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Wirtshaus-Explorer: Philosophieren über den Döner im „Nürnberger Döner“

Damit ihr gleich gewarnt seid: Ein klassischer „Wirtshaus-Explorer“ wird das nun Folgende nicht, ich schreibe über einen Döner-Imbiss und ein solcher hat ja, auch im weiteren Sinne, gemeinhin wenig mit einem Wirtshaus zu tun (und wird von manchem Zeitgenossen sogar als Antagonist der hiesigen Wirtshauskultur empfunden). Und so wird meine Betrachtung über den „Nürnberger Döner“ auch keine reine Beschreibung der Lokalität, sondern ein kleiner Ausflug in die ganz eigene Welt dieses trotz seiner tief in den Mittleren Osten reichenden Wurzeln faktisch so urdeutschen Essens.

Ich selbst speise nur gelegentlich Döner, mir genügt für meinen Seelenfrieden, das türkisch-deutsche Fusionsgericht einmal alle Vierteljahr zu verzehren. Darum habe ich bisher auch darauf verzichtet, in meiner Kolumne „Wirtshaus-Explorer“ Dönerimbisse zu rezensieren. Zu beliebig ist deren Anmutung, zu einförmig das Angebot auf den Karten stadtauf, landab. Zu viele Imbisse kommen und gehen und zu komische Blüten treibt der Kult um den Imbissklassiker Döner, dessen gemeine Verfügbarkeit ihn, egal, wo er eingenommen wird, zu einem kaum unterschiedbaren Essen mit erwartbarem Geschmack, auch aufgrund seiner kulinarischen Allgemeingültigkeit seines individuellen Charakters beraubte.

Der Döner ist Norm. Seine Zutaten sind Norm. Sein Aussehen ist genau so Norm wie sein Geschmack. Seine Darreichung in der klassischen viereckigen Papiertüte mit dem roten „Döner Kebap-Kochmützen-Säbelmann“ ist? Norm. Er ist so sehr Norm, dass man inzwischen das unaufhaltsame, manchmal sogar galoppierende Fortschreiten der inländischen Inflation anhand der preislichen Entwicklung des Döners festzumachen sucht. Goodbye Bic-Mac-Index, hello Dönertaschen-Preis-Competition.
Wer aus der Masse herausstechen will und bessere Preise für den mittlerweile gar nicht mehr so billigen Döner aufrufen möchte, muss sich also etwas einfallen lassen.

Dass bestimmte Dönerimbisse mit Städtenamen assoziiert sind bzw. die Assoziation wecken (und wecken wollen), in bestimmten Städten gäbe es regional-exklusive Eigenarten, das salatunterfütterte Fleischgericht in der Brottasche zuzubereiten, hat mich schon immer befremdet. Letztlich sind diese Versuche ein gedanklicher Ausfluss der unergründlichen Windungen von Marketinghirnen – denn die nackte Ubiquität der Dönertasche in quasi jedem zweiten Straßenzug macht das Junkfood-Gericht vor allem zu einem: zum völlig austauschbaren, gleichsam generischen Alltagsessen.

Es mag beim Döner tatsächlich regionale Unterschiede geben, unbestritten. Diese nehmen sich gemeinhin wohl gering als, werden aber als essenziell apostrophiert. Ein befreundetes, aus Sachsen stammendes Paar lässt beispielshalber keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass der sächsische Döner der wohl beste sei, den man im deutschsprachigen Raum bekommen könne. Der Döner aus Berlin schmecke so mittel, der fränkische Döner hingegen sei ausnahmslos völlig ungenießbar. Der Unterschied liegt nach meinem Dafürhalten lediglich in der verwendeten Brotvariante (aber was zählt hier mein Wort, ich bin ja bekennender Döner-Crétin). So konnte mir letztlich auch die Meldung, dass nun unmittelbar des mitten in der Nürnberger Südstadt gelegenen „Original Berliner Döner“ der „Kreuzberg Döner“ geöffnet hat, auch nur ein leicht erstauntes Kopfschütteln entlocken. Bundeshauptstädtisch-sublokale Drehspießvarianten konnten meinen kulinarischen Entdeckergeist jedenfalls nicht dahingehend beflügeln, diesem Trend auf Nürnberger Boden durch Selbstversuch hinreichend nachzuspüren. Möglicherweise war man sich mittlerweile in der hiesigen Dönerszene plötzlich gewahr, dass man mit dem hiesigen Standarddöner vielleicht die genügsamen Franken, nicht aber die lukullisch Besseres gewohnten Zugezogenen abholen und befriedigen konnte?

