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Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann

Es mag manche von Euch verwundern, aber mit dem „Œuvre“ von Eduard Zimmermann und seiner Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ bin ich auf eine erschreckend enge, vielleicht gar seltsame Weise vertraut. Mitte der 2010er-Jahre gab es nämlich auf YouTube alle Folgen (bis auf eine Einzige, die als verschollen gilt) dieser Sendung zu sehen. Ein User namens „Aktenzeichen Laibachs Hodenwohl“ (no shit!!) lud die Episoden in astreiner Original-MAZ-Qualität hoch (ich frage mich, woher er die hatte, denn in den ausgehenden 60ern hatte kaum jemand ein Videogerät und die Qualität der Folgen war um Welten besser als alles, was selbst ein teurer semiprofessioneller Recorder in den 70er-Jahren aufzuzeichnen vermochte). Und ich habe sie alle mindestens einmal gesehen, viele sogar mehrfach. Leider wurden zwischenzeitlich auf Betreiben des ZDF alle Folgen von YouTube gelöscht.

Screenshot, Eduard Zimmermann in seiner Sendung „Aktenzeichen XY“ vom 8. April 1988

Dieses XY-Bingewatching fiel in die Zeit meiner Journalistenausbildung und war in vielerlei Hinsicht sehr lehrreich. Klar ist, dass das weltweit wohl erste True-Crime-Fernsehformat in seiner Machart und insbesondere durch die vielfältigen Kommentare Eduard Zimmermanns zweifelsohne die Erlebens- und Erkenntniswelten des bürgerlich-reaktionären Milieus bediente. Zimmermann, dessen Biografie vorsichtig ausgedrückt viele Fragen aufwirft, zog zeitlebens viel berechtigte Kritik auf sich, der er sich regelmäßig in moralisierendem Tonfall erwehrte. Bemerkenswert ist auch, dass er als einer der Wenigen sehr früh seine eigene TV-Produktionsfirma gründete und somit beträchtlich verdiente. Enge Kooperationen zwischen Produktionsfirmen und öffentlich-rechtlichem Fernsehen gab es schon in der Frühzeit des Mediums im Unterhaltungsbereich, im journalistischen Bereich allerdings handelte es sich um ein Novität.

Zugestehen muss man Zimmermann, dass er es auf kluge Weise verstand, die Sorgen und Ängste des (Klein-)Bürgertums aufzugreifen und zu bedienen, leider auch hin und wieder mit deutlich moralisierendem Impetus (andere nennen das „pädagogisieren“, hier habe ich persönlich aber ein grundständig anderes Verständnis von Pädagogik). Er hat sich allerdings anlässlich der Gravitas der in der Sendung vorgestellten Kriminalfälle nur äußerst selten zu ausfallenden Wertungen hinreißen lassen, mit einer Ausnahme: Hatten Kriminalfälle eine politische Motivation und waren diese Motive in linken Ansichten zu suchen, kam ihm diese Souveränität recht regelmäßig abhanden. Rechts motivierte Straftaten fanden unter der Ägide Zimmermanns in seiner Sendung keinen Raum. Sonst bemühte sich Zimmermann zumeist recht erfolgreich, Seriosität auszustrahlen und um einen gemäßigten Duktus und rang um die notwendige emotionale Distanz.

Die Beschäftigung mit Zimmermanns „XY“ ist durchaus lohnend, ist sie doch in mehrerlei Hinsicht ein Spiegelbild der konservativen bundesrepublikanischen Fernsehgeschichte. An „XY“ lassen sich nicht nur die Themen der Zeit gründlich studieren, auch die fernsehtechnischen Möglichkeiten und frühe Formen der Interaktion mit den Zuschauern machen diese Folgen zu einem reizvollen zeitgeschichtlichen Dokument. Die zur Zeit der jeweiligen Folge tagesaktuellen Bezüge wirken immer mehr oder weniger deutlich in die Sendung hinein – und sind auch heute noch gut herauszulesen. Besonders spannend ist aber, dass die Sendereihe seit 1967 besteht und damit ein in seiner Gesamtheit sehr vollständiges Bild der vorgenannten Aspekte abbildet.

