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Sollte ein Computer für Hartz IV-Empfänger zur Grundausstattung gehören?

Einer der Aufreger dieser Woche: Das Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen entschied, dass bei der Wohnungserstausstattung Hartz IV-Empfängern ausdrücklich kein Computer zusteht. Wobei, so ganz stimmt das nicht, denn bei der Klage vor dem Gericht ging es erst einmal um die Gewährung von Prozesskostenhilfe, der eigentliche Gegenstand wird erst noch verhandelt. Aber allein das Signal, dass das Landessozialgericht da setzte, ist verheerend.

Es gibt eigentlich nur ein Argument, bei der Erstausstattung einer Wohnung einen Computer zu verweigern: So ein Gerät kostet Geld. Weiterhin aber würde es nur Vorteile bringen, Hartz IV-Empfänger mit einem Rechner und Internetzugang auszustatten. Und zwar am besten jeden. Warum?

Ein Rechner nebst Internetanbindung und Drucker ermöglicht Hartz IV-Empfängern eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wie es mittlerweile für viele Menschen blich ist. Allein daher darf ihnen der Zugang zu diesem Kommunikationsmittel nicht verweigert werden. Es kann nicht angehen, dass die Politik einerseits über den „digital gap“ schwadroniert und andererseits deutsche Gerichte diesen zementieren. Hartz IV-Empfänger sind außerdem in der Regel gehalten, sich regelmäßig zu bewerben. Dazu braucht es aber einer zumindest halbwegs zeitgemäßen Ausstattung – die zuhause, regelmäßig und mit geringen Kosten betrieben werden kann. Eine Bewerbung fasse ich nicht mal so einfach im Internetcafé ab. Und auf den ollen Mühlen der Arbeitsagentur, die sowieso nur das agentureigene Jobangebot auf den Schirm bringen, schon gleich zweimal nicht. Der Hilfeempfänger muss in die Lage versetzt werden, sich im Netz aus unterschiedlichen Quellen Jobangebote ansehen zu können, Er muss weiterhin in die Lage versetzt werden, diese auch zu beobachten und gegebenenfalls schnell reagieren zu können. Auch muss es ihm ermöglicht werden, sich online zu bewerben, denn das ist immer öfter gefragt. Hierzu benötigt er natürlich auch eine EMailadresse.

Ich sehe es ebenso als notwendig an, dass der Hilfeempfänger sich mit dem Computer auseinandersetzt und sein Anwenderwissen auf einem aktuellen Stand hält, denn gute (und aktuelle) EDV-Kenntnisse sind in immer mehr Jobs eine wichtige Qualifikation. Dieses Wissen zu vertiefen gelingt aber kaum im Internetcafé an fremdem Gerät mit teilweise unsinnigen Limitationen.

Auch ermöglicht der eigene Computer, dass sich Hartz IV-Empfänger besser organisieren und in Selbsthilfeforen austauschen können. Womöglich haben Politiker und Richter genau hiervor Angst, nichts desto trotz ist dies eine Notwendigkeit und kann die Betroffenen in die Lage versetzen, besser mit iherer Armut umzugehen und sich mündig auch gegen ARGEN oder Unternehmen aus der Privatwirtschaft, die aus ihrer Situation Kapital zu schlagen suchen, zu emanzipieren.

Ein Computer nebst Internetanbindung muss also Bestandteil einer Wohnungserstausstattung sein. Heute genügt es nicht mehr, sich mittwochs und samstags eine Tageszeitung zu kaufen und nach passenden Stellenanzeigen zu durchforsten. Auch auf den Webseiten der Arbeitsageturen finden sich längst nicht alle Stellenangebote – Online-Jobbörsen finden sich bei den Städteportalen, in Recruiternetzwerke, auf Xing, bei den Kammern… Der Besucheines Internetcafés erzeugt Kosten, mitunter in einer Höhe, die sich die Betroffenen nicht leisten können.

Auch ist der Datenschutz in Internetcafés nicht immer gewährleistet. Dies darf auch Hartz IV-Empfängern nicht zugemutet werden.

Wenn die Politik ein ernsthaftes Interesse daran hat, dass Betroffene wieder in Lohn und Brot kommen und sich weiterbilden, so muss sie ihnen auch eine entsprechende Infrastruktur – aus praktischen Gründen im Privathaushalt – zur Verfügung stellen.

Wie aber soll das funktionieren?

Es muss zuerst einmal per Gesetz (geeignetenfalls per Verordnung) der Anspruch auf einen Computer pro Bedarfsgemeinschaft festgeschrieben werden. Ich selbst bin überzeugt, dass sich die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sich ein Gerät teilen können.

Weiterhin sollen den Hilfebedürftigen Angebote unterbreitet werden, die geeignet sind, sie in die Lage zu versetzen, souverän mit dem Computer, seiner Peripherie und dem Netz umzugehen.

Der Regelsatz muss um einen Betrag aufgestockt werden, der dem Hilfeempfänger einen angemessen Zugang zum Internet und anderen allgemeinüblichen Datendiensten ermöglicht. Dies ist nötig, da lebenspraktische Erfahrungen im Jahr 2010 abbilden, dass ein Computer heute mehr ein Kommunikationsinstrument, weniger eine „bessere elektronische Schreibmaschine“ darstellt. Diese Funktionalität ist sicherzustellen.

