: Hier ist es.

Dieses Dokument lässt einige wesentliche Fragen offen und beantwortet manch andere. Zuerst einmal muss gefragt werden, warum für das Jahr 2011 noch ein zusätzlicher Steuerzuschuss zur GV miteingerechnet worden ist, für die Jahre 2012 bis 2014 aber nicht? Glaubt die Koalition denn ernsthaft daran, dass sich bei der Finanzierung des Gesundheitssystems ernsthaft etwas verbessert? Ich glaube es nicht. Warum? Heute zum Beispiel tauen erste Gerüchte auf, die DAK sei pleite. Und andererseits muss man festhalten, dass durch die „Neujustierung der Sozialgesetzte“ mit einer Einsparung von 30,3 Milliarden gerechnet wird, die „Beteiligung von Unternehmen“ sich aber nur auf geschätzte 19,2 Milliarden beläuft. Und der Hammer: Der durch die Banken „zu leistende“ Anteil aus dieser „Beteiligung der Unternehmen“ beträgt 6 Milliarden Euro. Das heißt im Klartext: Hartz-IV-Empfänger und Arbeiter auf dem Niedriglohnsektor werden um das fünffache stärker belastet, als die Banken und Finanzwirtschaft, die die Krise verschuldet haben! Es ist unglaublich frech, was die Regierung hier abgeliefert hat!

Nun könnte man sich weiter aufregen… Die Bahn wird ausgesaugt, die Verwaltung beschnitten,… Aber darum geht es mir nicht. Ich kritisiere das absolute Missverhältnis der Lastenverteilung. Die Armen (ja, Hartz IV bedeutet Armut) tragen die größten Lasten. Das darf nicht sein.

Ein sicheres Indiz, dass dieses „Sparpaket“ in höchstem Maß asozial ist, ist übrigens der Umstand, dass es der idiotische Zickenbart Professor Sinn gut findet. Und wem noch nicht schlecht ist und unbedingt das ganz große Kotzen kriegen will, der kann sich diesen Telepolis-Artikel, voll der Wahrheit zu Gemüte führen.

Und wer sich ins Koma brechen möchte, der nehme Notiz davon, dass der designierte Bundespräsident Christian Wulff das Sparpaket für „sozial ausgewogen“ hält.

Sollte ein Computer für Hartz IV-Empfänger zur Grundausstattung gehören?

Einer der Aufreger dieser Woche: Das Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen entschied, dass bei der Wohnungserstausstattung Hartz IV-Empfängern ausdrücklich kein Computer zusteht. Wobei, so ganz stimmt das nicht, denn bei der Klage vor dem Gericht ging es erst einmal um die Gewährung von Prozesskostenhilfe, der eigentliche Gegenstand wird erst noch verhandelt. Aber allein das Signal, dass das Landessozialgericht da setzte, ist verheerend.

Es gibt eigentlich nur ein Argument, bei der Erstausstattung einer Wohnung einen Computer zu verweigern: So ein Gerät kostet Geld. Weiterhin aber würde es nur Vorteile bringen, Hartz IV-Empfänger mit einem Rechner und Internetzugang auszustatten. Und zwar am besten jeden. Warum?

Ein Rechner nebst Internetanbindung und Drucker ermöglicht Hartz IV-Empfängern eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wie es mittlerweile für viele Menschen blich ist. Allein daher darf ihnen der Zugang zu diesem Kommunikationsmittel nicht verweigert werden. Es kann nicht angehen, dass die Politik einerseits über den „digital gap“ schwadroniert und andererseits deutsche Gerichte diesen zementieren. Hartz IV-Empfänger sind außerdem in der Regel gehalten, sich regelmäßig zu bewerben. Dazu braucht es aber einer zumindest halbwegs zeitgemäßen Ausstattung – die zuhause, regelmäßig und mit geringen Kosten betrieben werden kann. Eine Bewerbung fasse ich nicht mal so einfach im Internetcafé ab. Und auf den ollen Mühlen der Arbeitsagentur, die sowieso nur das agentureigene Jobangebot auf den Schirm bringen, schon gleich zweimal nicht. Der Hilfeempfänger muss in die Lage versetzt werden, sich im Netz aus unterschiedlichen Quellen Jobangebote ansehen zu können, Er muss weiterhin in die Lage versetzt werden, diese auch zu beobachten und gegebenenfalls schnell reagieren zu können. Auch muss es ihm ermöglicht werden, sich online zu bewerben, denn das ist immer öfter gefragt. Hierzu benötigt er natürlich auch eine EMailadresse.

Ich sehe es ebenso als notwendig an, dass der Hilfeempfänger sich mit dem Computer auseinandersetzt und sein Anwenderwissen auf einem aktuellen Stand hält, denn gute (und aktuelle) EDV-Kenntnisse sind in immer mehr Jobs eine wichtige Qualifikation. Dieses Wissen zu vertiefen gelingt aber kaum im Internetcafé an fremdem Gerät mit teilweise unsinnigen Limitationen.

Auch ermöglicht der eigene Computer, dass sich Hartz IV-Empfänger besser organisieren und in Selbsthilfeforen austauschen können. Womöglich haben Politiker und Richter genau hiervor Angst, nichts desto trotz ist dies eine Notwendigkeit und kann die Betroffenen in die Lage versetzen, besser mit iherer Armut umzugehen und sich mündig auch gegen ARGEN oder Unternehmen aus der Privatwirtschaft, die aus ihrer Situation Kapital zu schlagen suchen, zu emanzipieren.

Ein Computer nebst Internetanbindung muss also Bestandteil einer Wohnungserstausstattung sein. Heute genügt es nicht mehr, sich mittwochs und samstags eine Tageszeitung zu kaufen und nach passenden Stellenanzeigen zu durchforsten. Auch auf den Webseiten der Arbeitsageturen finden sich längst nicht alle Stellenangebote – Online-Jobbörsen finden sich bei den Städteportalen, in Recruiternetzwerke, auf Xing, bei den Kammern… Der Besucheines Internetcafés erzeugt Kosten, mitunter in einer Höhe, die sich die Betroffenen nicht leisten können.

Auch ist der Datenschutz in Internetcafés nicht immer gewährleistet. Dies darf auch Hartz IV-Empfängern nicht zugemutet werden.

Wenn die Politik ein ernsthaftes Interesse daran hat, dass Betroffene wieder in Lohn und Brot kommen und sich weiterbilden, so muss sie ihnen auch eine entsprechende Infrastruktur – aus praktischen Gründen im Privathaushalt – zur Verfügung stellen.

Wie aber soll das funktionieren?

Es muss zuerst einmal per Gesetz (geeignetenfalls per Verordnung) der Anspruch auf einen Computer pro Bedarfsgemeinschaft festgeschrieben werden. Ich selbst bin überzeugt, dass sich die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sich ein Gerät teilen können.

Weiterhin sollen den Hilfebedürftigen Angebote unterbreitet werden, die geeignet sind, sie in die Lage zu versetzen, souverän mit dem Computer, seiner Peripherie und dem Netz umzugehen.

Der Regelsatz muss um einen Betrag aufgestockt werden, der dem Hilfeempfänger einen angemessen Zugang zum Internet und anderen allgemeinüblichen Datendiensten ermöglicht. Dies ist nötig, da lebenspraktische Erfahrungen im Jahr 2010 abbilden, dass ein Computer heute mehr ein Kommunikationsinstrument, weniger eine „bessere elektronische Schreibmaschine“ darstellt. Diese Funktionalität ist sicherzustellen.

Zum Computer selbst ist eine für o.g. Zwecke dienliche Peripherie zu stellen. Auf der Seite der Eingabegeräte ist insbesondere eine Tastatur und Maus zu nennen, zu den Ausgabegeräten soll ein Bildschirm in ausreichender Größe und ein Lautsprecher (zur Wiedergabe von Systemtönen, Videoton…) sowie ein im Unterhalt kostengünstiger Drucker gehören. Um die Kommunikation sicherzustellen, hat das Gerät selbst über übliche Schnittstellen in ausreichendem Umfang zur Verfügung zu stellen (Ethernet-Anschluss, USB).

Es muss sich bei einem solchen Gerät natürlich nicht um einen High-End Gamer-PC handeln, aber der Rechner sollte immerhin performant genug sein, dass ein Betreiben vom Internetprogrammen und einem Office-Paket möglich ist. Heute sind solche Rechner übrigensnicht mehr teuer. Der Preisverfall gerade in diesen Geräteklassen ist enorm und daher ist eine entsprechende Ausstattung auch leistbar und den ARGEN zuzumuten.