Und nun gibt es zu diesem Thema einen sehr geschickt montierten und unglaublich süffigen abendfüllenden Dokumentarfilm mit dem Titel „Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann„, der Film ist in der Mediathek des ZDF abrufbar und wird heute Abend um 23 Uhr im zweiten Programm ausgestrahlt. Das ist insofern beachtlich, als diese Dokumentation nur wenig nostalgische Gefühle aufkommen lässt und weder Zimmermann noch dem ZDF wirklich zur Ehre gereichen kann. Den Film verstehe ich als essayistische Montage mit interessanten politischen und gesellschaftlichen Gegenperspektiven, stellt kluge Fragen, deren Antworten durch einmontierte zeitgenössische Fernsehbilder implizit beantwortet werden. In seiner erwartbar überaus präzise beobachteten Kritik stößt sich Stefan Niggemeier gerade an dieser Herangehensweise – es ist überaus spannend, wie sehr Zimmermann mehr als fünfundzwanzig Jahre nach seinem Abschied vom Bildschirm und dreizehn Jahre nach seinem Tod noch immer polarisiert.

Es fällt nicht schwer, in unseren Tagen die Reaktionen auf diesen spannenden Dokumentarfilm vorauszusagen: XY- und Zimmermann-Fans werden sich sicher „triggern“ lassen, das reaktionäre Lager wird der Doku vorwerfen, tendenziös zu sein. Das mag im weitesten Sinne vielleicht sogar zutreffen, allerdings will es kaum verwundern. Zimmermann, der zeitlebens tendenziös war, provoziert durch seine Arbeit eine solche Reaktion geradezu.

„Diese Sendung ist kein Spiel“ – eine interessante und sehenswerte Dokumentation, die ich uneingeschränkt empfehlen möchte.

Menschen 2010 im ZDF: Gottschalk holt sich die Absolution.

Ich hatte nicht vor, über den Unfall bei „Wetten dass“ zu schreiben und ich habe es mir bislang auch tunlichst verkniffen. Dass dieser Unfall geschehen ist, kann man meines Erachtens niemandem anlasten – Samuel K. wäre bei dieser Wette nicht angetreten, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, sie gewinnen zu können. Samuels Vater hätte das Auto, das in den Unfall verwickelt war, nicht gefahren, wenn er seinem Sohn nicht vertraut hätte. Und das ZDF? Das Redaktionsteam hätte die Wette wohl nicht zugelassen, wenn man davon hätte ausgehen müssen, dass der Wettkandidat sich in große Gefahr begibt – wohl selbst dann nicht, wenn dem ZDF die Wette ursprünglich zu trivial war. Es ist schiefgegangen. Leider. Das hätte niemand erwartet. Ich denke, dass der Unfall als normales Risiko einer Extremsportart bezeichnet werden darf – niemand wollte ihn, er ereignete sich trotzdem.

Mich nimmt Wunder, dass man in der Öffentlichkeit – besonders bei den Privatsendern – die Schuldfrage stellte. Sie kann nur unbeantwortet bleiben. Es ist für mich nicht vorstellbar, dass man den Unfall Samuels billigend in Kauf genommen hat.

Auch der Abbruch der „Wetten dass“-Sendung war folgerichtig. Gottschalk machte, als er den Abbruch der Sendung mitteilte, auf mich zwar einen überraschend gefassten, ja fast abgeklärten Eindruck – aber dafür ist der Mann Moderations- und Medienprofi.

Ich habe nichts darüber geschrieben, weil ich mich nicht an der Debatte um Schuld oder Unschuld beteiligen wollte – ich bin nach wie vor der Meinung, dass man für den schlimmen Unfall keinen Schuldigen benennen kann. Es ist passiert – allein das ist schlimm genug.