Zum Computer selbst ist eine für o.g. Zwecke dienliche Peripherie zu stellen. Auf der Seite der Eingabegeräte ist insbesondere eine Tastatur und Maus zu nennen, zu den Ausgabegeräten soll ein Bildschirm in ausreichender Größe und ein Lautsprecher (zur Wiedergabe von Systemtönen, Videoton…) sowie ein im Unterhalt kostengünstiger Drucker gehören. Um die Kommunikation sicherzustellen, hat das Gerät selbst über übliche Schnittstellen in ausreichendem Umfang zur Verfügung zu stellen (Ethernet-Anschluss, USB).

Es muss sich bei einem solchen Gerät natürlich nicht um einen High-End Gamer-PC handeln, aber der Rechner sollte immerhin performant genug sein, dass ein Betreiben vom Internetprogrammen und einem Office-Paket möglich ist. Heute sind solche Rechner übrigensnicht mehr teuer. Der Preisverfall gerade in diesen Geräteklassen ist enorm und daher ist eine entsprechende Ausstattung auch leistbar und den ARGEN zuzumuten.

Ein Wort zur Software: FreieSoftware ist heute in der Lage, oben genannte Bedarfe nicht nur zu decke n, sie ist von der Usability her auch so aufgebaut, dass der Hilfeempfänger mit ihr auch ähnliche Strukturen zu beherrschen erlernt, diesich in kommerziellen Produkten wiederfinden. Ein Rechner, der mit Linux, Open Office und Mozilla konfiguriert ist, erfüllt seine Zwecke. Ein günstiges „Netbook“ halte ich nur für bedingt geeignet, da hier zum einen der Bildschirm für ein dauerhaftes Arbeiten zu klein ist und sich solche Systeme kaum aufrüsten oder reparieren lassen.

Für das Jahr 2010 schlage ich daher folgende Mindestkonfiguration vor: Tower- oder Desktop-Gehäuse mit mindestens 2 GHz Taktgeschwindigkeit, 1 GB Arbeitsspeicher und 160 GB Festplattenkapazität CD/DVD-Brenner, 19/100 Mbps-Ethernetport, mindestens drei USB-Anschlüsse, ein 17Zoll-Flachbildschirm, kabelgebundene Tastatur und kabelgebundene optische Maus, einfache Aktivlautsprecher, 4 GB USB-Stick einfacher Tintenstrahldrucker.

Der Regelsatz ist um mindestens 25 Euro aufzustocken, damit der Hilfeempfänger mindestens einen entbündelten DSL-Anschluss bestellen kann, in Gebieten, in denen DSL nicht verfügbar ist, muss ein Zusatzbetrag gezahlt werden, um einen Zugang zum Internet via Moden herstellen zu können.

Jeder Hilfeempfänger soll an einem Computerkurs teilnehmen können. Das soll ihm helfe n, mit dem Gerät besser umzugehen zu lernen, Bewerbungen professionell abzufassen und die Kommunikationsmöglichkeiten im Internet kennen zu lernen. Gerade älteren Hilfeempfängern sind solche Kurse nahezulegen.

Solche Ansätze sollten von der Politik ernsthaft diskutiert werden. In den 1970er Jahren war der Fernseher vielleicht noch nicht Standard, aber in der Mehrheit der Haushalte war er vorhanden. Heute ist ein Fernseher Standard. Auch der Computer ist inzwischen Standard. Dem muss Rechnung getragen werden.

Gemeinnützige Arbeit?

Es ist Wahlkampf in NRW und hier in Bayern bekomme ich davon gottlob nicht mehr mit, als unbedingt nötig. In Wahlkampfzeiten wird gerne mal der ein oder andere Vorschlag präsentiert, der sich schon auf den ersten Blick als Unfug erweist. Der Wahlkampf-Unfug des heutigen Tages kommt ausnahmsweise nicht von Herrn Rüttgers sondern von der stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden und -Spitzenkandidatin Hannelore Kraft. Sie forderte, so ist beim Spiegel nachzulesen, dass nicht/schwer vermittelbare Hartz IV-Empfänger zu gemeinnütziger Arbeit in Altenheimen oder Sportvereinen herangezogen werden und hierfür wie folgt zu „entlohnen“ sind:

Als Lohn für die langfristige Beschäftigung in gemeinnützigen Jobs reiche ein „symbolischer Aufschlag auf die Hartz-IV-Sätze“, der ohne Mehrkosten für den Staat realisierbar sei. (Spiegel Online)

Hut ab, Frau Kraft: Ihr „Vorschlag“ ist genau so unwürdig wie das Geschwafel von Herrn Westerwelle in den letzten Wochen, aber immerhin: Es klingt nicht ganz so schlecht.

Es gibt Politiker, die wollen, dass Hartz IV-Empfänger Straßen ausbessern und welche, die wollen, dass sie in Altenheimen arbeiten. Wo ist der Unterschied? Der Unterschied liegt im Wesentlichen darin, dass es der Straße herzlich wurscht sein dürfte, ob sie von einem gelernten Straßenbauer sachgerecht instandgesetzt wird oder ob ein arbeitsloser Wirtschaftspädagoge irgendwie an Schlaglöchern herumpfuscht. Der Straße bereitet das keine Schmerzen. Im Altenheim braucht es Fachkräfte für die Pflege und auch für die soziotherapeutische Betreuung. Wenn solche Tätigkeiten von Ehrenamtlichen ausgeführt werden, dann haben die zwar nicht zwingend eine Fachausbildung, aber mindestens eine fachgerechte Anleitung und nicht allein Interesse an der Tätigkeit (und die dazugehörige Motivation) sondern auch eine Idee davon, wie sie sich im Ehrenamt am besten weiterbilden. Das gilt auch für den Sportverein. Will man nun alle Hartz IV-Empfänger zum Übungsleiterschein „zwingen“?

