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Revolutionsbier.

Allzu viel ist über das Verhältnis von Marx zum Bier nicht überliefert, außer, dass Marx in mancher Phase seines Lebens dem fröhlichen Zutrinken wohl nicht in völliger Ablehnung gegenübergestanden sein muss.
Gesehen in der Schankwirtschaft Schanzenbräu, Nürnberg.

Nürnberg: Kultureller Kahlschlag?

Die diesem Post vorangestelle Frage lautet: Droht Nürnberg der kulturelle Kahlschlag? Diese Frage kann ich als Außenstehender natürlich nicht vollständig beantworten, ich will eher versuchen, mich auf eine (zwangsläufig lückenhafte) Spurensuche zu begeben.

Die Nürnberger Kunsthalle, aufgenommen im Juli 2022

Erst vor zwei Tagen ging es durch die Presse: Nürnberg hat die höchste Pro-Kopf -Verschuldung aller bayerischen Städte. Mit 1,6 Milliarden Euro, das sind pro Kopf etwa 3000,- Euro, steht die Kommune in der Kreide. Ohne jeden Zweifel eine Herausforderung für den Kämmerer, der einen Sparhaushalt entwerfen muss, der nicht nur die Stadtspitze und Stadtrat zufriedenstellt, sondern auch von der mittelfränkischen Regierung in Ansbach genehmigungsfähig ist. Keine leichte Aufgabe.

Stadtkämmerer Riedel, er steht kurz vor der Pensionierung, muss sich dieser schweren Aufgabe stellen. Wegen ebenjenem baldigen Ausscheiden aus dem Dienst an der Stadt Nürnberg kann er aber auch, ohne fürchten zu müssen, den eigenen Ruf zu beschädigen, unpopuläre Entscheidungen treffen (bzw. Vorschläge unterbreiten) und so ein unpopulärer Vorschlag (beziehungsweise ein ganzes Vorschlagsbündel) erreichte in der vergangenen Woche die Nürnberger Öffentlichkeit: Einsparungen sollen durch Schließung der Kunsthalle und der Kunstvilla erzielt werden, die Blaue Nacht, das Bardentreffen und das Klassik-Open-Air im Luitpolthain sollen zukünftig nur noch alle zwei Jahre (anstatt wie bisher jährlich) stattfinden, man diskutiert auch darüber, das nicht minder beliebte „Silvestival“ ganz einzustellen. Wie viel Geld sich durch diese Maßnahmen tatsächlich einsparen lässt, scheint strittig zu sein. Berichteten die Nürnberger Nachrichten vor einer Woche noch von einem Betrag von 15 Millionen Euro, sollen laut aktuellen Informationen der Süddeutschen Zeitung bis 2026 6,5 Millionen eingespart werden.

Werfen wir einen Blick zurück: Als die CSU und Ludwig Scholz 1996 überraschend die Stadtratswahlen gewannen, brauchte es nicht lange, bis Scholz insbesondere im soziokulturellen Bereich massive Einsparungen durchsetzte und damit vielen Künstlerinnen und Künstlern den Boden unter den Füßen wegriss. Nicht nur das KOMM, sondern auch zahllose kleine, seit teilweise zwei Jahrzehnten erfolgreiche Initiativen wurden dadurch zerstört oder nachhaltig geschwächt. Nürnberg hat unter der CSU und besonders unter Ludwig Scholz stark gelitten, die Schneisen der Zerstörung, die seine verheerende Kulturpolitik, die als gescheitert betrachtet werden darf, in die Kultur- und Kreativszene der Stadt geschlagen hat, sind bis heute nicht geheilt, nicht repariert. Wirklich in relevanten Größenordnungen Geld konnte so natürlich nicht eingespart werden – die „Einsparungen“ waren weiland selbstredend alle politisch motiviert. Und sie blieben natürlich nicht ohne Folgen. Viele Künstler verließen die Stadt, wer sich heute in Nürnberg künstlerisch betätigt, leidet nicht nur unter einer deutlich ausgedünnten Infrastruktur, sondern auch darunter, dass sich hier die Kunstszene in ihrer Gesamtheit eher übersichtlich ausnimmt. Und so ist es natürlich kein Wunder, dass Nürnberg mit seiner Bewerbung zur „Kulturhauptstadt Europas 2025“ krachend gescheitert ist. Die Grundlage dieses Scheiterns wurde nach meinem Verständnis in den späten Neunzigern von der CSU und der rigorosen Un-Kulturpolitik Scholz „geschaffen“, denn wer eine freie Kulturszene mit seiner rechtskonservativen Ideologie unter dem Deckmäntelchen vermeintlich nötiger Einsparungen kaputtschlägt oder durch ausbleibende Zuschüsse an den Rand der Handlungsfähigkeit drängt, braucht sich nicht wundern, dass sich die Stadt zwanzig Jahre später (sozio-)kulturell nicht regenerieren konnte und schlicht keine organisch gewachsenen Kulturprojekte zu bieten hat, die den Titel einer Kulturhauptstadt zu rechtfertigen in der Lage wären. Nürnberg hat sich leider bis heute – nicht nur in Belangen der Kultur – von Scholz nicht vollständig erholen können.