Auch hat mich der Umstand, dass der Vater Samuels den in den Unfall verwickelten Wagen lenkte, sehr berührt. Man kann die Schuldgefühle, die diesen Mann plagen müssen, wohl kaum ermessen. Hierzu bedarf es keiner weiteren Worte.

Warum schreibe ich dann über die Sache? Heute, beim Abendessen lief der Fernseher – und gleich nach der Tagesschau entschied ich, dass mir nicht der Sinn nach dem Tatort steht. Und so blieb ich bei der ZDF-Sendung „Menschen 2010“ hängen – Gottschalk führte ein Interview mit Samuels Vater. Ich bin – einige Stunden nach diesem Interview – immer noch irritiert über dieses Interview.

Gottschalk sagt schon zu Beginn der Sendung, bei der Anmoderation des vorab aufgezeichneten Interviews mit Samuels Vater, dass er es war, der fragte, ob er denn zu einem solchen Interview schon bereit wäre. Dann folgt das Interview – Gottschalk sitzt die Fragen stellend in einem Sessel, der Vater spricht von einer Videoleinwand. Allein dieses Setting verstört mich. Warum, so frage ich mich, wird hier eine technische Distanz über die Videoleinwand geschaffen? Wäre es nicht möglich gewesen, dieses Gespräch „auf Augenhöhe“ aufzuzeichen? Wenn dieses Interview überhaupt sein muss, warum dann dieses ungünstige Setting? Was signalisiert das dem Vater, was dem Zuschauer?

Es ist traurig, den Vater zu sehen. Er spricht gedämpft, atmet schwer, schließt immer wieder die Augen. Man merkt deutlich, wie viel Kraft es ihn kostet, dieses Interview zu geben. Das Interview selbst ist kurz, es ist augenscheinlich gut vorbereitet. Es wurde aufgezeichnet – das bedeutet für den Interviewten in aller Regel einen reduzierten Druck, denn Fehler werden geschnitten. Aber: Der Vater Samuels scheint alle Kraft aufzuwenden, um dieses Interview zu geben.

Ich möchte anmerken, dass ich es mir an Stelle des ZDF verkniffen hätte, Samuels Vater zu interviewen und dies zu senden – selbst dann, wenn der Vater proaktiv darum gebeten hätte. Man weiß, dass solche Interviews für Angehörige immer eine große emotionale Belastung darstellen. Guter, seriöser Journalismus verzichtet darauf, Angehörige kurz nach einem in welcher Art auch immer erlittenen Schicksalsschlag zu exponieren. Dies geschieht zum Schutz und zu Entlastung der Angehörigen. Das ZDF verzichtet auf diesen Schutz und wenn man Gottschalk genau zuhört, so lässt sich erkennen, dass das Interview im Interesse des ZDF liegt.

Im Privatfernsehen gelten andere Regeln. Hier werden Angehörige sehr gerne kurz nach dem Schicksalsschlag interviewt und Szenen ausgewertet, die sie am Rande der Erschöpfung, der Artikulationsfähigkeit zeigen, weinend, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Gern wird der Bildbeitrag so gestaltet, dass diese Interviewausschnitte das erlittene Leid testieren. Diesen schlechten Stil pflegt das ZDF mit dem Interview nicht – aber es wird ein Interview geführt. Warum?

Ich habe den Eindruck, dass sich Gottschalk mit diesem Interview eine Art Absolution erteilen lässt: Das Testat kommt – wie bei den Privaten auch – von einem Angehörigen, dem Vater. Es wirkt zwar subtiler, in der Sache ist es aber ähnlich.

Über Hoffnung auf Genesung spricht der Vater, er sagt, was ihn hält, betont seine Verwurzelung im christlichen Glauben, dankt für erwiesene Anteilnahme, für Nähe, dass die Familie nun nicht allein ist. Manches mag man beruhigend aufnehmen.

