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Alles nicht so wild. Kleine Nachbetrachtung zur Abgeordnetenhauswahl

Gestern habe ich mir ganz spontan einen Blog-Post geklemmt, weil die „Interaktion“ auf Twitter dann doch mehr Spaß gemacht hat, heute will ich, ohne bislang den Output der Leitartikler genossen zu haben, das gestrige AHW-Ergebnis doch kurz kommentieren.

Zuerst einmal zu Wowereit und der SPD. Wenn von vornherein feststeht, dass man gewinnt, ist man bei so einer Wahl ja trotzdem irgendwie in der „Verliererposition“, denn zum einen ist es schwierig, die siegessicheren eigenen Wähler an die Wahlurne zu bringen und zum anderen wird der Erfolg nur dann von der Presse goutiert, wenn noch ein paar Prozentpunkte dazugewonnen werden. Das das unter den gerade benannten Vorzeichen nur im Ausnahmefall gelingen kann und das dieser Ausnahmefall nicht eingetreten ist, das kann man Wowi ja schlecht anlasten. So gesehen – und unter der Konkurrenz der Piraten, zu denen ich später noch komme, sind die verlorenen zweieinhalb Prozent ja nicht nur erklär- sondern auch verkraftbar.

Der Linkspartei, dem ehemaligen Koalitionspartner, sind 1,7 Prozent der Wählerstimmen verloren gegangen. Im Kontext der Anwürfe der Medien, die nicht Wunder nehmen, wenn man die vorangegangenen innerparteilichen Debatten berücksichtigt (ein gefundenes Fressen für die Berichterstattung, die Medien haben dies auch weidlich ausgekostet) und im Kontext der Präsenz der Piraten hat sich die Linke stabilisiert. Das Glück der Linken: Allzuviel mussten sie ob ihrer eher älteren Wählerschaft nicht an die Piraten abtreten, das Pech dabei liegt aber ebenso auf der Hand: Die Linke überaltert zusehends und das macht natürlich eine Auafstellung in der Zukunft schwieriger. Wenn man sich die Tweets von Halina Wawzyniak und Bodo Ramelow besieht, ist der Warnschuss auch gehört worden – allein ob das genügt, ist fraglich.

Weiterhin Pech für die Linke: Mit den Stimmenverlusten der SPD und den eigenen Verlusten ist die rot-rote Koalition, eigentlich ein Erfolgsmodell, nicht mehr aufrechtzuerhalten. Bei der Linken wird nun gerne ins Feld geführt, dass der Spitzenkandidat Harald Wolf im Personenwahlkampf Wowi versus Künast zerrieben wurde. Da mag schon was dran sein, aber das ist für mich nicht ausschlaggebend. Ich denke, dass die Linke die Themen soziale Sicherheit und Netzpolitik (hier ist sie im Kleinen mindestens ähnlich kompetent wie die Piraten, muss das aber entwickeln und kann das nicht verkaufen) noch profilierter herausstellen muss. Und dann hats halt einfach nicht gereicht – Pech eben.

Die CDU. Gestern feierte man sich selbst wegen des Zugewinns von 2,1 Prozent ordentlich ab. Dass das kein wirklicher Erfolg ist ob der öffentlich zelebrierten Selbstzerfleischung der FDP, weiß eigentlich jeder – aber das Singen im dunklen Keller soll ja bekanntlich schon öfter gegen die Angst geholfen haben. Immerhin würde es zu einer Regierungsbeteiligung reichen – wenn Wowi will. Wofür die CDU in Berlin steht, weiß ich nicht, dazu bin ich zu weit weg. Ob es aber viele Berliner wissen, ist ebenso fraglich. Nun, die zwei Prozent werden für das erhoffte „Signal im Bund“ nicht ganz hinreichen. Mehr bleibt dazu eigentlich nicht zu sagen.