Ein Dienst im Sozialbereich ist nicht selten hartes Brot. Man muss das wirklich wollen und auch eine Art Berufung dazu verspüren. Und es bedarf, schließlich will man den Klienten. Betreuten und Bewohnern keinen Schaden zufügen, auch einer Fachausbildung oder mindestens einer Anleitung in Verbindung mit echter Motivation dessen, der den Dienst später versehen soll. Diese Ausbildungen sind, entgegen der landläufigen Meinung, lange und komplex. Wer das nicht glauben mag, der sehe sich einmal den Ausbildungsplan eines Altenpflegers an. Das ist nicht von Pappe. Wer im Sozialbereich Qualität möchte (und das wollen Klienten, Angehörige, Mitarbeiter aber auch Kostenträger), der muss bereit sein, in diese Qualität zu investieren.

In sozialen Bereichen ehrenamtlich Tätige genießen einen Vorzug: Sie verfügen über die Freiheit, sich nicht überlasten zu müssen, können wählen, was sie sich zumuten wollen (und was nicht) und entwickeln in der Regel nach kurzer Zeit ein sicheres Gespür, wofür sie Verantwortung tragen können (und wofür nicht). Zwangsverpflichteten Hartz IV-Empfängern wird diese Freiheit im Sozialbereich nicht zuteil, zumindest lässt der Plan Krafts nichts davon erkennen. Unterm Strich würde man sich wohl mehrheitlich Menschen in einen Bereich holen, die ihre Arbeit weder richtig versehen können noch wollen noch im geforderten Umfang Verantwortung tragen können. Es ist ganz klar: Es wird, würde diese Idee tatsächlich umgesetzt, selbstverständlich Menschen geben, denen soziale Tätigkeiten liegen und die in diesem Tun für den Nächsten Halt und Perspektive finden. Ich gehe aber auch davon aus, dass es mindestens ebensoviele Menschen geben wird, die der an sie herangetragene Dienst einfach überfordert. Und das hilft weder dem Hartz IV-Empfänger noch den alten Menschen noch dem Heim (und dann wohl auch nicht dem Staatssäckel).

Wenn man sich dann noch die für den Staat kostenneutrale „Entlohnung“ der für diesen Dienst vorgesehenen Menschen ansieht, dann ist schon klar: Das Maß ist voll. Es wundert mich indes nicht, dass eine Sozialdemokratin die Frechheit besitzt, solche Forderungen auch noch in aller Öffentlichkeit kundzutun (mit dieser SPD ist bereits seit Schröder kein Blumentopf mehr zu gewinnen).

Nun gut, von einer Sozialdemokratin soll man nicht mehr erwarten, umso schändlicher und beschämender ist dafür, dass nun auch die Diakonie (gehört zur evangelischen Kirche) fordert, einen „sozialen Arbeitsmarkt“ für Erwerbslose aufzubauen. Bei Kirchens klingt diese Forderung noch etwas netter als bei Tante Kraft und um Welten besser als bei Westerwelle. Das nutzt aber alles nix, ist doch das Mindset der Leute, die diese Forderungen erheben, im Prinzip dasselbe: Menschen ohne Rücksicht auf Verluste zur Arbeit zu zwingen (egal, ob das sinnvoll ist oder nicht).

Eigentlich, so möchte man meinen, müsste gerade die Diakonie ein Interesse an professioneller sozialer Arbeit von qualifizierten Arbeitnehmern haben. Doch weit gefehlt: Auch die Kirche, Gewinnstreben sollte ihr fremd sein, hat ein Interesse an möglichst billiger Arbeit. Die Rummelsberger Anstalten gehören beispielsweise zur Diakonie und dort war es lange Jahre Praxis, Mitarbeiter nicht fest anzustellen sondern zu Dumpinglöhnen bei der Rummelsberg-Diakonie-kircheneigenen Zeitarbeitsfirma PAKT zu beschäftigen. Die Diakonie selbst versucht immer wieder, sich in der Öffentlichkeit als eine Vorreiterin professioneller sozialer Arbeit zu präsentieren und tut als großer Arbeitgeber nichts anderes, als dieses Vorhaben zu untergraben. Durch Lohndrückerei und durch solche Forderungen, wie sie unlängst ein Herr Kottnik erhoben hat. Bravo.

Und so ist auf der Webseite der EKD zu lesen:

Der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor muss Kottnik zufolge als sozialer Arbeitsmarkt ausgebaut werden. Dann könnten auch Langzeitarbeitslose ohne Vermittlungschancen auf dem regulären Arbeitsmarkt eine Beschäftigung aufnehmen, „statt dauerhaft ausgegrenzt und alimentiert zu werden“, betonte Kottnik. Der massenhafte Einsatz von „Ein-Euro-Jobs“ führe weg von diesem Ansatz.