Man möchte ja meinen, dass man in der zweitgrößten Stadt Bayerns aus den Fehlern der jüngsten Vergangenheit gelernt habe. Das ist, wie der neue Kultur-Kahlschlag-Katalog zeigt, mitnichten der Fall. Die Sache hat aber eine neue Qualität: Während der Scholz-Kahlschlag weiland in den etablierten Medien der Stadt nur einen lauen Widerhall fand, ist heute das Heulen und Zähneklappern groß und laut – schlicht, weil es arrivierte Institutionen und Projekte trifft.

Auf zweierlei möchte ich eingehen: Zuerst ist da mal die avisierte Schließung der Kunsthalle und der Kunstvilla zu diskutieren. Beide Häuser haben nicht nur ihre in ihrer Konzeption liegende Existenzberechtigung – nein, sie sind für Nürnbergs Museumslandschaft absolut unverzichtbar. Ja, wir haben mit dem Neuen Museum ein hervorragendes Haus, in dem kontemporäre Arbeiten internationaler Künstler gezeigt werden. Als Museum mit reinen Wechselausstellungen von Künstlern internationalen Formats mit dem „heimlichen“ Schwerpunkt der Moderne der 1960er und 1970er Jahre ist die Kunsthalle aber ein ungemein spannendes Museum, dass die Ausstellungen nicht nur äußerst aufwändig und stimmig präsentiert, sondern sie mit allgemeinverständlichen Informationen anreichert und hervorragende Begleitmaterialien anbietet. Und in dieser Form ist sie wohl im süddeutschen Raum einzigartig.

Kunstvilla

Die Nürnberger Kunstvilla, Juli 2022

Von allerdings noch entscheidenderer Bedeutung für die Stadt ist die Kunstvilla, hat man sich dort doch zur Aufgabe gemacht, in der Region entstandene Kunst zu erforschen, zu sammeln und auszustellen. Die Ausstellungen der Kunstvilla waren nach meinem Erleben immer didaktisch hervorragend aufbereitet, zudem bietet die bezaubernde alte Kaufmannsvilla dafür einen hervorragenden Rahmen. Beide Häuser wegzusparen ist schlicht nicht vorstellbar und, mit Verlaub, ein Frevel!

Zum Zweiten: Die Veranstaltungen Bardentreffen und auch, auch wenn nicht explizit erwähnt, Stars im Luitpolthain, sind ebenfalls unverzichtbar, weil sie nicht nur ein niederschwelliges und kostenloses Kulturangebot für die breite Bevölkerung darstellen. Viel mehr noch ist gerade das Bardentreffen ein echtes Mitmachfestival, das durch die vielen nicht geplanten, spontanen Auftritte zahlreicher Musiker seinen ganz eigenen Charme entwickelt. Denn neben dem Festivalprogramm, das streckenweise recht hochkarätig besetzt war, kann sich dort jeder Musiker ohne Anmeldung, Vorleistung… vor Publikum ausprobieren. Und auch wenn die Line-Ups der letzten beiden Stars im Luitpolthain-Veranstaltungen durchaus gewisse Redundanzen mit sich brachten: So ein Festival mit seiner beflügelnden Atmosphäre könnte so nicht nur im vergleichsweise kleinen Nürnberg sondern auch in New York oder London stattfinden. Festivals oder Veranstaltungen von dieser Güte, Strahlkraft und im Falle des Bardentreffens auch Tradition zukünftig auszudünnen, wäre ein schwerer Fehler, ein Rückschritt, eine kaum wieder auswetzbare Scharte. Was diese Veranstaltungen letztlich so besonders, so zugänglich und so niederschwellig macht, ist der freie Eintritt. Jeder, der interessiert ist, darf kommen.