Nürnberger Döner

Nürnberger Döner

Und nun, als genüge das noch nicht, eröffnete unlängst inmitten der Altstadt am Inneren Laufer Platz der „Nürnberger Döner“ – und das mit einer Marketingaktion, die man von Neueröffnungen solcher Imbisse mittlerweile zur Genüge kennt: Für einen begrenzten Zeitraum wird der Döner zu einem sensationell niedrigen Preis angeboten – ich weiß nun nicht mehr, ob für einen, zehn oder neunundneunzig Cent – jedenfalls stand die erwartbare Schlange der Dönerhungrigen einmal ums Karree bis weit in die Beckschlagergasse. Die Bilder dieser Schlange schafften es nicht allein in die sozialen Netzwerke, auch das Onlineportal des hiesigen Lokalblatts ließ artig die Anstehenden ablichten und brachte einen Artikel über Nürnbergs neue Imbisssensation. Billiger kann man wohl selbst Lokalberichterstattung kaum einkaufen.

Ein Nürnberger Döner? Man muss mich nicht allzu gut kennen, um zu wissen, dass diese Offerte meine von Lokalpatriotismus getriebene Neugier unweigerlich erregen muss. Zudem liegt der Imbiss unweit eines meiner städtischen Sehnsuchtsorte, dem geliebten, häufig frequentierten Kaffeehaus. Was also liegt näher, als ein Abstecher zum Nürnberger Döner?

Die Imbisstube hat sich chic gemacht. Schwarzglänzende Subway-Kacheln und ein großzügiger, sauberer Tresen empfangen einen im hellen, freundlichen Ambiente der kleinen Gaststube. Aus den Boxen klingt, nein dröhnt, laut Technomusik Electro, die für einen Imbiss sehr bequemen Sitzgelegenheiten laden zum Verweilen ein. Und so ist er schnell geordert, mein erster Nürnberger Döner.

Das also ist er, der "Nürnberger Döner"

Das also ist er, der „Nürnberger Döner“

Beim Nürnberger Döner versucht man, sein (nach meiner Beobachtung überwiegend junges und hippes) Publikum mit einem ganz eigenen Konzept abzuholen: Die typischerweise allzu dominanten Dönerkomponenten Brot und Fleisch werden geschickt in die hintergründige Rolle des Komparsen gedrängt, indem man eine vergleichsweise dünne Brottasche verwendet (die auch noch knusprig aufgebacken ist) und das Kalbfleisch hauchdünn vom Spieß hobelt. So bleibt mehr Raum für die anderen Mitspieler – ein Potpourri aus drei Soßen, knackigem Salat und Granatapfelkernen verleiht dem Döner eine ungekannte Leichtigkeit und Aromatik. Vorbei die Zeit der fetttriefenden, in rosa Cocktailsoße ertränkten Fleischbrocken „mit Scharf“ an Bergen roher, weißer Zwiebelringe und dem obligatorischen Achtelschnitz Hollandtomate im teigigen Weißbrot-Handstück. Heute, und das hat man beim Nürnberger Döner verstanden, kann man dieses Fast Food auf andere Art interpretieren, frischer, leichter, schlussendlich wohl sogar gesünder. Das Ding ist: Der Nürnberger Döner schmeckt.

Während mich der Dönerteller (14,- Euro, ein stattlicher Preis für die hiesigen Verhältnisse) nicht so beeindrucken konnte, fand ich die Dönertasche sensationell. Ich wollte mich fast dazu versteigen, zu schreiben, dass die fruchtigen (Minze, Zitronensaft, Granatapfelkerne) und deftigen Geschmackskomponenten (Kalbfleisch, rohes Blaukraut) vortrefflich balanciert sind, ohne in eine bestimmte Richtung aufdringlich zu schmecken (nein, ich versteige mich nicht, es ist, das ist mir absolut bewusst, ein profaner Döner – aber eben einer der wenigen guten). Wenig Fleisch und wenig Brot heben das Gericht, das mit 8,- Euro ebenfalls preislich an der Spitze der Nürnberger Dönertaschen angesiedelt ist, merklich. Und dennoch wird man satt. Nicht unangenehm satt, nicht pappsatt – aber dennoch satt.

Kurzum: Der Nürnberger Döner des Nürnberger Döner konnte mich, der ich bekennendermaßen kein großer Freund dieses Junkfoods bin, vielleicht nicht bekehren, aber mindestens eines Besseren belehren (manchem gelte ich ja als unbelehrbar, sollte dem so sein, ist das durchaus einer Erwähnung wert). Man sollte ihn in der Tat einmal gegessen haben – und ich bin mir sicher, dass viele dann mit gewisser Zufriedenheit feststellen werden, einen ordentlichen Döner genossen zu haben. Aus der Masse des ubiquitären Dönerpampfs jedenfalls sticht er positiv hervor.

Nürnberger Döner, Innerer Laufer Platz 12, 90403 Nürnberg, Telefon: 940 55 800.