Ein Wort zur Software: FreieSoftware ist heute in der Lage, oben genannte Bedarfe nicht nur zu decke n, sie ist von der Usability her auch so aufgebaut, dass der Hilfeempfänger mit ihr auch ähnliche Strukturen zu beherrschen erlernt, diesich in kommerziellen Produkten wiederfinden. Ein Rechner, der mit Linux, Open Office und Mozilla konfiguriert ist, erfüllt seine Zwecke. Ein günstiges „Netbook“ halte ich nur für bedingt geeignet, da hier zum einen der Bildschirm für ein dauerhaftes Arbeiten zu klein ist und sich solche Systeme kaum aufrüsten oder reparieren lassen.

Für das Jahr 2010 schlage ich daher folgende Mindestkonfiguration vor: Tower- oder Desktop-Gehäuse mit mindestens 2 GHz Taktgeschwindigkeit, 1 GB Arbeitsspeicher und 160 GB Festplattenkapazität CD/DVD-Brenner, 19/100 Mbps-Ethernetport, mindestens drei USB-Anschlüsse, ein 17Zoll-Flachbildschirm, kabelgebundene Tastatur und kabelgebundene optische Maus, einfache Aktivlautsprecher, 4 GB USB-Stick einfacher Tintenstrahldrucker.

Der Regelsatz ist um mindestens 25 Euro aufzustocken, damit der Hilfeempfänger mindestens einen entbündelten DSL-Anschluss bestellen kann, in Gebieten, in denen DSL nicht verfügbar ist, muss ein Zusatzbetrag gezahlt werden, um einen Zugang zum Internet via Moden herstellen zu können.

Jeder Hilfeempfänger soll an einem Computerkurs teilnehmen können. Das soll ihm helfe n, mit dem Gerät besser umzugehen zu lernen, Bewerbungen professionell abzufassen und die Kommunikationsmöglichkeiten im Internet kennen zu lernen. Gerade älteren Hilfeempfängern sind solche Kurse nahezulegen.

Solche Ansätze sollten von der Politik ernsthaft diskutiert werden. In den 1970er Jahren war der Fernseher vielleicht noch nicht Standard, aber in der Mehrheit der Haushalte war er vorhanden. Heute ist ein Fernseher Standard. Auch der Computer ist inzwischen Standard. Dem muss Rechnung getragen werden.

Verraten?

Herr Beck von den Grünen scheint das hier nicht verstanden zu haben. Er bejammert in seinem Blog recht ausführlich, dass durch die eine fehlende Stimme für eine rot-grüne Mehrheit die das Ding nicht aus dem Stand heimtragen konnten.

Rot-Grün. Der politische Wechsel war in NRW zum Greifen nah. Ein Sitz fehlte uns bei der Verkündung des vorläufigen amtlichen Endergebnisses. Das ist ärgerlich. Sind es doch letztlich die Stimmen für Linkspartei und Piratenpartei, die Rüttgers im schlimmsten Fall den Machterhalt sichern. (Volker Beck)

Nö, das stimmt einfach mal nicht. Der Politikwechsel ist möglich. Und er ist greifbarer denn je. Hätte rot-grün eine Mehrheit erreichen können, wäre zwar Rüttgers Geschichte, aber das alleine, lieber Herr Beck ist kein Politikwechsel. Mit der Linken an Bord wäre rot-grün zum Politikwechsel gezwungen. Sonst nicht.

Genau so gut hätte man sagen können:

Besserverdienede wählen überdurchschnittlich oft FDP und Grüne. Blöd, dass ein paar tausend Besserverdiener in NRW FDP gewählt haben. Die grünlackierte Besserverdiener-Partei hätte diese Stimmen nämlich gerne gehabt. (Michi)

Wenn irgend etwas Herrn Rüttgers an der Macht hält, dann sind das nicht die Stimmen für Piraten und Linke. Wenn SPD und Gründe die Linke vergrätzt, dann sind sie es, die Herrn Rüttgers an der Macht halten. Zum Glück gibts Tucher ist es noch nicht so weit. Also, Sozn, Grüne, anstrengen!

Und dabei hattet Ihr noch Glück. Die FDP, die sagte, sie reden nicht mit Leuten, die mit Linken reden, hat sich selbst ins Abseits manövriert. Wenn rot-grün mit denen koaliert hätte, würde die Glaubwürdigkeit beider Parteien weiter leiden. Es ist gut für SPD und die Grünen, nicht mit der FDP zu koalieren.

Doch falls es nicht klappt, und sind wir mal ehrlich, liebe PiratInnen und Linke: euch und euren Anhängern wäre eine rot-grüne Mehrheit doch auch lieber als eine große Koalition, Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung und BKA-Gesetz, oder? (Volker Beck)

Ich kann natürlich nur für mich sprechen. Unter Kanzler Schröder war rot-grün nämlich keine Offenbarung. Es war unter rot-grün, als dieser unnütze Otto-Katalog verabschiedet wurde. Und Hartz IV. Und was war mit dem Kosovo, Afghanistan? Ich selbst bin da wesentlich weniger optimistisch als Herr Beck.

Weiterhin muss eines mal gesagt werden: Ich halte es für unredlich, Piraten und Linke in einem Atemzug zu nennen. Die Piraten sind mehr Bürgerbewegung als Partei (vgl. hier), die Linke ist eine etablierte Partei, die nun auch im Westen Fuß fasst. Fünf-Parteiensystem. Realität. Auch wenn das Herrn Beck nicht in den Kram passt.

Beck schreibt weiter:

Trotzdem: Die verschenkten 119.581 Stimmen für die Piratenpartei und zusätzlichen 434.846 Stimmen für die Linke wollten, das unterstelle ich ihnen nun einfach, lieber Rot-Grün als Rüttgers oder große Koalition. Sie haben es aber mit ihrem Votum vermasselt.

Woher will Herr Beck denn das wissen? Wer sagt denn, dass die Piraten den Otto-Katalog schon verziehen haben? Und ob ein Linken-Wähler wirklich SPD/Grüne will? Allein dass wohl niemand, der Piraten oder Linke wählt, gerne Rüttgers behält, beweist noch lange nicht, dass der dann SPD/Grüne will. Naturalistischer Fehlschluss. Wen er nämlich SPD und Grüne gewollt hätte, hätte er SPD oder Grüne gewählt. So einfach ist das. Herr Beck, was sie da schreiben, meinen Sie doch hoffentlich nicht ernst!

Wenn schon, dann dürfen sich alle Wählerinnen und Wähler von Piraten und Linken doppelt freuen: Dann ist es ihnen nämlich durch ihr Votum gelungen, Leuten wie Volker Beck einen Denkzettel zu verpassen (auch wenn der noch nicht Wirkung zeigt – die Hoffnung stirbt zuletzt).

Piraten. Klarmachen zum kentern?

Wir haben also eine Piratenpartei. Eine Piratenpartei, die zwar mit schöner Regelmäßigkeit an der 5%-Hürde scheitert, aber auch eine Piratenpartei, die bei Erst- und „Jungwählern“ Achtungserfolge erzielt. Die Piraten stehen nicht allein auf weiter Flur – sie sind vielmehr in einen internationalen Bürgerbewegungskontext eingebunden. Und die Piraten haben Themen klar besetzt: Informationelle Selbstbestimmung, Urheberrecht und open access. Und zu diesen Themen genießen sie einen Expertenstatus. Andere, „etablierte“ Parteien versuchen, hier Anschluss zu finden, derzeit aber nur mit mäßigem Erfolg. Zu den Themen, die in der Internet-Enquetekommission behandelt werden, können viele Piraten mit einem Lächeln rufen „Ick ben allhier!“

Wir haben eine Piratenpartei, die sich trotz großem Bundesparteitag am Wochenende nicht den drängenden Fragen unserer Tage gestellt hat, eine Partei, die nicht über ihren thematisch recht eng definierten Tellerrand hinauszublicken scheint, eine Partei, die dies sogar verweigert.

Allerhand Anerkennung ernten Piraten gerade im Netz, via Twitter und Blogs präsentieren sie sich bestens und ihre Wahlkampfmaterialen zeugen von einem feinsinnigen Humor. Und es gibt eine kleine Gegenbewegung im Netz, die den Piraten nicht minder Anerkennung zollt und dennoch davon abrät, diese Partei zu wählen. Im Regelfall wird von den Kritikern der Piratenpartei nur ein Argument angebracht, das ist aber so stichhaltig und von elementarer Bedeutung, dass es zieht. Und die Piraten konnten es bislang nicht entkräften:

Abseits der von Piraten selbst genannten Themen hat diese Partei schlichtweg kein Profil.