Wir haben in den vergangenen Tagen viele (teilweise sehr gute) Argumente für eine Beibehaltung der kulturellen Angebote gehört. Diese reichen von „wir haben schon auf den Neubau des Konzertsaals verzichten müssen“ bis hin zu einer „Kulturdividende“, weil gerade die Veranstaltungen natürlich auch ein zahlungskräftiges Kulturpublikum in die Stadt ziehen. Eines geht aber in der ganzen Debatte leider unter: Wir werden uns in Zukunft einige Großprojekte leisten, deren Notwendigkeit schlicht nicht gegeben ist. Zu nennen wäre hier die völlig überflüssige, undichte und aus Gründen des Tierschutzes äußerst fragwürdige Delfinlagune, die nun eine neue Überdachung braucht, für sich genommen aber als unsanierbar gilt. Und dann der völlig aus der Zeit gefallene kreuzungsfreie Ausbau des Frankenschnellwegs. Würde man auf dieses Unsinnsprojekt verzichten, etliche Finanzprobleme der Zukunft wären bereits heute gelöst.

Unsinnig erscheinen die geplanten Streichungen im Kulturbereich gerade vor dem Hintergrund, dass Häuser und Veranstaltungen ja über Personal verfügen, das man nicht einfach so entlassen kann, das weiterbeschäftigt werden will und muss. Nun treffen die Einsparungspläne freilich nicht die Kultur allein, stattliche 500 Stellen sollen bei der Stadt Nürnberg „sozialverträglich“ gestrichen werden – aber hier offenbart sich doch, dass die Planungen des Kämmerers an dieser Stelle reichlich kurz greifen.

Die Konsequenzen der Streichungen sollte man genau bedenken: Die Dürer-Stadt verlöre deutlich an kulturellem Profil und würde auch touristische Attraktivität einbüßen. Was mit der nach Schließung dann leerstehenden Kunsthalle geschehen soll, ist ebenfalls offen. Der Leerstand einer solch speziellen Immobilie ist kaum dazu geeignet, dauerhaft wirklich Geld zu sparen, eine Umwidmung ist nur schwer vorstellbar und angesichts der Tatsache, dass das Haus erst für anderthalb Jahre geschlossen wurde, um teuer und aufwändig umgebaut zu werden, auch kaum vermittelbar. Hat man beide Museen einmal verloren, so steigt der Aufwand, sie irgendwann einmal so an selbem oder anderem Ort wiederzueröffnen – Fachleute gaben in den NN zu bedenken, dass eine Wiedereröffnung dann (selbst bei vielleicht hinreichend guter Kassenlage) nahezu unvorstellbar sei.

Die Schuldenlast der Stadt Nürnberg ist erdrückend. Und eine Kommune hat viele finanzielle Verpflichtungen, während Kunst und Kultur freiwillige Leistungen sind. So liegt es freilich nahe, hier den Rotstift zuerst anzusetzen. Die Konsequenzen sollten aber nicht aus den Augen verloren werden. Eine Stadt mit wenig geförderter Kunst und mit zwei bedeutenden Museen weniger wird natürlich unattraktiver – und fehlende Attraktivität macht sich „über Bande gespielt“ in vielen anderen Feldern wieder negativ bemerkbar. Es bleibt zu hoffen, dass die Entscheider in Nürnberg aus der mit Anlauf versemmelten Kulturhauptstadt-Bewerbung lernen und die Dummheiten von Scholz nicht wiederholen. Derzeit sieht es leider nicht danach aus. Der Schaden wäre gravierend.

Der Kugelbrunnen von Günter Rossow vor der Nürnberger AOK-Direktion

Vielleicht erinnert sich mancher noch an den „Kugelbrunnen“, der vor dem alten Direktionsgebäude der Nürnberger AOK am Frauentorgraben aufgebaut war. Hin und wieder kommt er mir in den Sinn, heute habe ich zufällig zwei Bilder aus dem Jahr 2017 beim Durchforsten meiner Festplatte gefunden. Irgendwann um das Jahr 2018 wurde das Direktionsgebäude abgebrochen, weil es mit Asbest belastet war, und durch einen Neubau ersetzt. Im Zuge der Abbrucharbeiten wurde auch der Brunnen, er stammt aus dem Jahr 1970, entfernt und, wie man in der Zeitung lesen konnte, nicht entsorgt, sondern der Stadt Nürnberg geschenkt. In seinem „Depot“ in der Donaustraße fristet er ein freilich bedauernswertes Dasein.