Doch das Setzen positiver Signale gelingt nicht immer.

An einem Punkt wird dies besonders deutlich: Gottschalk fragt Herrn K.: „Wie kann es für Sie weitergehen?“, dieser antwortet: „Also im Moment planen wir von Halbtag zu Halbtag, von Tag zu Tag.“

Warum diese Frage zu einem Zeitpunkt, an dem zwar Hoffnung auf Genesung für Samuel besteht, von dieser aber nicht ausgegangen werden kann? Warum überhaupt eine Frage nach der Zukunft an einen Menschen, der im Hier und Jetzt Belastungen ausgesetzt ist, die man niemandem wünscht?

Gottschalk versucht, auch das erscheint mir unpassend, der Situation etwas positives abzugewinnen. Er tut dies mit aller gebotener Vorsicht, das halte ich im zu Gute. Das öffentliche Interesse sei nicht Neugier sondern Anteilnahme, sagt er. Woher nimmt er diese Sicherheit?

Und da bohrt diese eine Frage schon wieder: Warum dieses Interview? Gottschalk liefert eine mögliche Begründung: „Das war ja auch bei der Öffentlichkeit oft so, das Interesse erlahmt und es gibt andere Schlagzeilen. Mein persönliches Interesse wird auf jeden Fall bei Euch bleiben, bei seiner Seite bleiben und wir lassen Euch da nicht alleine“*.

Es mag sehr einfühlend wirken, sich „der Sache anzunehmen“, bevor das „öffentliche Interesse“ verloren geht – aber ist es das wirklich? Auch auf die Gefahr hin, dass besagtes Interesse mit der Zeit verschwindet, halte ich es für besser, sich lieber dem möglichen Vorwurf stellen zu müssen, man hätte zugewartet, bis die Sache vergessen wäre als ein kraftzehrendes Interview mit einem Angehörigen zu führen.

Irgendwie riecht die Sache nach PR: In den Nachrichten aller öffentlich-rechtlichen Hörfunksender wurde auf den Gesundheitszustand Samuels ausführlich und tagesaktuell eingegangen. Jeder, der sich dafür interessiert, ist informiert. Warum dann das Interview? Warum wird es auch verschriftlicht vorab der Presse zugeleitet – verbunden mit dem Hinweis an die Journalistenkollegen, eine Sperrfrist bis zur Ausstrahlung einzuhalten?**

In Anbetracht der Tatsache, dass das ZDF sich in der letzten Woche massiver Kritik von vielen Seiten ausgesetzt sah, dass Gottschalk um seinen Ruf und seine Zukunft als Moderator fürchten musste, dass von vielen Seiten die letzte große Samstagabendshow, „Wetten dass“ zur Disposition gestellt wurde, eine der letzten verbliebenen Quotenbringer des ZDF, wirkt das Interview wie ein recht plumper Versuch, sich die Absolution vor dem Fernsehpublikum zu holen.

Das ist an sich schon keine schöne Sache – aber hätte es dazu wirklich noch des Vaters des verunglückten jungen Mannes bedurft?

Es ist – das gibt der Sache eine besondere Note – auch auffällig, dass Gottschalk bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Unschuld und die Unschuld des ZDF beteuert.

Qui s’excuse, s’accuse.

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* diese Stelle wird in der Vorabnachricht an die Presse – einer Transkription – nur verkürzt wiedergegeben. Mache sich jeder selbst seinen Reim darauf.

** da hat sich das ZDF verhauen – diese Pressenachricht ist in PR-Portalen zu finden und wurde bereits vor der Ausstrahlung via Twitter verbreitet – jeder, auch Nicht-Journalisten, der das lesen wollte, konnte das vorab lesen. Viele (den Tweets zufolge) haben das auch getan.

Das Interview kann auf YouTube angesehen werden.