Nach der Wirtschaftskrise kommt die Wirtschaftskrise. Nachdem mittels Milliardeneinsatz viele Großbanken zurück auf die wackeligen Füße gestellt wurden, gehen nun ganze Staaten bankrott. Auf das Rettungspaket der Banken folgt das Rettungspaket für einzelne EU-Staaten und die Schnürung eines Rettungspakets für den Euro antizipiert sich gerade. Was sagen Piraten dazu? Nichts. Sie schweigen.

In Afghanistan herrscht Krieg. Ein Krieg, der genau so sinnlos ist, wie jeder andere Krieg. Trotz umfangreicher „militärischer Maßnahmen“ wird das Land einfach nicht talibanfrei. Mit Demokratieaufbau ist auch nichts zu wollen. Zahllose Menschen haben ihr Leben in diesem Krieg verloren, auch deutsche Soldaten. Wie ist die Position der Piraten? Was sagen sie dazu? Nichts.

Was passiert, wenn die Wasserversorgung privatisiert wird, sehen wir in London. Was passiert, wenn kommunale Wohnungsunternehmen privatisiert werden, sehen wir in nahezu allen großen Städten Deutschlands, im Extrem sind die Folgen in Ostdeutschland erlebbar. Über die (Teil)Privatisierung vieler Stadtwerke will ich gar nicht sprechen, die Folgen sind bekannt. Wichtige Infrastrukturteile werden, sofern nicht von der Politik verhindert, in Zukunft längst nicht mehr allen Bürgern zur Verfügung stehen. Was sagen die Piraten dazu? Sie schweigen.

Warum aber schweigen sie? Eine Erklärung dafür versuchen sie selbst zu geben:

Wir wollen einen neuen Politikstil etablieren: Wir nehmen die Wähler als mündige Bürger ernst (schließlich begreifen wir uns selbst als Teil von ihnen). Da Politiker den Willen des Volkes vertreten sollten, erarbeiten wir unsere politischen Themen einfach gleich mit diesem gemeinsam. Wer findet, dass wir ein neues Themenfeld besetzen sollten, kann dieses mit Piraten und Nichtpiraten gemeinsam im Wiki erarbeiten. Positionen nicht einfach von der Parteispitze festlegen zu lassen, sondern mit den Bürgern zu erarbeiten, kostet allerdings Zeit.

Und weiter:

Unsere Forderungen reichen oft weit in andere Themengebiete hinein. Wir wollen die Grundlagen unserer Gesellschaft so gestalten, dass diese sich zum Besseren wenden, indem wir an den Wurzeln und nicht nur an den Symptomen arbeiten. So haben wir zwar kein entwicklungspolitisches Programm – würden beispielsweise Gene nicht mehr patentiert, hätte dies aber existenzielle positive Auswirkungen für Kleinbauern in Entwicklungsländern. Der Begriff „Arbeitsplätze“ kommt in unserem Wahlprogramm zwar nicht wörtlich vor – unsere Forderung, Bildung kostenfrei und den Zugang zu Wissen, Informationen und Technologien offen zu halten, fördert aber die wirtschaftliche Entwicklung des Landes nachhaltiger als manches kurzfristige Konjunkturprogramm. (Quelle: Webseite der Piratenpartei)

Ein neuer Politikstil? Liebe Piraten, es ist schlechterdings nicht möglich, einen Politikstil zu etablieren, ohne vorher genau definiert zu haben, was mit „Politikstil“ gemeint sein soll. Worum geht es euch? Wollt ihr neue Kommunikationstechnologie mit in die Politik einbeziehen, so ist das noch lange kein „Politikstil“. Wenn ihr das Wort „Politikstil“ synonym mit „politische Kultur“ verwenden solltet, wirft sich die Frage auf, woran sich die neue politische Kultur anlehnen soll. An eine Gesellschaftskultur? An eine Staatskultur? Ok, ihr lasst in euren wenigen Texten spüren, dass es sich wohl um das Mittragen einer demokratischen Kultur handeln könnte, was ihr da veranstaltet, ob euch das die wenigen Frauen in euren Reihen aber seit dem Wochenende noch abkaufen, will ich fast bezweifeln. Was also ist der neue Politikstil?

Weiterhin: Ja, Politiker sollen den Willen des Volkes, der Bürger vertreten. Nur, liebe Piraten, ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass ein Politiker, eine Partei, eine Organisation den Willen des gesamten Volkes vertreten kann. Das können die Parteien im politischen Spektrum schon in Ihrer Gesamtheit nicht richtig leisten, wie will das dann eine einzelne Piratenpartei vollbringen? Um mit dem Dilemma der Willensvertretung des Volkes umzugehen, hat sich bei uns ein System etabliert, das grobgesagt wie folgt funktioniert: Eine konservative Partei versucht, den Willen des Teils der Bevölkerung zu vertreten, der konservativ ist. Eine sozialdemokratische Partei versucht dies für all jene, die sich sozialdemokratisch orierntieren usw. Weil es schwierig ist, zu bemessen, was sich nun hinter den Begriffen „konservativ“ oder „sozialdemokratisch“ o.a. verbirgt, versuchen die Parteien, Antworten auf wesentliche Fragen der Innen-, Außen-, Sozial-, Gesundheits-, Wirtschafts-, …politik zu geben und Positionen zu formulieren. Wer das nachlesen will, sicht nach Positionspapieren oder noch besser: Parteiprogrammen.

Ihr Piraten könnt, auch wenn ihr wollt, nicht den Willen der Bevölkerung abbilden. Es würde euch dabei zerreißen – schließlich müsstet ihr dann auch den Willen von Neonazis, Alt-KPlern, Kleintierzüchtern, Hausfrauen…, integrieren – auch den Willen von Leuten, die weder mit einem Computer umgehen können noch wollen. Das geht nicht. Das geht zuerst einmal generell nicht. Und bei der Piratenpartei geht es schon gleich zweimal nicht: Die absolute Mehrheit eurer Kandidaten (die Liste war ja auch etwas oberflächlich) ist beruflich in der IT-Branche oder fachverwandten oder fachnahen Branchen oder Studiengängen verwurzelt. Damit bildet ihr vom Erfahrenshorizont Eurer möglichen Amtsträger aber lediglich eine kleine Elite ab. Elite ist per se nichts schlechtes, versteht mich nicht falsch – aber wie will eine so kleine Elite den Willen des Volkes repräsentieren?

Ihr schreibt, dass in eurem Parteiprogramm der Begriff „Arbeitsplätze“ zwar nicht vorkomme, aber eure Einlassungen zum Thema Bildung wirkmächtiger wären als so manches Konjunkturpaket. Ihr schreibt zurecht „nachhaltiger“ und greift damit zu kurz. Wir haben jetzt eine wirklich umfassende Wirtschafts- und Finanzkrise. Die kostet jetzt Arbeitsplätze, sie stellt das Sozialsystem jetzt auf eine harte Probe. Ich wiederhole für die Landwirtschaft: JETZT! Natürlich bedarf es – gerade in wirtschaftspolitischen Fragen – einer sauberen Analyse und langfristig wirksamer Strategie. Natürlich ist ein kostenloser und umfänglicher Zugang zu Bildng nicht die schlechteste Strategie. Aber (abgesehen davon, dass ihr nicht verratet, wie ihr das finanzieren wollt) Politik ist nur dann handlungsfähig, wenn sie in der Lage ist, Feuerwehr zu spielen und auf Krisen zeitnah und adäquat zu reagieren. Ich bin beileibe kein Freund der derzeitigen Konjunkturprogramme – aber sie sind allemal besser als schieres Nichtstun! Nichts anderes als dieses „Nichtstun“ verbirgt sich aber hinter der Position, durch die Forderung nach kostenlosem Zugang zu Wissen darauf zu hoffen, dass sich dan nachhaltig auch wirtschaftlich das Blatt zum Guten wendet. Wer sich heute zur Wahl stellt, der muss heute handlungsfähig sein. Und erst dann unterhalten wir uns über Nachhaltigkeit.