Merkt man in der Diakonie denn nicht, dass sich hier die Katze in den Schwanz beißt? Ganz recht, der Einsatz von sog. „1-Euro-Jobbern“ bringt weder dem sog. „1-Euro-Jobber“ noch irgendwem sonst etwas. Aber das berührt das Problem nur am Rand: Zum einen wird von Pflegenotstand, von Mangel an qualifizierten Fachkräften gesprochen, weiterhin soll die Qualität in Sozialeinrichtungen ständig steigen und zum anderen wird Pflegen und Erziehen – auch von Diakonie und Caritas – miserabel bezahlt und solche Kottnikschen Vorstöße in Richtung „Bürgerarbeit“ haben das Potenzial, aus den miesen Löhnen echte Dumpinglöhen zu machen (wovon dann keine Erzieherin und keine Pflegerin mehr leben kann). Die Folgen, das lässt sich in eiligem Staccato herunterdeklinieren: Sinkende Qualität, Burn Out, Personalfluktuation, Belastung des Staates durch kranke Mitarbeiter von Diakonie und Caritas und durch Transferleistungen zum Aufstocken der Dumpinglöhne. Und unter solchen Vorzeichen will dann auch keiner mehr Pfleger werden. Und das bei der hinlänglich bekannten demographischen Entwicklung… Mensch, liebe Leute bei der Diakonie, ihr könnt doch nicht allen Ernstes so dämlich sein und die Hand gegen Euch selbst erheben! Bei Politikern, deren Vorstellungs- und Handlungshorizont selten weiterreicht, als eine Legislaturperiode, mag ich mir das noch eingehen lassen, man ist ja nichts anderes gewohnt, aber die Kirche sollte hier doch etwas souveräner auftreten und weitsichtigere Konzepte anbieten. Und, liebe Kirchenleute, nur für den Fall, dass ihr das vergessen habt: Auch eure Mitarbeiter sind Euch anbefohlen!

Autsch, Herr Westerwelle!

Ich bin erfolgreich darum herumgekommen, etwas über Guido Westerwelle zu schreiben, zumindest bis jetzt. Nachdem mich gestern per Mail aber eine weitere Einlassung (zu der ich später kommen werde) erreichte, – und weil heute ja politischer Aschermittwoch ist, nun also doch meine 5 Cent zu der ganzen Sache:

Wen wundert bitte das bräsig-hohle Gesabbel von Herrn Westerwelle? Mich wundert das nicht. Ich habe fest damit gerechnet. Und ich habe mich darüber noch nicht einmal gewundert. Umso mehr wundert mich das Westerwelle-Bashing seit einer Woche. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte – keineswegs. Aber, liebe Leute, liebe Journalisten, was bitte ist denn daran das Besondere? Zur Erklärung: Herr Westerwelle gehört der FDP an. Die FDP ist nicht liberal – sie spaltet sich im wesentlichen in Neokonservative und Rechtslibertäre. Auch das ist nicht neu.

Das Bundesverfassungsgericht hat also in KW 6 Hartz IV im Wesentlichen kassiert (was mich auch nicht wundert, mich wundert hier eher, warum es so lange gedauert hat). Gut hieran ist, dass im Härtefall (wie auch immer der sich definieren mag – ich ahne, dass diese Frage die Gerichte in Zukunft gut beschäftigen wird), die ARGEN reagieren müssen und Mittel (Geld oder Dinge) zur Verfügung zu stellen haben – und zwar fix. Damit wird aber nur das Bundessozialhilfegesetz von 2003, das bis 2005 Anwendung fand, zu einem kleinen Teil restauriert. Und hier will ich eines in aller Deutlichkeit bemerken: Schröder und Konsorten installierten Hartz IV, um zum einen Geld zu sparen, zum anderen Bürokratie abzubauen und des weiteren Gerechtigkeit herzustellen. All dies wurde nicht erreicht: Die Sozialausgaben sind seit Hatz IV drastisch gestiegen, obschon der Einzelne oder die Bedarfsgemeinschaft unter dem Strich weniger Geld zur Verfügung haben als zu Zeiten des BSHG (gemessen an der Kaufkraft bzw. am Warenkorb). Es wird also mehr Geld ausgegeben und den Menschen geht es schlechter – das lässt sich inzwischen objektiv belegen. Bürokratie wurde auch keine reduziert – im Gegenteil: Die Hartz-Gesetze sind derart schlecht und die Umsetzung selbiger in den ARGEN (geschaffen für das Handling von Hartz IV – soviel also zum Thema Bürokratieabbau) ist so verbrecherisch, dass eine Klagewelle durchs ganze Land rollte und rollt (mit dem Ergebnis, dass jeder zweite Bescheid falsch ist – zu Lasten des Antragstellers). Und dass Hartz IV und die daran gekoppelte Zwangsarbeit der „1-Euro-Jobs“ gerecht sei, ist gelogen. Nichts anderes stellt das BVG im Kern fest.

Ironie des Schicksals: Das BVG diktiert den größten Sozialabbauern in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (die aktuelle Bundesregierung ist gemeint) nun die Hausaufgabe, das SGB II grundlegend zu überarbeiten. Doch was macht Schwarz/Gelb? Machen sie sich an die Arbeit? Nein, sie kotzen erstmal kräftig.

Welches Mindset dahintersteht zeigt schon die Kausa um die ARGEn. Auch diese wurden vom BVG kassiert. Man könnte nun als Regierung diese Strukturen so umorganisieren, dass sie in Zukunft verfassungskonform sind. Wie schon gesagt: Man könnte. Schwarz/Gelb aber will lieber das Grundgesetz ändern, um so die Verfassung „ARGEn-konform“ zu machen. Wer noch daran glaubt, dass solche Leute das Sozialsystem zum Wohle der Schwachen umkrempelt, ist reichlich naiv.