Die im Hintergrund des linken Bildes sitzende Person habe ich unkenntlich gemacht. Die Bilder können in Originalgröße hier und hier betrachtet werden.

Dass der Brunnen nicht verloren ist, möchte ich als Glücksfall bezeichnen. Geschaffen wurde der Kugelbrunnen vom damals in der Region ansässigen Künstler Günter Rossow. Der war von der Form der Kugel sehr fasziniert, es gibt einige kugelförmige Plastiken von ihm und mindestens noch einen weiteren Kugelbrunnen in Bayreuth.

Persönlich empfinde ich den Brunnen nicht nur als schön, sondern auch zeitlos, er hätte verdient, an anderer Stelle wieder aufgestellt und in Betrieb genommen zu werden. Wo, das muss ich offen lassen. In manchen Stadtteilen ist Nürnberg nicht gerade reich an Brunnen und ich könnte mir schon den ein- oder anderen Platz vorstellen, an dem er sich gut in seine Umgegend einfügen würde. Und rein assoziativ: Mit seiner runden, durchbrochenen Form, quasi aufgespießt an den schlanken, spitzen „Nadeln“, würde sich in seiner Nähe auch ein Gedenkstein an die in unserer Stadt zu beklagenden Opfer der Corona-Pandemie gut machen.

Must see: Gesichter der Stadt.

Ich bin gerade über ein Blog gestolpert, das mich sofort in seinen Bann zog: Gesichter der Stadt ist ein abandoned places – Blog, dass verlassene Gebäude und Industrieanlagen aus Nürnberg und Fürth zeigt. Nicht nur die Artikel sind sauber recherchiert, auch die Fotos sind wunderbar und dahinter liegen mehrere mehr als sehenswerte flickr-Accounts.

Jetzt nicht zaudern – auf zu Gesichter der Stadt!

Zur Diskussion um die Meistersingerhalle.

Sie ist in meinen Augen immer noch schön, nur ein wenig ungepflegt, das ist das Problem. In den letzten Wochen brandete besonders in der Nürnberger Lokalpresse eine Diskussion um die Meistersingerhalle auf. Man stellt ganz richtig fest, dass das Bauwerk „abgewetzt“ ist und dass die Stadt noch kein tragfähiges Sanierungskonzept vorlegen kann.

1963 wurde die vom Architekten Harald Loebermann gestaltete Anlage gebaut. Loebermann, der 1996 verstarb, zeichet auch fürdie Norikuswohnanlage am Wöhrder See verantwortlich – sein Glanz- und Meisterstück ist aber unumstritten die Meistersingerhalle, Nürnbergs einziges großes Konzerthaus. Jeder Nürnberger dürfte sie kennen, viele wohl auch lieben, aber dennoch kann „die Alte“ ihre Falten nach 48 Jahren nicht mehr verbergen. Das Außengelände wirkt vernachässigt, der Asphalt ist schadhaft geworden und die Schmuckplatten an der Fassade sind lediglich provisorisch befestigt. Auch die Sanitäranlagen, Böden sind veraltet, die Zeitung schreibt, dass es um die Bühnen- und Veranstaltungstechnik und um gute Teile der Elektrik nicht besser steht.

Quelle: Wikipedia, Achates, CC BY-SA

Indes hat Nürnberg – die zweitgrößte Stadt Bayerns wohlgemerkt – kein anderes vergleichbares Konzert- und Veranstaltungshaus, man braucht also die Meistersingerhalle. Und, sieht man von der Baufälligkeit einmal ab, ist die Halle gar nicht so schlecht.