Liebe Piraten, auch wenn es weh tut: Selbst die fundichtristliche PBC weiß auf mehr gesellschaftlich relevante Fragen eine Antwort als ihr. Die Antworten, die sie geben, sind nicht meine Antworten. Aber immerhin sind es Antworten. Nichts für ungut – aber ihr bleibt so viele Antworten schuldig, dass ich euch nicht wählen kann.

Manch Mitglied äußert halböffentlich und öffentlich sehr marktliberale Positionen. Sind die Piraten dann marktliberal? Ja, denn wenn es keine Parteiposition gibt, dann ist euer teils absurd konträr laufendes Stimmengewirr Parteiposition. Das kann nicht gutgehen.

Btw.: Auf weitere logische Fehler werdet Ihr in den Kommentaren zu o.g. Quelle zum Teil sehr trennscharf hingewiesen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ebendiesen wertvollen Hinweisen lässt sich nicht finden. Warum nicht?

Da ihr, liebe Piraten, wie so oft eine Antwort schuldig bleibt, unternehme ich den Versuch einer Antwort: Das was ihr „Partei“ nennt, ist eine Bürgerbewegung, die man versucht hat, Partei werden zu lassen. Aber es ist eine Bürgerbewegung. Jetzt kann man sagen, die Grünen waren auch eine Bürgerbewegung und wurden zur etablierten Partei – der größte Unterschied zwischen Grünen und Piraten ist aber, dass sich die Grünen seinerzeit mit der Anti-AKW-, der Umwelt- und der Friedensbewegung gleich drei Bürgerbewegungen öffneten, die sich in Reaktion auf wesentliche drängende gesellschaftliche Probleme bildeten. Die Piraten selbst sind, verglichen mit dem Spektrum dessen, was die Grünen Anfang der 1980er Jahre abzubilden vermochten, nur eine sehr kleine und wie oben schon erwähnt, recht elitäre Bürgerbewegung. Das reicht nicht zur ernsthaften Partei, auch wenn es sich „Partei“ nennt.

„Digitale Bürgerrechte“ sind wichtig und werden in Zukunft noch wichtiger – aber dies ist nur ein kleiner Ausschnitt der „großen Politik“. Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass sich hier Piraten wichtiger nehmen, als sie sind, da anzunehmen ist, dass sie sich überproportional häufig im Web austauschen und das Web mit dem Thema „digitale Bürgerrechte“ hervorragend korrespondiert; dieser Umstand ist dazu geeignet, den Blick für die Dimension des eigenen Anliegens zu verzerren. Das eigene Anliegen und die vorgeschlagenen Lösungsmodelle mutieren dann zur eierlegenden Wollmilchsau, mit der sich alle Probleme erschlagen lassen. Wolfram Meinig setzt diese womöglich verzerrte Wahrnehmung einiger Piraten in Bezug zu deren Wahlergebnis:

Mich erstaunt es schon etwas, mit wie viel Selbstsicherheit die meisten Piraten im Web auftreten. Aber wenn man sich richtige Wahlumfragen anschaut (also Umfragen die im „Real Life“ durchgeführt werden) dann kann man schnell erkennen das die Piraten deutlich unter der 5 % Hürde bleiben werden. Ich habe aber das Gefühl, dass dies bei den meisten Unterstützern der Piraten einfach noch nicht wirklich angekommen ist, wahrscheinlich gerade weil es sich nicht in der digitalen Welt (früher hätte man vielleicht auch Hyperspace sagt) abspielt und es zeigt wie eingeschränkt, wenn nicht weltfremd die Wahrnehmung der Piraten ist.

Danilo Vetter hat sich de Mühe gemacht, mal aufzuzählen, was die Piratenpartei alles nicht abdecken kann, trotz der Herzensnähe zu den Piraten. Weitere lesenswerte Betrachtungen findet man auch bei Alex Kempe (hier hat auch ein Herr Tauss in den Kommentaren ins Klo gegriffen) und Adrian Lang.

Was kann man den Piraten raten? „Partei“ zumachen, als Bürgerbewegung weiter aktiv sein, je nach politischer Gesinnung in echte Parteien eintreten und dort wirken…

Ob ich das ernst meine? Ja, denn worauf kommt es an? Dass politisch zugunsten digitaler Bürgerrechte entschieden wird, dass diese gestärkt werden. Nachdem die Piraten auf absehbare Zeit an der 5%-Hürde scheitern werden und sollten sie wider erwarten und alle Vernunft doch einmal ein Mandat erringen, dann kaum koalitionsfähig sind, ist ihre Expertise in einer nicht funktionierenden „Partei“ verloren. Sie könnten diese Expertise aber auch ganz freizügig in andere Parteien tragen. Dann wäre ihrem Anliegen gedient.

P.S.: Klasse! „F: ‚Wieviele Piraten braucht man um einen Turm zu bauen?‘ A: ‚1000. 998 labern nur unproduktiv rum und 2 stapeln die GO-Anträge.'“ (via twitter)

NRW-Wahl: Der Politikwechsel gelingt nur mit der Linken

Nach dem großen Freudentaumel am gestrigen Wahlabend in Nordrhein-Westfalen folgt nun das Zähneklappern. Die CDU ist „stärkste“ Partei – mit einem Vorsprung, der nur unter dem Mikroskop erkennbar ist (0,1 Prozent) und mit Stimmverlusten von über zehn Prozent. Die Westerwellen-Partei, die bei der Bundestagswahl einen seltsamen Höhenflug erlebte, ist wieder auf das Normalmaß zurückgestutzt worden, denn die Besserverdienenden wählen inzwischen Grün.

Hinzugewonnen hat die SPD mit ihrer etwas altbackenen Spitzenkandidatin Kraft zwar genau gar nichts, aber bei den Sozn feiert man, dass man nicht ins Bodenlose gestürzt ist – zu Recht. Doch, oh Schreck, oh Graus, einer fehlenden Stimme wegen will sich keine rot-grüne Regierungmehrheit einstellen.

Was ist nun in NRW möglich? Schwarz-Gelb zum Glück nicht. Schwarz grün geht auch nicht. Was bleibt?

Es bleibt zum einen die Möglichkeit, eine sog. „Große Koalition“ zu bilden – das hat dann mit Politikwechsel nichts mehr zu tun und ist, betrachtet man sowohl die Verluste bei der CDU sowie die der SPD die Koalition der Verlierer. Merkel will die Koalition der Verlierer – getrieben von der Angst, dass ihr in der Länderkamer die Felle davonschwimmen. Dass eine „Große Koalition“ keine Alternative sondern ein Schmarrn ist, wissen wir seit der Bundestagswahl 2005. Mit Politikwechsel, das muss der SPD klar sein, hat das nichts zu tun.

Und dann? Rot-Grün wäre mit der Linken möglich, entweder mit direkter Regierungsbeteiligung oder zumindest unter Tolerierung. Erst dann – und nur dann – könnte ein Politikwechsel eingeleitet werden. Doch hier stolpert die SPD mal wieder über ihre eigenen Füße, so wie sie es im Saarland, in Thüringen und einstmals in Hessen getan hat. Es wird immer deutlicher: Die SPD kann nicht mehr ohne die Linke.

Nur: Sozialdemokraten sind leider beratungsresistent. Und auch frei von Visionen. Sozialdemokraten geht es selten um Veränderung, wichtig ist ihnen eigentlich nur, an der Macht zu sein. Das wiederum eint sie mit den Grünen, die sich auch mit der CDU in die Kiste legen. Den Sozn undden Grünen geht es – das mussten wir seit 1998 erfahren – um nichts als Macht. Vernünftige Politik ist dabei selten herausgekommen. Deshalb ist besonders schön, dass die Linke gestern den Einzug in den Nordrhein-Westfälischen Landtag geschafft hat. Denn jetzt sind Schwarz, Rot und Grün gezwungen, die Hosen herunterzulassen. Sind sie feige, gibts die roße Koalition. Damit schaufelt sich die SPD aber ihr eigenes Grab – ist ihr der Absturz ins Bodenlose doch nur erspart worden, weil die Menschen zum einen Rüttgers und zum anderen die Schwarz-Gelb in Berlin leid sind.

Die Linke könnte das Korrektiv einer Rot-Grünen Koalition sein – wir wissen (auch wenn es viele nicht wahr habwen wollen), dass das bitter nötig ist.

Und dennoch: Wieder besseres Wissen werden nun die Weichen auf große Koalition – die Koalition der Verlierer – gestellt.

BR, brr, brrrr.