In diesem Kontext betrachtet sind die Reaktionen Westerwelles nichts anderes als eine stringente Beschreibung der gewünschten Politik. Die FDP steht, in Tateinheit mit CDU und CSU, für totalen Sozialabbau.

Was viele für eine Entgleisung Westerwelles halten, ist keine Entgleisung sondern das politische Konzept der Bundesregierung. Nicht weniger und nicht mehr. Wer das noch nicht begriffen hat, der wird es wohl auch nicht mehr lernen. Den Beweis, dass diese Aussage stimmt, hat Westerwelle im Übrigen selbst angetreten: Er nahm nämlich kein Wort dessen, was als „Entgleisung“ gescholten wurde zurück.

Ganz klar: Wer im Anbetracht des Eckregelsatzes von 359 Euro per Monat von „spätrömischer Dekadenz“ spricht, ist meilenweit von jeder Realität entfernt. Und dass Herr Westerwelle weder besonders klug noch besonders stilvoll ist, hat inzwischen ebenfalls Gemeingutstatus. Hand aus Herz: Was erwartet Ihr von einem Mann, dem es nicht zu blöd ist, mit Dolly Buster (sic!) für seine Partei zu werben, der Vorsitzender einer Spaßpartei sein will und das mit Auftritten im Big-Brother-Container (sic!) und humoresken Showeinlagen neben dem Guidomobil belegt? Erwartet Ihr von dem etwas Ernst zu nehmendes? Nicht wirklich, oder?

Die Lehre aus dem ganzen Desaster kann für all jene, die sich dazu hinreißen haben lassen, CDU, CSU oder FDP zu wählen, nur lauten: Nie wieder CDU, CSU und FDP wählen. Damit hätte sich nämlich der größte Teil der Probleme Deutschlands erledigt. Westerwelle macht gerade breiten Bevölkerungsschichten in unnachahmlicher Weise klar, warum es Unsinn ist, FDP zu wählen (und der Erfolg lässt nich lange auf sich warten). Man sollte ihm also dankbar sein – schließlich ist es Westerwelle, der das Projekt „Ich drücke die FDP unter die 5%-Hürde“ recht erfolgreich angegriffen hat.

Heiner Geißer (CDU) brauchte nicht lange für die Analyse: „ein Esel [ist] Bundesaußenminister geworden“.

Damit sollte es gut sein, oder? Möchte man meinen, aber gestern erreichte mich besagte Mail:

War klar, dass der bei der Diskussion auch noch mitschnacken will.

Und da haben wir es: Kaum steht ein Blöder auf und sagt blöde Dinge, schon findet sich ein noch Dümmerer, um noch einen draufzusatteln: Der dämliche Zickenbart vom IFO-Institut Hans-Werner Sinn, der immer plappert, wenn ihn keiner fragt, sagt in seinem Leib- und Magenblatt Welt:

Der Strom kommt aus der Steckdose, und das Hartz-IV-Einkommen vom Amt. So denken leider viele. Dabei argumentieren sie mit der Bedarfsgerechtigkeit. Dieses Konzept geht auf Karl Marx zurück. So gesehen ist die Feststellung, dass die Diskussion sozialistische Züge aufweist, richtig. (Quelle: Welt)

Herrschaft! Welchen Marx hat denn Sinn gelesen? Karl Marx? Ich glaube, der verwechselt Karl Marx mit Adolf Marx (SS) oder Chico Marx (Marx Brothers). Sinn lässt sich hier zu billigsten Populismus hinreißen, unterstellt er doch Hartz IV-Empfängern nichts anderes als gedankenlos zu leben und nur auf Ansprüche zu pochen. Solch billige Scheinargumente, Herr Sinn, sind eines Professors nicht würdig! Schämen Sie sich! Anhand solcher Aussagen lässt sich nicht nur erkennen, wes Geistes Kind dieser Professor Sinn ist, sondern auch, dass er nichts verstanden hat. Seinen Marx, das sei ihm mit auf den Weg gegeben, möge er noch einmal studieren! Über seine idiotischen Einlassungen zu Thema Quasi-Mindestlohn durch Hartz IV äußere ich mich an dieser Stelle nicht, denn das ist mir zu blöd und gehört auch nicht zum Thema.

Ich bin sehr gespannt, wie es glücken soll, Hartz IV zu reformieren, solange wir von Menschen mit Westerwellescher Geisteshaltung regiert werden, denen auch noch Leute wie Professor Sinn soufflieren.

SPD-Parteitag

Gestern hatte ich die seltene Gelegenheit, einmal nachmittags fernzusehen (das kommt – arbeitsbedingt – nicht oft vor). Und ich habe mir tatsächlich den SPD-Parteitag in Dresden, übertragen auf Phoenix, angesehen. Gut, von sehen kann nicht die Rede sein, ich hab´ ihn mir eher im Fernsehen angehört und meine Ablage erledigt – aber hinsehen musste ich schon immer wieder.

Ich habe erwartet, dass der Parteitag einen Raum zum Wunden lecken nach der Wahlschlappe bietet, und im Prinzip ist es auch so gekommen – aber irgendwie hinterließ die gestrige Veranstaltung doch eher ein mulmiges Gefühl.

