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Die Vinyl-Retrofalle

Schallplatten sind – sofern gut gepresst – ein Medium mit einer exzellenten Klangtreue und Qualität – und damit mehr als nur ein Retro-Medium für Nostalgiker und solche, die sich dafür halten.

Nicht erst seit gestern ist der Trend zu beobachten, dass neue Plattenspieler – gerne in grauserweckender Retro-Optik und gerne aus fernöstlicher Fertigung auf den Merkt gespült werden. Zwei besonders merkwürdige und kuriose Exemplare mchte ich heute vorstellen, beide entstammen dem US-amerikanischen Haus Crosley, beide führen bei Liebhabern des „schwarzen Goldes“ unweigerlich zu aufgerollten Zehennägeln.

Crosley, ein ehemals trraditionsreicher Hersteller von Radios, Fernsehern und Kühlschränken – aber auch Sendeanlagen, Antennen and stuff like that, tritt heute als retro-supplyer mit einer gewissen „Innovationskraft“ in Erscheinung, d. h., man schwimmt voll mit auf der Retrowelle und erweckt einstmalige Nischen- oder Teilnischenprodukte zu neuem Leben.

Quelle: CROSLEY US

Quelle: CROSLEY US

Als „The Crosley Revolution“ wird dieser – zugegebenermaßen äußerst portable – Plattenspieler nebst Encodingfunktion via USB gefeiert. Revolution? War da nicht was? Ich meine mich dunkel zu erinnern, dass ein japanischer Hersteller sowas ähnliches bereits in den 80ern gelauncht hat. Großzügig sechs Babyzellen weiß der Plattenspieler für die Handtasche leerzuzuzeln, er kommt mit Klinken-Line Out, Klinkenkopfhörerbuchse und PC/Mac-kompatiblem USB-Out daher.

Begeisterung? Wohl eher nicht. Dass sich dieses Konzept in den 80ern nicht durchgesetzt hat, hat klare Gründe: Beim Abspielen einer Platte ohne Teller – also „frei schwebend“ – resoniert diese beim Abtastprozess deutlich stärker und störender. Auch der Tonarm mitsamt Tonabnehmer sieht wenig vertrauenserweckend aus – leicht soll er sein, aber nicht zu leicht. Und gerade hier verbietet sich der Einsatz von zuviel Kunststoff, denn Kunststoff erhöht das Lagerspiel. Solche Konstruktionen sind tendenziell nicht nur schlecht für den Klang sondern auch schlecht für die Platten.

Ok, für einen 80s-Revival-Gag taugt das Gerät schon, aber wer kauft sich ernsthalt so ein Gerät? Das Gerät mag ja gut und gerne auch in kleinere Handtaschen passen – aber die 12″ ist dann doch nicht das handtaschenkompatible Format…

Fast noch grusliger ist die Modellvariante „Varsity Stack-O-Matic„. Voll die fünfziger – das ist ein Plattenwechsler!! Ein Plattenwechsler in 2010. Ich bin am Rande der Fassungslosigkeit. Das Ding und der Hintergrund scheint mir erklärungsbedürftig: In den 1950er und 1960er Jahren war die Single ein durchaus verbreitetes Medium – bei einer Abspielgeschwindigkeit von 45 Umdrehungen pro Minute bot so eine Platte Plart für zwei Lieder. Wenn man sie wendete.

Damit man sich nicht immer aus dem Sessel erheben musste, wenn man mehrere Lieder am Stück hören wollte, kamen zu dieser Zeit Plattenwechsler auf – „normale“ Plattenspieler, die jeweils zehn Platten auf einem ausreichend lang dimensionierten Dorn in angemessener Höhe vorhielt. War eine Platte abgelaufen, krachte eine weitere auf den Plattenteller (und damit auf die erste gehörte) und der Abspielprozess begann von Neuem. Wie schon gesagt – die 50er und 60er eben – als sich die LP als favorisiertes Format etablierte, wurden solche Konstruktionen – einstmals ein nifty feature – sukzessive obsolet.

Heute gibt es keinen vernünftigen Grund, Geräte zu konstruieren, bei denen Platten aufeinanderkrachen – außer, dass es vielleicht nett anzusehen ist. Auch hier entdecken wir wieder einen Plastik-Tonarm.

Bereits zur Entstehungszeit der Plattenwechsler waren diese ob ihrer hakeligen und störanfälligen Mechanik und der Tatsache, dass bis zu zehn (sic) Platten beim Abspielen aufeinanderlagen, nicht unumstritten. Sie konnten sich auch nicht halten, diese „Jukeboxen für das Wohnzimmer“. Allein der Gedanke, Platten beim Abspiele aufeinanderliegend zu haben, weckt Schaudern in mir.

Und dann kommt noch ein drittes Ding ins Rennen von Crosley – den Mini-Vinyl-Retro-Kofferspieler, der für knappe 90 Dollar bei amazon.com angeboten wird. Der positiven Bewertungen beeindrucken mich dabei kein bisschen – auf sowas wollte ich meine Platten nicht legen.

Daher kommt zum Abschluss dieses Posts das, was ich zu solchen Gelegenheiten immer sage: Auch wenn aus all diesen Dingern wohl Ton kommen mag, ist ein Plattenspieler immer noch ein Präzisionsgerät mit hohem Feinmechanikanteil. Der Einsatz von haufenweise Kunststoff bietet weder eine gute Basis zum Entkoppeln, noch hilft er das Spiel, dass zweifeLEYlsohne jedes Lager hat, einzudämmen. Auch wenn diese Geräteart nett anzusehen ist – Leute, kauft euch was Gescheites oder Gutes gebrauchtes. Guter Klang ist der Maßstab, ein USB-Port am Plattenspieler ist kein Feature.

Vinylkiller – ob man das wörtlich nehmen darf?

Vor vielen Jahren – vielleicht erinnert sich jemand – gab es mal einen VW-Spielzeug-Plastik-Bully mit einem interessanten Feature: Er fuhr im Kreis, im Unterboden war ein Tonabnehmersystem eingearbeitet und wenn man eine Schallplatte auf den Tisch legte, fuhr er im Kreis und spielte die Platte so ab (oder er verlor einfach immer wieder die Rillen und zerkratze die Platten). So eine Art mobiler Turntable.

Und natürlich: Sowas gibt´s (wir haben ja Retrowelle) wieder und es kommt – wen nimmt es Wunder – aus Japan. Es ist kein Bully mehr sondern einer dieser hässlichen BMW-Minis geworden, aber das Konzept ist das gleiche…

Befeuert wird das gute Stück von einer 9V-Blockbatterie (auch irgendwie retro). Gar nicht retro ist der Preis für dieses sich schon auf den ersten Blick offenbarende Spielzeug: Im EU-Onlineshop soll es inklusive Versand 11400 Yen kosten, das sind knappe 85 EUR!

Wer bauts? Eine Firma namens Razy Works – da kann man das Teil bestellen und das Bild ist auch von deren Webseite.