Und bei der FDP bleibt auch nicht viel zu sagen. Felix von Leitner stellte ja schon einmal ganz treffend fest, dass FDP-Bashing ist, wie behinderte Kinder zu hauen, das will man natürlich nicht. Daher in aller Kürze: Das sich die FDP nun unterhalb der Bagatellgrenze befindet, ist kein echtes Wunder. Konnten wir in den vergangenen Monaten der FDP beim Schrumpfen auf das Normalmaß zusehen, ereilt sie nun das unausweichliche Schicksal: Das Personal der FDP ist mindestens im Bund beschissen, in den Ländern sieht es in aller Regel nicht besser aus. Anbiedernderweise fuhr man einen Eurokritikerkurs, dieses populistische Aufbäumen war indes so platt, dass sich selbst FDP-Stammwähler in den Boden schämten und das mit der Stimme lieber sein ließen und nun ist sogar die NPD stärker, die anderen Feinde der Freiheit. Und selbst vom Sonneborn mussten sie sich gestern noch vorführen lassen. Und dann schwafelt der Lindner gestern im Ersten noch so saudumm daher… Da ist nichts mehr zu retten.  1,8 Prozent, diese Ernte fahren anderen Orts regelmäßig die Tierschutzpartei o.ä. ein. Was will man da noch groß kommentieren? Außer vielleicht: Ich könnte mich daran gewöhnen.

Dazugewonnen haben die Grünen, zweifelsohne. Aber Hochmut kommt eben vor dem Fall, und in Anbetracht der Tatsache, dass Frau Künast schon vorab postuliert hat, dass sie sich wieder in den Bund verpissen werde, wenn sie nicht regierende Bürgermeisterin werde, kann man den Berlinern nicht verdenbken, dass sie nicht in Scharen Leute wählen, die an Berlin gar kein Interesse haben. Mit etwas mehr als 17 Prozent stehen die Grünen zwar recht ordentlich da, bedenkt man aber, dass sich diese Ökopartei allen Ernstes aufschwingen wollte, den regierenden Bürgermeister zu stellen, haben sie dieses Ziel um mindestens mehrere Lichtjahre verfehlt. Fukushima liegt zu weit zurück, Stuttgart 21 werden die Grünen auch nicht zu verhindern wissen und so schrumpft auch diese Partei wieder auf das Normalmaß. Dass die Grünen den Zugewinn von viereinhalb Prozent (was für sich genommen schon ordentlich ist) halten können, glaube ich nicht, nun aber ist er im Berliner Abgeordnetenhaus erst einmal an die Tafel gesteckt und so hat Wowi immerhin die Chance, nicht mit der SPD koalieren zu müssen. Das ist ja schon mal was, obs aber auch was auf Dauer ist, weiß ich nicht.

Frau Künast sah gestern im TV trotz bekanntermaßen guter Ausleuchtung fertig aus ohne Ende. Wenn Sie wieder „in den Bund“ geht, dann ist das nicht nur für Berlin sondern auch für sie persönlich ein Glücksfall. Dass Frau Künast auch nicht wirklich Sympathieträgerin ist, ist nun auch keine Neuigkeit. Zu den Grünen bleibt eigentlich nur zu sagen, dass sie sich für eine etablierte politische Partei gnadenlos dämlich angestellt haben. Ich will noch nicht einmal auf deren verunglückte „Da müssen wir ran“-Kampagne zu sprechen kommen sondern nur auf den Umstand, dass sie in BaWü zufälligerweise das Ding gerissen haben. Was unter den Umständen des GAUS in Japan und der verkorksten Energiepolitik der Bundesregierung sowie dem Fakt, dass neben Mappus selbst der olle Oberlehrer noch gut ausschaut, auch kein größeres Kunststück ist. Das müssten diese Grünen eigentlich wissen – man soll das Schicksal nicht herausfordern. Getan haben sie es trotzdem, die Strafe folgt auf dem Fuß. Vor der Wahl das Maul zu voll genommen haben sie dennoch auf der abflauenden Welle reitend ein paar Prozent eintreiben können. Ist die Welle verebbt, ist wieder Ruhe und die Grünen dort, wo sie schon immer waren. Ein Widerschein des kurzen Glanzes der Grünen ist gestern erkennbar gewesen. Mögen sie diesen über die nächsten Jahre retten können – allein mir fehlt der Glaube.