In etlichen Redebeiträgen der Aussprache wurde Münte bedankt und Münte attackiert – beides zugleich und, das gibt Hoffnung, beides recht offen. Die Delegierten haben sich selbst wenig zensiert. Wichtige Impulses (ich kann sie jetzt nicht einzelnen Rednern exakt zuordnen, die Tagesordunung auf der SPD-Seite verzeichnet die jeweiligen Redner nicht – und namentlich merken konnte ich sie mir auch nicht):

  • Die Sozn an der Basis schäumen scheinbar immer noch vor Wut: Über die Rente mit 67 und Hartz IV. Ich bin froh, dass man diese eklatanten Fehler erkannt hat und offen anspricht. Wie diese Fehler aber rückgängig gemacht werden könnten, dazu wurde kein (sic!) Wort verloren. Das ist der erste und maßgebliche Grund für mein mulmiges Gefühl: Mir scheint, als mache man sich Luft über die Hartz IV und der Rente mit 67 inhärenten Ungerechtigkeit und habe diese dennoch als unabänderlich stillschweigend akzeptiert. Wenn dem so ist, dann hat die SPD aus sich heraus keine Chance, ihre Krise zu meistern. Dann bleibt ihre einzige Chance, darauf zu vertrauen, dass es CDU und FDP noch schlechter machen (wovon ausgegangen werden darf). Aber ob es genügt, unter den Blinden der Einäugige König zu sein?
  • Im Interview war ich insbesondere von Hans-Jochen Vogel enttäuscht, der die Fehler der SPD in der jüngeren Vergangenheit herunterspielte und den Fokus auf „Kommunikationsprobleme“ lenkte. Ich persönlich finde, dass das der Sache nicht gerecht wird.
  • In der Aussprache wurde von einem Redner der Wunsch artikuliert, den Jusos mehr und besser zuzuhören, da diese nicht die „Spielwiese der SPD“ seien sondern ein wichtiges Frühwarninstrument nd Indikator wichtiger gesellschaftlicher Themen. Stimmt das? Ich müsste wie das sprichwörtliche Radio Jerewan antworten: „Im Prinzip ja“. In puncto Freiheitsrechte im Internet waren es in der Tat die Jusos, die diesen Impuls in die Partei trugen. Sie waren damit aber reichlich spät dran, wir erinnern uns: Bedeutung und Wichtigkeit des Themas erkannten sie erst , als ihnen Tauss davonlief. Und da war das Thema bereits erfolgreich von der Piratenpartei besetzt. Wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätte er den Hasen erwischt…
  • …dabei darf auch nicht verkannt werden, dass neben Sinnvollem gerade von Seiten der Jusos in der letzten Zeit auch viel Unsinn verzapft wurde. Sie sprechen sich gegen den Kriegseinsatz in Afghanistan, Rente mit 67 und Hartz IV aus – Lösungsvorschläge sucht man bei den Jusos ebenso vergeblich wie bei den Alten. Ich habe in Anbetracht dieser Erfahrungen wenig Vertrauen in die Innovationskraft der Jusos.
  • Weiterhin wurde die Entfernung von der Basis festgestellt und ebenso, dass es auch und im Besonderen an der Sprache liege. Dem Arbeiter, der mit dem Schweißkoffer durch enge Schächte kriechen müsse und der sich vor der Rente mit 67 ob der realistischen Einschätzung seiner endlichen körperlichen Kräfte ängstige, könne nicht mit Charts und Slides geantwortet werden. Hier offenbart sich die verkorkste Denke: Nicht die Präsentation der Gründe für die Rente mit 67 sind hier das Problem sondern die Rente mit 67 an sich ist das Problem! Ein Übersetzen der Slides und Charts in Gemeinsprache ist keine Lösung! Die Rückgängigmachung der Rente mit 67 ist die Lösung.

Und dann die personelle n Entscheidungen: Über den neuen Parteichef Gabriel lasse ich mich erst aus, wenn er wieder in ein Fettnäpfchen getappt ist. Das kann ich abwarten. Und Nahles als Generalsekretärin? Oh Gott! Wann wird die SPD es endlich schaffen, sich von diesem Weib zu emanzipieren??

Der Parteitag gestern bot ein notwendiges Ventil zum Herumfrusten. Richtungsweisendes suchte man gestern vergeblich. Insbesondere die Frage einer zukünftigen Öffnung in Richtung der Linken wurde ium besten Falle gestreift. Aber genau dies ist die zukunftsentscheidende Frage der SPD. Nur: Sie kapiert es leider recht zögerlich.

Es gibt z diesem Thema übrigens von Seiten der Springerpresse noch ein lustiges Scholion: Nahdem die Sozn auf ihrem Parteitag rumfrusten durften, gibt die „Welt“ online auch ihren Lesern dazu die Gelegenheit:

Jetzt warten wir mal zu, was der Parteitag heute noch so bringt. Ich denke nicht, dass viel Neues oder gar revolutionäres passiert…

20 Jahre Mauerfall: Hartz IV regionalisieren

Immer wenn irgend etwas in Deutschland passiert oder gefeiert wird, was auch nur im entferntesten mit Wirtschaft zu tun hat oder haben könnte, darf man sich sicher sein, dass der dämliche Zickenbart vom Ifo-Institut Hans-Werner Sinn wieder irgendwas mitzuschnacken hat.

Was will er heute, zum zwanzigjährigen Jubiläum des Mauerfalls wieder von uns? Er will die Hartz IV-Sätze „regionalisieren“.

Im Prinzip – so möchte man me9inen, wäre das noch nicht einmal schlecht, würde der Hartz IV – Regelsatz in besonders teuren Gegenden aufgestockt werden. Er deckt, wer rechnen kann, weiß das, selbst in Regionen nicht die Lebenshaltungskosten, denn Hartz IV bedeutet Armut.