Quo vadis, ÖRR? Gestern Abend höre ich schnell noch „Das war der Tag“ auf D-Radio und dann war das auch der Tag: Verkündet wurde, dass einer von Merkels Schoßhunden, der CSU-Politiker und derzeitige Regierungssprecher Ulrich Wilhelm Intendant des Bayerischen Rundfunks wird.

Wilhelm, Sohn des langjährigen Landtagsabgeordneten Paul Wilhelm (CSU) weist die typische Karriere eines CSU-Journalisten auf: Begonnen hat er, wer erräts? Beim Bayerischen Fernsehen. Als Chefredakteur (Gut, vorher war er ein „Freier“ – aber das soll mal nicht stören). Dann kam er mit Stoiber in die Bayerische Staatskanzlei, hernach wurde er Pressesprecher des Ministerpräsidenten und der Bayerischen Staatsregierung und dann, 2004 wurde er Ministerialdirektor bei Goppel. Der Sprung nach Berlin gelang, weil Merkel ihn ein Jahr später holte, als Regierungssprecher und Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. Und gestern? Gestern wurde er vom Rundfunkrat zum neuen Intendanten gewählt.

Staatsferne? Dass ich nicht lache. Wer sich den gestrigen Artikel der taz durchliest, der sieht, aus welchem Holz der Herr Wilhelm geschnitzt ist. Beim Absägen Bredners hatte er die Finger im Spiel. Kurz von der Wahl in Sachsen wollte er Merkel klammheimlich und leise zum Exklusivinterview ins MDR-Fernsehen lancieren (was ihm zum Glück nicht gelungen ist). Nach der gescheiterten Mission habe er wohl auch heftig nachgetreten.

Da kann – schon vor der Wahl – auch der sonst eher nachdenklich gestimmte und stilsichere Bredner nicht mehr an sich halten:

Kurz vor der Wahl, wird die Kritik an der Kandidatur Wilhelms nun auch schärfer. Vor dem Bremer Presse-Club äußerte sich nun auch der geschasste ZDF-Chefredakteur Brender. Er finde es verwunderlich, dass sich die Empörung bislang „nur so gezügelt“ zeige. Er finde es hoch erstaunlich, dass Wilhelm „ohne Zwischending vom Regierungssessel auf den Intendantensessel wechseln“ könne, sagte Brender laut Radio Bremen. Durch diesen Fall bekämen erneut die Kritiker recht, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Staatsnähe attestierten. (Quelle: DWDL.de)

Und auch bei den Piraten sieht man die Wahl Wilhelms kritisch:

Damit erweitert sich erneut die Einflussnahme der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Im letzten Jahr hatte bereits die hessische CDU die Absetzung des ihr nicht genehmen ZDF-Chefredakteurs Brender durchgesetzt und dadurch für Irritationen gesorgt.

Im Blog Web-Quantensprung bringt man es unter der Überschrift „Merkelgate: Die Alte macht den Berlusconi“ auf den Punkt:

Damit ist eine weitere Medienstation eindeutig in den Händen der CDU. Das ist Merkelgate, mich packt die Wut.

Ich bin mal gespannt, wie er sich machen wird. Etliche sagen ja, dass es schlimmer als beim Gruber nicht werden kann. Wenn man sich aber mal ansieht, wie sich das „lächelnde Fallbeil“ (taz) in der Vergangenheit so gerierte, wäre ich mir da nicht mehr so sicher.

Stellenausschreibung.

Die Linke hat eine sehr interessante Stellenausschreibung veröffentlicht: Sie suchen eineN Referenten/In für die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Das wäre an und für sich nichts Besonderes, nur nimmt mich Wunder, dass gerade die Linke diesen Posten nicht intern besetzen kann oder will, ist sie doch die Partei, der ich netzpolitisch noch am ehesten zutraue, sinnvolle Inhalte in die Kommission einzubringen.

Was nun genau in dieser Kommission getan werden soll, erschließt sich mir immer noch nicht. Hey, wir haben 2010. Der „digital gap“ ist zwar vorhanden, verkleinert sich aber zusehends. Gegen Schäubles, Zensursulans und Censilias macht das Netz selbst Front. Und das zieht dann vors BVG. Und das kassiert dann die Analoggesetze, die die Welt retten verkaufen wollen. Wozu die Kommission?

Die Linke hat in einem Änderungsantrag übrigens hierauf eine Antwort gegeben (zumindest zum Teil), leider ist der nicht durchgegangen:

Nicht nur Wirtschaft und Umwelt erfahren durch das Internet und die allgegen- wärtige Digitalisierung nachhaltige Veränderungen, sondern auch die Arbeits- und Produktionsbedingungen selbst. Das Internet lässt neue Formen kreativer Arbeit entstehen, die sich oft außerhalb der traditionellen Branchen bewegen und bisher getrennte Arbeitsformen neu mischen und verbinden. Neue, teils kollaborative Arbeitsbedingungen lassen neue Inhalte und Geschäftsmodelle entstehen und verändern Produktion, Vermarktung, Distribution und Rezeption ebenso wie sie ganz neue Qualifikations- und Ausbildungsprofile erzeugen. Zu- gleich verändern sich mit der rasanten technischen Entwicklung durch die Digi- talisierung die konkreten Ausgestaltungen von Arbeitsverträgen, die finanzielle Absicherung bei Erwerbslosigkeit und im Krankheitsfall sowie das Maß an gesellschaftlicher Teilhabe und sozialer Integration schlechthin. Unter dem Stichwort „Prekarität“ ist eine zunehmende perspektivische Verschiebung in den gesellschaftlichen Problemlagen zu beobachten. Diese Unsicherheit wird von den Betroffenen in der Internetökonomie ganz unterschiedlich reflektiert. „Netz- sklaven“ und „Cyber-Prekariat“ nennen sich die einen, andere sehen sich als neue Informationseliten und „Digitale Bohème“. Das Themenfeld Arbeit und Arbeitsbedingungen 2.0 kann eine Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ nicht ausblenden.

Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere könnte unter anderem sein, dass Freiheitsrechte im Netz immer auch mit denen RL korrespondieren – hier sehe ich den eigentlichen Arbeitsauftrag. Dies inkludiert auch die Belange der „Web-Arbeiter“, denn Arbeitnehmerrechte sind meiner Meinung nach ebenso Freiheitsrechte.

Ach ja, wenn ihr Linken von digitaler Boheme sprecht, nehmt bloß nicht den Lobo!! Ach nee, geht ja nicht, dass ist ja ein Sozn.

Nichts desto trotz: Der Referent sollte sich in den Kreisen der Linken wohl finden lassen. Und vielleicht kann das auch jemand sein, der nicht nur den Themenkomplex „Arbeit“ fokussiert sondern diesen auch in ein „großes Ganzes“ einordnen kann. Zu wünschen wäre es. Die Kommission ist sowieso sehr spät dran. Mit Schäuble und Zensursula sind wir ja nicht erst dieser Tage geschlagen und deren Gesetzesauswürfe, die in schöner Regelmäßigkeit vom BVG kassiert wurden, sind auch kein Erscheinung des heutigen Tages.

Der SPIEGEL vs. Wikileaks

Es ist schon ein spannend Ding: Das Hamburger Magazin Spiegel entblödet sich, gegen Wikileaks zu bashen, wie dieser Tage bei Fefe zu lesen ist. Hintergrund ist, wie könnte es anders sein, das Video eines US-amerikanischen Apache-Kampfhubschraubers, das belegt, wie am 12. Juli 2007 zwei für Reuters tätige Journalisten getötet und zur Hilfe eilende Iraker getötet und zwei Kinder verletzt wurden. Das Video wurde in dem Helikopter aufgenommen, der geschossen hat. Es wurde auf Wikileaks – einer Plattform, bei der geheimgehaltene Dokumente anonym und unzensiert veröffentlicht werden können, publiziert.

Und nun wird das Video in einem Spiegel-TV-Betrag online gezeigt – darunter findet sich ein SPIEGEL-Artikel von einem Martin Müller, der die Quelle, Wikileaks basht, dass es schöner kaum geht: Herr Müller, dessen Arbeitgeber genau so von Wikileaks profitiert, wie andere Journalisten überall auf der Welt, ist, das ist dem Artikel deutlich abzuspüren, gar nicht begeister von Wikileaks.

Und so ist da zu lesen:

WikiLeaks definiert sich über die Radikalität, mit der es Regeln bricht: „In doubt we publish“, heißt die Maxime der Seite – im Zweifel veröffentlichen wir.Das heißt: im Zweifel auch gegen das Recht auf Privatsphäre, gegen Geheimhaltungsgesetze. Um auf WikiLeaks veröffentlicht zu werden, muss das brisante Dokument eine besondere Bedingung erfüllen: Jemand muss es irgendwann einmal als geheim klassifiziert haben.