Die Architektur der Halle ist nämlich, lässt man sie nur ein wenig wirken, wird man dies erkennen, etwas ganz Besonderes: Der Bau ist riesig, der große Saal fasst 2100 Zuschauer und die anderen Räume sind ebenfalls weitläufig. Und doch wirkt das Gebäude weit weniger kloibig, als es die Dimensionen vermuten lassen. Geradezu dezent das Entrée, weitläufig das Gelände. Nur eben etwas angegammelt. Auch das Innere des Bauwerks verdient Beachtung: Die Ausstattung und die besondere Wandgestaltung stammt von Prof. Wunibald Puchner, dem ehemaligen Präsidenten der Nürnberger Akademie der Bildenden Künste. Es ist ein Glück, dass vieles an Ausstattung und Einrichtung sowie die Innenausbauten bis heute erhalten geblieben sind. In vielen vergleichbaren Bauten wurde genau diese Ausstattung unsensibel mit Zeitgeistigem übertüncht, nicht so in der Meistersingerhalle. Dies ist meines Erachtens aber nicht allein dem Umstand geschuldet, dass unsere Stadtkasse ewig leer zu sein scheint sondern auch der Tatsache, dass die Meistersingerhalle als Gesamtkunstwerk Respekt abfordert.

Wir haben in Nürnberg also einen Konzertsaal aus dem Jahr 1963, der auf der einen Seite etwas abgewirtschaftet wirkt, auf der anderen Seite sich aber innen wie außen architektonisch reizvoll, klassisch modern präsentiert und der herrlich unversaut und unverbastelt immer noch in Nutzung ist.

Letzteres wiegt für mich deutlich schwerer als der zweifelhafte Zustand: Eine Renovierung ist möglich, man muss nichts verbessern, man muss „nur“ sanieren. Dies ist für die Stadt eine hohe finanzielle Bürde und gleichzeitig eine große Chance.

Vorsichtig sanieren und rekonstruieren. Das ist mein Appell in Sachen Meistersingerhalle. Nun, weil es billiger ist, zeitgeistig umzubauen, ist das keine Lösung, man würde immer merken, dass etwas nicht passt. Die Substanz zu stärken aber ist möglich und nötig. Der Gewinn wäre dann ein Konzerthaus mit einer bezaubernden Architektur.

Ich muss an dieser Stelle mal eine Lanze brechen für die Bauten der 1950er bis 1970er Jahre, nicht nur für die Meistersingerhalle. Diese Bauten stehen allerorts, ergänzen in den Städten nach den Bombenangriffen des zweiten Weltkriegs verlorene Substanz und treffen heute nur selten den Massengeschmack. Und oft fügen sie sich nur schwer in die Umgebung und vorhandene Ensembles ein. Und mit der Zeit immer weniger, denn zu Zeiten ihres Baus konnte ihre Modernität eine vorhandene Umgebung noch dahingehend kontrastieren, dass man diese Gebäude als leichtgewichtig, modern und in der Nutzung wie Technik zureichend empfand. Etliche dieser Bauten sind auch wieder verschwunden, dann, wenn sie wirklich kaputt waren, nicht mehr sinnvoll genutzt werden konnten, oder aber genug Geld (und Repräsentationsbewusstsein der „Lokalfürsten“) vorhanden war. Viele dieser Gebäude wurden aber auch unvorsichtig modernisiert, Fassaden wurden mit seinerzeit gängigen Elementen auf ein vermeintlich modernes Erscheinungsbild getrimmt, Interieur wurde durch modische Standardware ersetzt. Das diese Modernisierungen zwar zweckmäßig sind, sich aber allzu oft mit der eigentlichen Architektur beißen, ist vielen dieser Gebäude noch abzuspüren. Und nicht weniger oft ist der Urzustand der Bauten nicht wieder herzustellen. Heute, in Zeiten klammer Kassen, ist diese Gefahr mitnichten gebannt: Gerade weil es billig sein muss und schnell gehen soll, stehen viele Verantwortliche in der Verlockung, schnell und modern zu sanieren. Dabei könnte man aus Fehlern, die in den 1980er und 1990er Jahren begangen wurden, lernen.

Warum schreibe ich das alles? Weil ich damit ein wenig Sensibilität für die bald 50 Jahre Halle und ihre Schönheit schaffen will. Für eine Schönheit, die da ist, aber wiederentdeckt werden will. Eine Schönheit, deren Zutageförderung viel Liebe zum Detail benötigt. In den NN war hierzu dieser Tage zu lesen:

Das Problem der Meistersingerhalle bleibe, so der Nürnberger Hochbauamtsleiter Wolfgang Vinzl, dass sich die Architektur der 60er Jahre nicht mehr vermitteln lasse. Es ist eben 40 Jahre her, dass der Kunstprofessor Franz Winzinger in seinem Bildband über die Meistersingerhalle von der „asketischen Entsagung“ der Form schwärmte. „Das Gefüge dieses Baues wird von einer keuschen Logik beherrscht, deren schöpferischer Ausdruck sich vor allem in dem hellen Klang und der ,heiligen Nüchternheit‘ der reinen Maße offenbart.“ (Quelle)