Dass ist – wen nimmt es Wunder –  aber nicht das Ansinnen Sinns. Vielmehr geht es Sinn darum, die Armen noch ärmer zu machen:

Seine „Ideen“, publiziert in der FTD und vom Spiegel wacker aufgegriffen, zielen natürlich nicht auf eine Erhöhung der Regelsatzes sondern auf dessen Kürzung in strukturschwachen Regionen. Mit Sinns Worten bedeutet das, dass die Regelsätze „regionalisiert und an das Preisniveau vor Ort angepasst werden“ müssten.

Und er wird hierbei noch konkreter (und in diesem Zitat spiegelt sich der Abgrund wieder, der sich da auftut):

Es kann nicht sein, dass der Hartz-IV-Empfänger in Ostberlin dasselbe kriegt wie der in Hoyerswerda, obwohl er in Berlin mehr für die Lebenshaltung bezahlen muss.

Kann es nicht? Doch, kann es schon. Denn eine Senkung des Regelsatzes in strukturschwachen Regionen macht genau was? Richtig, es schwächt die Struktur. Wenn dann die öffentlichen Kassen klamm sind, kann man den Regelsatz ja nochmal senken und die Struktur weiter schwächen und die öffentlichen Kassen noch klammer werden lassen…

Es bedarf dieses Teufelskreises noch nicht einmal, die einmalige Senkung der Regelsätze hätte schon genug negative Auswirkung. Es ist erschreckend, wie Sinn die deutsche Teilung überwinden will. Und im Spiegel legt er nach:

Die Ostdeutschen sind sich gegenseitig zu teuer.

Und der Spiegel erklärt, was Sinn da orakelt:

Für viele Ost-Unternehmen sei das Lohnniveau zu hoch. Vor allem deshalb gebe es in Ostdeutschland eine deutlich höhere Arbeitslosenquote als im Westen.

Ich kann es immer noch nicht fassen, dass der Spiegel diesen Mann als Top-Ökonom bezeichnet. Man schafft keine blühenden Landschaften durch Verzapfung blühenden Unsinns. Der „Osten“ wurde ausverkauft, der Einigungsprozess ist ein Glücksfall und volkswirtschaftliche Makulatur zugleich.

Das zu begreifen und damit umzugehen (ich spreche hier noch nicht mal vom dringend gebotenen Gegensteuern) ist ein Lernauftrag an alle – nur Sinn ist hier, mal wieder, lern- und beratungsresistent.

Das ganze Elend natürlich auf SPON. (Bildnachweis: Wikipedia, Jan Roeder, CC-BY-SA)
Bildnachweis: CC BY-SA 3.0 Wikipedia/Jan Roeder

Einheit? Der Osten ist arm!

Im November jährt sich der Mauerfall zum zwanzigsten Mal. Ein gutes Jahr später hörte die DDR auf zu existieren und ging in die Bundesrepublik Deutschland über. Das das nicht ohne Brüche und Verwerfungen hat vonstatten gehe n können, ist nicht verwunderlich. Aber wie weit ist die „Einheit“ nach nun knapp zwanzig Jahren gediehen?

Am Montag stellte der Paritätische Wohlfahrtsverband nun eine Landkarte der besonderen Art vor: Die Armutsquoten 2007 verortet nach  Bundesländern und Regionen. Und das Ergebnis dieser Studie vermag nicht nur zu erschrecke n und zu verstören – es lässt sogar Zweifel an der Qualität der Einheit zu. Deutliche Zweifel.

Ein Beispiel: In der Industrieregion Mittelfranken (dazu gehört aber unter anderem auch das verhältnismäßig reiche Schwabach) verfügten im Jahr 2007 12,7 Prozent der ein Einkommen, dass mindestens 40% unter dem Durchschnittseinkommen liegt – oder anders ausgedrückt: Diese Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Und diese definiert sich dadurch, dass der Betroffene 60% oder weniger eines mittleren Einkommens zur Verfügung hat.

Blickt man in andere Regionen, sieht es oft nicht besser aus: Der gesamte Osten kann den Wert Nürnbergs nicht erreichen – und in Nürnberg sagte man 2007 noch, dass mindestens ein Viertel der Einwohner arm sind oder akut von Armut bedroht sind. Es gibt nur ein Bundesland im Westen, dass sich mit den schlechten Werten Ostdeutschlands messen lassen kann: Bremen.

Oder etwas provokativer: Es gibt eine „Armuts-DDR“ in Deutschland – Bremen kann man da dann als Exklave gleich miteingemeinden. Treffender als das Neue Deutschland am Dienstag lässt es sich kaum noch formulieren – die Zeitung titelte: „Die DDR in den Grenzen von 2009“. Es ist ein unumstößlicher Fakt: Das sogenannte „Beitrittsgebiet“ ist in ökonomischer Hinsicht deutlich vom Rest Deutschlands diskriminiert. Abgehängt. Oder einfacher: Das Land ist geteilt. Nach wie vor. Das ist eine Tatsache, die nun auch wissenschaftlich erwiesen ist. Und allen Wahlkämpfern rufe ich zu: Dieser Fakt ist nicht verhandelbar.