Hier irrt Herr Müller. Es ist nicht das Anliegen von Wikileaks, irgendjemandes Privatsphäre zu verletzen sondern Dokumente von öffentlichem Interesse auch dann zu veröffentlichen, wenn sie geheim gehalten werden sollen. Diese Diskussion Privatsphäre versus öffentliches Interesse wird ja mindestens im Jahresrhythmus quasi immer dann geführt, wenn Paparazzi irgend was Unschönes bei Promis ablichten. Das ist, das sollte Herr Müller aber auch wissen, nicht der Teich in dem Wikileaks fischt. Promis beim Nacktbaden, um die Wette koksende Rockstars oder im Jogginganzug beim Supermarkt um die Ecke einkaufende Schauspielerinnen sucht man bei Wikileaks vergebens. Das ist das Metier der Regenbogenpresse und das wird es wohl auch bleiben.

Und weiter schreibt Müller:

Über sich selbst verraten die Aktivisten dagegen fast nichts. Wer sich alles hinter WikiLeaks verbirgt: geheim. Wie viele Server es gibt und wo sie stehen: geheim. Wer genau die eingereichten Unterlagen überprüft: geheim. Die Organisation gibt nur über sich preis, sie sei von „chinesischen Dissidenten, von Journalisten, Mathematikern und Technikern“ gegründet worden.

Das ist Sinn und Zweck des Ganzen und: Das ist die Gewähr dafür, dass die Sache funktioniert. Wenn ich als Zuträger mit einem Journalisten, gerne auch mit einem vom SPIEGEL, auf elektronischem Wege in Kontakt trete, hinterlasse ich Spuren. Ob der mich als Quelle wirklich schützt, kann ich nicht wissen. Entweder ich vertraue ihm – oder eben nicht. Und selbst wenn er mich schützt, kann er mich nicht vor den hinterlassenen Spuren schützen. Der deutsche Rechtsstaat geht in der Regel mit Journalisten recht ordentlich um. Das wissen auch die Quellen und das entspannt das Verhältnis von Journalist, Quelle und Publikation. In China, im Iran und selbst in den USA sieht die Situation aber ganz anders aus.

Bei Wikileaks kann man sich des Quellenschutzes relativ sicher sein. Weil niemand genau weiß, wo Wikileaks sitzt, seine Server und Mirrors aufgestellt hat und wer dort tätig ist, kann es auch keinen Zugriff von Geheimdiensten, Regierungen oder Zensurbehörden geben. Und dass das System funktioniert, hat Wikileaks ebenso unter Beweis gestellt. Deren Quellen wurden bislang nämlich nicht enttarnt.

Mit der Anonymität wolle man Beteiligte aus Ländern mit unsicherer Gesetzeslage schützen, lautet die offizielle Rechtfertigung für die Geheimniskrämerei.

Genau. Nur: Das ist keine Geheimniskrämerei sondern eine Strategie gegen Geheimniskrämerei. Gegen Geheimniskrämerei von korrupten Unternehmen, US-amerikanischen Militärs, die einen sinnlosen Krieg führen, den US-Geheimdienst, Scientology oder rechtsradikale Parteien.

Nichts desto trotz pfopfert Herr Müller. Und zwar zu Unrecht. Den Beweis für die Wichtigkeit von Wikileaks tritt er übrigens selbst an:

Auch will sie demnächst 37 000 E-Mails aus der internen Kommunikation der NPD komplett veröffentlichen. Der SPIEGEL zitierte daraus auszugsweise bereits 2008, ein Rechtsstreit folgte.

Genau so funktioniert die Sache: Der SPIEGEL kann von der NPD juristisch niedergefochten werden, Wikileaks nicht. Und dazu ist es ja auch da: Wenn ich etwas in meinem Land nicht ohne die realistische Angst vor Repression an Journalisten übergeben kann, bediene ich mich Wikileaks. Und Wikileaks funktioniert unter Anderem deshalb so gut, weil Journalisten auf die unzensierten Dokumente zugreifen können und: Zugreifen. Nur eben nicht exklusiv. Aber warum auch?

Der Leser, Hörer oder Zuschauer hat von Exklusivberichten nämlich nichts. Die nützen allein dem Medium, dass eine Information entweder am schnellsten hat oder vertraglich zur alleinigen Nutzung einer Quelle berechtigt ist.

Und hier hat nun der SPIEGEL ein echtes Problem: Bis vor wenigen Jahren konnte sich der SPIEGEL nämlich ganz gut von dieser Exklusivität ernähren. Wer Informationen „aus erster Hand“ wollte, war auf die Lektüre des SPIEGELs angewiesen, andere Medien konnten ihn lediglich zitieren. Und so war es das Hamburger Nachrichtenmagazin, dass zur Pflichtlektüre all jener wurden, die auf die vorhin erwähnte Exklusivität Wert legten.

SPIEGEL-Leser wissen mehr? Tempi passati. Nicht alleine, aber im Besonderen durch Wikileaks, ist das Exklusivitätsmonopol diverser Medienerzeugnisse im Fallen begriffen. Für die Versorgung der Öffentlichkeit mit Information ist das ein guter Trend. Denn je mehr Medien über ein bestimmtes Thema berichten umso schwerer wird es, diese zu zensieren oder die Bevölkerung von diesen Inhalten fernzuhalten. Ich sage das nicht allein im Hinblick auf Deutschland. Ich sage dass im Bewusstsein, dass es viele Staaten gint, die nicht über eine freie Presse verfügen.

Wen nimmt es angesichts dieser Umstände Wunder, dass Herr Müller schreibt:

Die im Qualitätsjournalismus angestrebte Objektivität gilt für WikiLeaks ebenso wenig wie der Schutz der Privatsphäre. Die Mitgliederlisten der britischen rechtsextremen Nationalpartei wurden mit vollen Namen und Adressen veröffentlicht.

Herr Müller, meinen Sie das ernst? Über den Schutz der Privatsphäre will ich nicht schon wieder sprechen – in meinen Augen darf man ruhig wissen, wer ein Nazi ist. Und das Ding mit dem Qualitätsjournalismus, lieber Herr Müller, ist Ihre Aufgabe und nicht die von Wikileaks! Mit Ihrem oben verlinkten Artikel machen sie dem Qualitätsjounalismus allerdings keine Ehre.

Warum, so könnte man nun fragen, schimpft Herr Müller mal zwischen den Zeilen, mal ganz unverdeckt, so gegen Wikileaks? Ganz einfach: Da geht mal wieder ein Geschäftsmodell über die Wupper, an denen auch Journalisten wie Herr Müller teilhaben. Denn er sieht sich, wie seine Kollegen auch, vor die Aufgabe gestellt, damit umzugehen, dass jeder sich ehemals geheime Informationen ziehen und journalistisch verarbeiten kann. Und der Beste, der Intelligenteste, der mit der flottesten Schreibe, der Schnellste, vielleicht auch der Plakativste oder Populistischste wird sich bei diesem Wettlauf profilieren.

Zwei Dinge sollte man im Blick haben: Die Medienkompetenz des Users, der früher einmal Konsument war. Da gibt es welche, die geistig nicht nicht über die Bildzeitung hinauskommen (die hätten aber den SPIEGEL wohl auch früher nicht gekauft, die, die mit dem SPIEGEL etwas anfangen können und die, die ein besseres Niveau brauchen. Und die, die vielleicht eine Fremdsprache gut beherrschen und nicht darauf angewiesen sind, sich allein auf dem deutschen Medienmarkt orientieren zu müssen. Die hätten früher vielleicht den SPIEGEL gekauft, heute müssen sie es nicht mehr – und wenn aus deren persönlicher Perspektive nichts für den SPIEGEL spricht, werden sie es nicht tun.

Weiterhin wichtig ist, dass sich auch der Medienmarkt globalisiert. Wikileaks ist eine Antwort darauf. Der SPIEGEL kann sich diesem Trend anschließen oder sich bewusst dagegen entscheiden. Dieses Problem hat Wikileaks aber weder erfunden, noch kann es das lösen. Das ist die Hausaufgabe vom SPIEGEL. Wikileaks-Bashing erledigt diese aber nicht.