Hier sehe ich die Gefahr. Ob man überhaupt jedem Architektur vermitteln kann, gerade in Zeiten von Pseudodokumentationen wie „Mieten, kaufen, wohnen“, darf erst einmal hinterfragt werden. Das man die Architektur generell nicht mehr vermitteln kann, halte ich indes für einen naturalistischen Fehlschluss. Das ungleich ältere Opernhaus ist heute architektonisch quasi problemlos vermittelbar. Die Kaiserburg auch. Will und Herr Vinzl etwa sagen, dass man sich heute am zierratarmen Bild der Meistersingerhalle reibt? Dass sie inkompatibel mit unseren derzeitigen ästhetischen Vorstellungen ist? Das wird sich in fünf bis zehn Jahren ändern, in zwanzig Jahren sowieso. Noch hat Beton ein Negativimage – man hat sich sattgesehen. In einigen Jahren, sofern nicht schon jetzt geschehen, haben wir uns an stahlgefassten Glasfassaden sattgesehen. Oder an den an Bullaugen gemahnenden runden Fenstern, mit denen man die oft so gewöhnliche Architektur der 1990er Jahre aufzulockern suchte. Das ist kein Argument gegen die Meistersingerhalle sondern vielmehr ein Argument, den jetzigen Modernisierungsbestrebungen zu trotzen und eine vorsichtige Restaurierung zu wagen, wider jede Effekthascherei.

Es geht hier nicht um ein Erhalten überkommener Einrichtungen. Die abgewetzte und recht unbequeme Bestuhlung in ihrem seltsamen Blau kann man gerne entsorgen. Und ein in die Jahre gekommenes Klo auch mit dem Vorschlaghammer abzubauen und gegen zeitgemäße Sanitäranlagen zu ersetzen, kein Problem. Die in die Jahre gekommene Großküche darf man sicher komplett ersetzen. Und etwas neue Bühnentechnik und eine digitale Tonanlage sind ebenso kein Schaden – geschenkt. Aber ich warne vor einem Rückbau der Wandbilder, der verwucherten Außenanlagen. Den für Konferenzen dringend benötigten Empfangstresen kann man anschaffen – wegschiebbar sollte er aber sein, denn für Konzerte braucht man den nicht. Den Asphalt des Parkplatzes möge man ersetzen, neue Wegplatten vor dem Gebäude sollten aber den alten gleichen. Die Fassade würde ich unbedingt restaurieren und nicht erneuern. Kurz: Es wäre gelungen, wenn man die Sanierung nicht sähe sondern nur fühlte, dass alles wieder gepflegt und in Ordnung wäre. Das hat nichts damit zu tun, dass ich hier um Willen eines „Retrocharmes“ jedes Detail erhalten wollte – aber wer bei zu vielen Details eingreift, wer nur durch Standardware ersetzt anstatt zu erhalten, was ist, raubt der Halle Stück für Stück ihre Identität. Das darf nicht um Willen einer „leichteren Vermittelbarkeit“ – wie auch immer die aussehen soll, geschehen.

Wer jetzt der Halle den 2011er-Stil aufdrücken will, der beraubt zukünftige Generationen um die Möglichkeit der Erfahrung von gelungenem Bauen im jungen Nachkriegsdeutschland. Die Meistersingerhalle kann hiervon noch Zeugnis ablegen – daran sollte man festhalten, jedem Zeitgeist in seiner Schnelllebigkeit trotzend.

Und hier nochmal ein Link zur Nürnberger Zeitung – die Meistersingerhalle gestern und heute im Bild.

Jacob Jensen – geiler Service!

Mal was erfreuliches: Der Service der JACOB JENSEN – Produkte ist so sakrisch gut!! Deren Deutschlandvertrieb hat mir heute for free (!) ein dringend benötigtes Ersatzteil gesendet. Ohne nach einer Rechnung zu fragen oder wo ich das Teil gekauft hätte oder sonstwas. Ich habe ein Jacob Jensen-Produkt und will ein Ersatzteil. Das genügt denen.

Ich bin immer noch begeistert!

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