Für eine Sensation mittlerer Größe sorgte die Piratenpartei und nicht nur für eine Sensation sondern auch für aufs erfrischendste unterhaltsame verdutzte bis ratlose Gesichter beim politischen Mitbewerb, den Journalisten und Kommentatoren. Und so recht konnten die Piraten ihren Erfolg ganz offensichtlich gestern selbst noch nicht fassen. Alles umkreiste die frage „How come?“, die Antwort kann nur lückenhaft ausfallen, daher in Stichworten mein Erklärungsversuch:

Dass es in Berlin unter den Wählern knappe 9 Prozent Nerds gibt, ist unwahrscheinlich. Dass die ganzen selbstständigen Grafikdesigner, Agentursklaven oder „Designer“, die Möchtegern-Medienleute und alles was sonst noch so um Prenzelberg, Friedrichshain und Kreuzberg herumtapert, alle Piraten gewählt haben, ist ebenso unwahrscheinlich. Man weiß aber, dass eine wachsende Gruppe mit den etablierten Parteien nichts mehr anzufangen wissen. Man kauft vielen das Anzuggetrage nicht mehr ab, sieht das Unseriöse in seriöser Verpackung und wird davon nicht nur satt sondern überdrüssig. Und dann kommt ein Haufen Jungspunde des Wegs daher – unverstellt, frech, frisch. Kein Anzug, dafür lieber mal einen rauchend, redet der Pirat, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Die Verschuldung Berlins nicht beziffern können – geschenkt – spricht er etwas ungelenk aber ehrlich über einen kostenlosen ÖPNV und die Freiheit des Netzes. Das kostet Geld – sollte irgendwie gegenfinanziert sein – geschenkt.

Jetzt also sind die Piraten in Parlament und Opposition. Schade, dass sie hier insbesondere mit ihrer netzpolitischen Kompetenz nur wenig brillieren können. Dazu müssten sie in den Bundestag – der Weg dahin ist weit. Man darf den Piraten Glück wünschen, dass sie nicht untergehen im Abgeorneten haus.

Wer aber hat die Piraten gewählt? Nichts genaues weiß man nicht. Jung, männlich und ostdeutsch ist der Piratenwähler, so raunt man über den Sender B5aktuell. Aber selbst unter den Älteren finden sich Piratenwähler. Sind es gar Protestwähler? Will man hier das hohe Haus ärgern? Oder sind die Piraten mit ihrem doch recht inhaltsarmen Wahlkampf („Warum hänge ich hier eigentlich? Ihr geht doch eh nicht wählen.“) ein Sammelbecken Inhaltsarmer? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Frappant nur, dass sich der Eindruck aufdrängen könnte, dass zu viel Profil weniger förderlich sein könnte als zu wenig. Den Konjunktiv habe ich an dieser Stelle ganz bewusst gewählt. So groß die Überraschung am gestrigen Abend, so groß aber auch die Gefahr, dass über die Piraten bald niemand mehr redet. Einen Webwahlkampf werden sich nun auch die Etablierten draufschaffen, dazu bedarf es weniger der nativen Kompetenz im Umgang mit sozialen Medien sondern im Zweifelsfall einfach nur des Geldes und das ist vorhanden. Ein Einarbeiten in die Netzpolitik wird wohl auch den Etablierten gelingen – und wenn nicht, dann hab ich für alle Nicht-Piraten, die gerade suchend sind, die Geschäftsidee schlechthin: Netzpolitikberater.

Alles nicht so wild. Es hat sich – unterm Strich – nicht viel verändert. Die SPD trug, wie vorhergesehen das Ding heim. Die Linke blieb stabil, hatte halt Pech. Die CDU gewinnt ein wenig dazu, die FDP hat das Feld ja geräumt. Die Grünen haben sich verstiegen und die Piraten haben es nicht nur geschafft sondern ordentlich Boden gut gemacht – gut gemacht. Wesentliche Änderungen bleiben trotzdem ausgeschlossen. Alles nicht so wild.