Ich gehe sogar weiter und sage: Wikileaks ist für Journalisten eine Herausforderung und kann in meinen Augen den Qualitätsjournalismus befördern, denn jetzt kommt es darauf an, bei gleicher Quellenlage das Beste daraus zu machen. Hier kann ein Journalist dann bei transparenten Grundbedingungen mal so richtig zeigen, was er kann. Wikileaks ist ein Geschenk für Journalisten und ich bin überzeugt, auch für Sie, Herr Müller.

Der SPIEGEL erscheint am Montag. Bis dahin ist vieles, was die Woche über passiert ist, kalter Kaffee, der sich nur durch fundierte Hintergrundberichte so erwärmen lässt, dass er auch schmeckt. Wenn die passen, dann wird der SPIEGEL auch weiterhin gekauft. Wenn icht – nicht die Schuld von Wikileaks.

Und: Ich kann das Bashing vor dem Hintergrund, dass der SPIEGEL immer noch eine Auflage von einer guten Million Exemplare (sic!) hat, wirklich nicht verstehen.

Am Ende sollen noch zwei Dinge erwähnt sein: Jeder gute Journalist muss die Qualität seiner Quellen selbst prüfen. Das gilt auch für Wikileaks. Und wenn das aus Gründen, die Herr Müller „Geheimniskrämerei“ nennt, nicht erfolgen kann, ist es immer noch möglich, auf der Metaebene darauf hinzuweisen. Und auch diese Arbeit kann und will – so verstehe ich das – Wikileaks Herrn Müller nicht abnehmen. Und: Von wegen Geheimniskrämerei: Wer sich knappe zwei Stunden Zeitnehmen kann und will, kann sich ja mal das hier anhören. Ich finde das erstaunlich transparent.

Ein Leben ohne Google oder: Wie befreie ich mich aus den Fängen der Datenkrake?

Seit heute bin ich Google-frei – und es ist ein herrliches Gefühl. Nadine hat heute den Kleiderschrank ausgemistet und viel altes Zeug weggeschmissen und ich habe mich von Google getrennt, von der Suche (zumindest so halb), von Googlemail, von AdSense und AdWords, von meinem Youtubeaccount und auch von Orkut. Und es hat gut getan!

Warum aber habe ich das getan? Bevor ich also einige Alternativen zu den Google-Diensten nenne, will ich Euch sagen, warum ich Google ablehne und ich heute einen Schlussstrich gezogen habe. Das geht in Stichpunkten bzw. wenigen Sätzen:

  • die Google-Suchmaschine ist ein Quasi-Monopolist. Und als solcher hat sie die Macht, durch Ausblenden von Suchergebnissen missliebigen Seiten massiven Schaden zuzuführen. Das muss problematisiert werden. Klar werdet Ihr jetzt sagen, dass das nur eine theoretische Annahme ist, aber wer eine Webseite (z.B. die eines Konkurrenten) bei Google über eine infringement notification denunziert, darf sich gegebenenfalls gute Hoffnung machen, den Konkurrenten aus der Suche hinausgekegelt zu haben
  • Suchergebnisse von Google werden zensiert – nicht nur in China, sondern auch hier. Webinhalte, die Googleoder anderen Stellen nicht passen, fallen einer Ergebnisfilterung aus gesetzlichen Gründen zum Opfer. Der Scheiß an der Sache ist nur, dass Google noch nie erklärt hat, auf Basis welcher gesetzlichen Grundlage das geschehen soll und wer sie auf eventuelle Gesetzesverstöße hinweisen soll
  • Wer etwas bei Google sucht, der bekommt ein Cookie in den Browser gepflanzt und nicht selten speichert Google personenbezogen, wer was wann gesucht hat (Ein Beispiel: Auf meinem Rechner in Johannis hatte ich Googlemail offen und in einem weiteren Tab des Browsers habe ich bei Google was gesucht. Dann, zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Rechner, habe ich mir in meinem Google-Konto mal angesehen, was da so gespeichert wurde – ohne das ich das wollte: Alles!)Dasdas natürlich irgendwann mal für die eigenen Daten gefährlich werden kann, versteht sich von selbst.
  • Googlemail ist ein sehr guter und featurereicher Dienst – im Prinzip. Aber Google gibt selbst zu, dass alle Mails von Googlemail automatisch auf bestimmte Schlagwörter hin untersucht wurden (und wohl auch noch werden). Zwar heißt es, dass damit ermöglicht werden soll, kontextbezogene Werbung in Googlemail einzublenden, was aber Übles damit angestellt werden kann, möge sich jeder selbst ausmalen.
  • Ähnliche Beweggründe hinderten mich bislang auch immerdaran, Googles Kalender oder Adressbuch zu verwenden (aberwer zum Beispiel ein Android-Handy hat oder sein palm pre mit Google synct, der verrätdem Konzern auch diese Daten).
  • Adsense und Adwords funktionieren auf „obscurity“-Basis. Wer AdSense auf seiner Webseite einbindet, setzt seine Besucher wieder der Datensammelwut des Konzerns aus, denn auch hier wird mit Cookies gearbeitet und das Ding telefoniert nach Hause. Zudem kann Google jederzeit das AdSense-Konto unter dem Vorwand von Missbrauch sperren (beweist das aber nicht und scheint dabei auch gerne willkürlich vorzugehen: Ich habe noch nie gehört, dass ein leeres oder halbleeres AdSense-Konto gesperrt wird. Im Gegenteil, Google scheint hier bewusst Gelder, die die Besucher der Webseite für deren Betreiber verdient haben, den selbigen vorzuenthalten): Ähnlich intransparent ist AdWords: Derjenige, der die Anzeigen schaltet, hat keine Kontrolle darüber, ob er auch wirklich sein Zielpublikum erreicht
  • Richtig schlimm wird´s mit Google Analytics, einem Tool, dass Webseitenbetriebern und Google selbst eine Menge über dieBesucher verraten soll. Datenschützer indes gehen davon aus, dass Google Analytics in Deutschland illegal ist. Analytics ist abzulehnen und Webseitenbetreiber, die Analytics verwenden, sollten von ihren Nutzern angeschrieben werden mit der scharfen Aufforderung, dieses Fehlverhalten zu unterlassen! Google hat übrigens nicht nur bei der Websuche sondern auch bei Analytics die Marktführerchaft – ein Quasimonopol.
  • Ich halte es nicht nur für ungünstig – nein, ich halte es für gefährlich, meine Daten einem Konzern zu überlassen, der a) in den USA sitzt, b) diese Daten zentral speichert und siesomit c) in „einer Hand“ gehalten werden
  • Ich will nicht, dass Google mein Nutzerverhalten im Netz mitloggt. Auch wenn sie das in ihren AGBs irgendwo stehen haben, habe ich dem NIE aktiv zugestimmt!
  • Street View ist richtig dreckig: Zwar sollen Gesichter unkenntlich gemacht werden, aber zu 100 % klappt das nicht (und dann sollte man es lieber lassen). Zudem werden die Bilder ohne „Pornobalken“ in die USA übertragen und erst dort unkenntlich gemacht. Doch wer gewährleistet mir, dass Google nicht irgendwo eine Kopie dieser Bilder ohne Pornobalken lagert?
  • Google ist intransparent wie kaum ein anderer Konzern. Dieses Verhalten verachte ich. Transparenz schafft Vertrauen. Und da Google extrem intransparent ist, ist deren Image auch so ramponiert.
  • Über China wollen wir mal gar nicht sprechen. Fleißig mitzensiert haben sie, als sie dann fürchten mussten, gecracked zu werden, haben sie sich beleidigt verpisst. Dazu muss man nichts mehr sagen

Mit Google hatte ich selbst schon schlechte Erfahrungen und daher habe ich mich entschlossen, mit dieser Firma endgültig zu brechen – schließlich muss ich nicht deren Zeug verwenden und schließlich will ich ein freier Mensch bleiben. Aber auch ich muss mich ja um alternative Webdienste kümmern, um meine Arbeit getan zu bekommen. Der Witz daran ist, dass die Alternativen zu Google nicht selten sogar besser sind (aber auch nicht immer). Aber nun zu den Alternativen:

Google-Suche

Wer auf die Google-Suche mit ihren zugegebenermaßen guten Treffern nicht verzichten möchte, aber auch nicht von der Datenkrake ausspioniert werden will, der kann Scroogle nutzen (unter diesem Link gibts deutsche Suchergebnisse: https://ssl.scroogle.org/scrapde8.html). Hier werden die Treffer anonymisiert angezeigt und zudem SSL-verschlüsselt. Alternativ kann man auch die unter Gesichtspunkten des Datenschutz optimierte Metasuchmaschine IXquick verwenden.