Gerne werden in „westlicher“ Arroganz die Jammer-Ossis abgeurteilt, so zum Beispiel Anfang Februar relativ einhellig in Plasbergs Fernsehshow „hart aber fair“. Aber kaum jemand macht sich die Mühe, nachzufragen, ob das, was schnell als Gejammer abgetan wird, nicht doch Substanz hat. Es geht hierbei nämlich um mehr als die Höhe des individuellen Einkommens. Jeder weiß, dass diese individuellen Einkommensfaktoren auch Wirkung auf Strukturen und Landschaften haben. Die von Armut betroffenen sind also nicht z7wingend in ein stabilisiertes Umfeld eingebunden und diese Umstände sind meines Erachtens durchaus in der Lage, die Auswirkungen von Armut zu potenzieren. Schlimm genug, dass einzelne Regionen von Armut gezeichnet sind. Das wissen wir aber. Doch der Armutsatlas des Paritätischen zeigt das ganze Ausmaß der Situation: Nicht nu die Regionen sind betroffen – ganze Bundesländer unterliegen den Verhältnissen ihrer Bewohner. Wer möchte in diesem Zusammenhang noch von der deutschen Einheit sprechen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, dass es zynisch klingen könnte? Von den „blühenden Landschaften“ will ich gar nicht sprechen – hat sich doch selbst in konservativste Kreise herumgesprochen dass dies eine der Kardinalslügen Kohls war.

Beachtet muss zudem werden: Die im Armutsatlas dargelegten Zahlen bilden die Verhältnisse von 2007 ab – also die einer Zeit, zu der noch nicht Kurzarbeit in der Fläche existierte und eine Zeit, in der Deutschland nicht der „globalen Finanz- und Wirtschaftskrise“ unterworfen war. Wie weit sich diese Umstände inzwischen verschärft haben, kann nur geschätzt werden. Das sie sich verschärft haben, steht zu erwarten.

Was aber tun? Der Paritätische fordert eine deutliche Aufstockung des Hartz IV-Regelsatzes. Dieses könnte – sieht man einmal davon ab, dass es die Schärfe der finanziellen Situation Betroffener mildern könnte, auch dem Lohndumping entgegenwirken. Unsere saubere Bundesregierung bekommt es seit Jahren nicht gebacken, etwas gegen Dumpinglöhne zu unternehmen, von der Einführung eines Mindestlohns ganz zu schweigen. Denn wenn Mensche n mit Hartz IV – so schlimm das klingen mag – mehr Geld zur Verfügung haben als Wachleute, Friseure oder Helfer in Discountern (nebst Zweit- und Drittjob), dürfte das Lohndumping sich erledigen. Und dann muss noch schnell diese unsägliche Ausbeuterei mit der Zeitarbeit weg.

Und das Umverteilen muss endlich richtig angepackt werden. Von oben nach unten. Konsequent und schnell. Dass das mit dieser SPD und Union nicht zu machen ist, versteht sich von selbst. Dass auch die „Liberalen“ (sie sind inzwischen noch nicht einmal neoliberal sondern einfach nur rechtslibertär, wie Stephan Balling einmal trefflich festzustellen wusste) hier genau gar keinen Auftrag (geschweige denn ein Konzept) haben, ist ebenso bekannt.

Wenn es mit der Einheit mal was werden sollte, dann müssen jetzt die Armen gestärkt werden – umfänglich gestärkt werden. Mit unserer derzeitigen Papiereinheit kommen wir nicht weiter (und wachsen schon gar nicht zusammen). Denn: Was nutzt armen Menschen denn die theoretisch hinzugewonnene Freiheit, wenn sie mangels der Mittel nicht daran partizipieren können?

Bildnachweis und weiterführende Informationen zur Studie, nebst Regionalsuche: Der Armutsatlas des Paritätischen.

Herbert Hovens „Überlebenskünstler“

„In der Arbeiterkultur konnten die Menschen sicher sein, wenn sie jeden Monat fünf Mark in die Sterbekasse eingezahlt haben, dass das Geld auch nach dreißig Jahren noch da ist und dass sie später einmal gut unter die Erde kommen. Wenn sie im Frühjahr eine Hyazinthe eingepflanzt haben, konnten sie sicher sein: Ich habe im Sommer eine Blume. Wer im Herbst fünf Kilo Birnen einkochte, konnte sicher sein, im Winter zehn Gläser Kompott zu haben. Aber diese Sicherheit, diese kleine überschaubare Sicherheit, die ist weg.“

Sätze die plastisch verdeutlichen: In Zeiten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche, unterschiedlicher Lebensentwürfe, in Zeiten von Hartz IV wird das Leben für immer mehr Menschen schwierig. Davon handelt diese CD. Menschen unterschiedlichster Herkunft berichten in packenden Monologe über ihr Leben, ihren Kampf mit der Armut , ihre Versuche, Würde zu behalten. Diese Monologe bleiben unkommentiert.

Alles erklärt sich von selbst. Die Einblicke sind tief. Man beginnt, zu verstehen. Das ist, was dieses Hörbuch so einzigartig macht.

Eine Produktion des WDR, 1 CD, erschienen bei Hoffmann und Campe.

Mißfelder II

Die Aussage „Die Erhöhung von Hartz IV war ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie“ polarisiert – nicht nur im konservativen Lager. Selbst wer der Aussage im Kern etwas wahres entnehmen möchte, muss zugeben, dass sich Herr Mißfelder ordentlich im Ton vergriffen hat. Ein Wort der Entschuldigung? Nein. Das sucht man auf seiner Webseite vergebens. Lediglich der Versuch, die unverschämte Aussage mit einer Argumentationslinie zu unterfüttern, wird dort unternommen. Und selbst die scheint mir dürftig.