You Tube

You Tube ist cool. Und in diesem Blog finden sich auch eingebettete Videos von Youtube. Wenn man diese ansieht, legt Google – klar – wieder ein Cookie zur Bespitzelung der User an. Daher: Wer You Tube nutzt, der muss danach seine Cookies löscen (und den Cache am besten gleich mit!). Videos würde ich aus Prinzip schon nicht bei Google hochladen, dazu gibt es etwas in besser und stylish, nämlich vimeo.

Picasa

Scheiß auf Picasa, das braucht wirklich niemand. Zum Bildbearbeiten gibt es Photoshop oder Gimp, zum Bilder auf dem Rechner organisieren nimmt man ACDSee oder iPhoto und wer Fotos in einer Community zeigen will, der geht natürlich zu Flickr. Fertig.

Googlemail

Wer viel Speicherplatz braucht, der kann zu Yahoo gehen. Die bieten das auch an. Wer seine Mails nicht in den USA liegen haben will, geht zu GMX. Wer Speicher und Sicherheit will, mietet sich etwas Space und hostet das Ganze selbst.

AdSense…

…zahlt irgendwann eh nicht mehr. Lieber gleich zu Contaxe. Oder das Affiliate-Programm von Amazon nutzen. Oder… es gibt hier genug Anbieter, teils mit kreativeren Werbeangeboten als Google.

Desktop-Suche

Unter OS X hat man Spotlight, das ist super. Unter Windows hat man Pech. Strafe muss eben sein.

Chrome

Wieder etwas, was keiner braucht. Daher ist der Chrome-Browser auch nicht wirklich ein Erfolg. Firefox ist sehr gut. Oder man nutzt das hier.

Android

Mal ehrlich: Möchtet ihr ein Handy von HTC? Ich nicht. Und dann noch mit Google-Betriebssystem? Wirklich nicht! Man kann was von Nokia mit Symbian nehmen oder im Zweifel auch ein iPhone. Über Android muss man nicht diskutieren.

blogger.com

Man nimmt twoday. Oder WordPress. Oder blogger.de. Oder man hostet selbst ein WordPress-Blog. Wurscht – es gibt so viel, das besser ist als blogger.com.

Google Earth

Vizerra. Aber leider nur unter Windows. Und ein Netbook sollte es auch nicht gerade sein, Vizerra kann schon Performance gebrauchen.

Texte und Tabellen

Hier habe ich nicht wirklich eine Alternative – mangels Erfahrung. Denn ich nutze in der Tat das Office-Paket. Und mir würde es nicht im Traum einfallen, meine Dokumente Google anzuvertrauen. wenn es kostenlos sein soll, dann kann man sich OpenOffice kostenlos herunterladen – das ist recht gut. Und wenns quick´n´dirty sein soll, geht auch AbiWord. Und für Tabellen Gnumeric.

Man sieht: Für quasi jeden Dienst der Datenkrake gibt es sinnvolle und kostenlose Alternativen. Die gerne auch besser sind als das Google-Pendant. der die eigenen Daten or Google schützen. Und dafür muss man noch nicht mal auf Komfort verzichten. Ich kann nur sagen: Es lohnt sich, Googleaus seinem Leben zu verbannen.

Angetestet: Der Privacy Dongle vom FoeBuD

Man muss sich über eines im klaren sein: Wer im Internet surft, hinterlässt Datenspuren (und im Zweifel nicht wenige). Es wird nicht nur mitgeloggt, wer welche Seiten besucht und welche Suchworte bei Google eingibt, auch über Cookies können Unternehmen auswerten, wer wann welche Seiten besucht, sich wofür interessiert etc… Und diese Daten kann am Dienstrechner der Arbeitgeber auswerten, im Internetcafé dessen Betreiber und beim Provider fallen auch Daten an. Im Zweifel loggt vielleicht sogar der Staat mit…

Eine unangenehme Vorstellung, dass einem beim Surfen im Netz immer einer jemandem über die Schulter schaut? Es ist gar nicht so kompliziert, seine „digitale Privatsphäre“ zu wahren.

Wer mit dem Firefox im Internet surft, der hat die Möglichkeit, mit der Software Tor seine Verbindungen über Umleitungen zu mehreren und unterschiedlichen Rechnern ins Netz herzustellen und damit seine „Herkunft“ nicht preiszugeben. Die Installation von Tor, das Einrichten von Plugins für Werbeblocker, einen IP-Adressmonitor etc. ist aber nicht jedermanns Sache.

Abhilfe schafft hier ein kleiner USB-Stick, der vom FoeBuD entwickelt und vertrieben wird – der Privacy Dongle. Einen solchen habe ich mir zusenden lassen und ihn kurz angetestet.

Für 20 Euro bekommt man einen USB-Stick mit aufgespielter Software zum anonymen Surfen. Der Stick kommt mit einer gedruckten Kurzbeschreibung und einem Neckholder in einer schlichten Geschenkbox. Es gibt ihn in Varianten mit 1, 4, 8 und 16 GB Speicherkapazität. Enthalten ist eine Software zum sicheren Surfen für Mac OS X, Windows und Linux.

Um sicher zu surfen muss man …

… den Dongle einfach nur in eine freie USB-Buchse des Rechners stecken, der Dongle wird gemountet und dann ist lediglich die Software für Mac, Windows oder Linux zu starten. Fertig. Es muss nix installiert werden und funktioniert auf im Prinzip beliebig vielen Rechnern.

Möglich macht dies eine Version des mobilen Firefox, der durch die zusätzliche Software Tor, einen Adblocker und sinnvolle, vorkonfigurierte Plugins diesen portable Firefox erweitert. Zwar ist dies alles freie Software, die sich jeder herunterladen kann, aber sie muss auch sinnvoll konfiguriert werden.

Wird also die Software gestartet, öffnet sich der portable Firefox mit einer speziellen Startseite, die den „Sicherheitsstatus“ des laufenden Programms anzeigt:

Man sieht , dass hier recht umfänglich anonymisiert wird und die Software ganze Arbeit verrichtet. Vorkonfigoriert ist aus Snoogle, dass Suchanfragen an Google anonymisiert und verschlüsselt überträgt.

Anonymes surfen im Netz ist also ohne großen Aufwand möglich, wer aber Daten im Netz eingibt, zum Beispiel beim Onlineshopping etc. der ist damit natürlich für die laufende Session nicht mehr anonym. Hier hat der Dongle die (natürliche) Grenze.

Im Unterstützershop des FoeBud kann der Dongle bezogen werden, wer einen USB-Stick überhat, kann diesen aber auch selbst „basteln“, indem er sich hier nach Anleitung die Software läd und zu guter Letzt lässt sich die Software auch von einem auf den anderen Stick kopieren.

Angetestet habe ich die Funktion unter Mac OS X. Der Stick mountet problemlos, die Software lässt sich öffnen und die Verbindung ins Tor-Netzwerk klappt ohne Schwierigkeiten. Das Surfen in Tor-Netzwerk ist allerdings merklich langsamer als das „normale“ surfen – eine 20000-Leitung kann schon mal auf die Performance von DSL-Light oder darunter sacken. Abhilfe schaffen hier denke ich nur Leute, die mit entsprechend guter Leitung selbst einen Node im Tor-Netz betreiben.

Vor einiger Zeit habe ich ausführlich mit JAP experimentiert – das funktioniert ähnlich, bei Tor aber ist die Performance doch besser. Besonders reizvoll an der vom FoeBuD angebotenen Lösung ist, dass der vorkonfigurierte Firefox ohne irgend einen Installationsaufwand und ohne große technische Vorkenntnisse betrieben werden kann. Ich bin, das mag jetzt etwas pathetisch klingen, aber ich meine das ernst, dem FoeBuD sehr dankbar, dass er es durch den Privacy Dongle auch Menschen die Möglichkeit gibt, beim Surfen ihre Privatsphäre zu schützen, die technisch nicht so versiert sind, um sich dies selbst zu konfigurieren.

Zum Kauf des Sticks kann ich ruhigen Gewissens raten und ebenso zur Nutzung desselben. Eine Veränderung und ein Umdenken ist nur zu erreichen, wenn viele an diesem Projekt teilnehmen. Weiterhin halte ich die Arbeit des FoeBuD für sehr unterstützenswert – und jeder, der sich einen Privacy Dongle ordert, tut damit auch was Gutes.

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