Der Digitalkamera-Scam – wer billig kauft, kauft zweimal
Für mich eine erstaunliche Erkenntnis – aber letztlich auch logisch: Der Markt für Kompaktkameras ist quasi vom Aussterben bedroht. Logisch deswegen, weil heute Handykameras so gut sind, dass eine klassische Digicam quasi überflüssig ist. Aber ist das wirklich so?
Technisch gesehen in den meisten Fällen sicherlich. Die Bilder des gegenwärtig aktuellen Pixel 9 beispielsweise haben mich ob ihrer Qualität sehr beeindruckt, und inzwischen liefern auch einfachere Handykameras nicht nur ordentliche Bilder mit Festbrennweite, sondern bieten zudem sehr annehmbare Weitwinkelaufnahmen und überraschend gute Makro-Funktionen. Das reicht in aller Regel für die Herstellung der alltäglichen Bilderflut aus.
Ästhetisch aber kann ich den Fotos digitaler Kompaktkameras viel abgewinnen, gerade dann, wenn es um die fotografische Dokumentation des Alltags oder Street Photography geht. Und dann gibt es da ja auch noch die #shittycamerachallenge, die gerade auf Mastodon kontinuierlich gepflegt wird und uns teilweise sehr eigenwillige und gleichermaßen schöne Aufnahmen zu Gesicht bringt. Und so renne auch ich von Zeit zu Zeit mit einer einfachen Kompaktknipse herum (was ich nicht müsste – hier liegt eine sehr vernünftige Bridgelamera, eine DSLR nebst umfangreichem Zubehör und bei mir ist auch das Pixel 8 mit ebenfalls guter Kamera vorhanden, zudem habe ich ja auch noch die X10, die zwar auch schon antik ist, die ich aber sehr mag). Die Kompaktknipse ist mir aber leider in der letzten Woche ablebig geworden und so machte ich mich auf die Suche nach einer einfachen, günstigen und robusten Kamera, die so klein ist, dass sie mich auf meinen Streifzügen durch die Städte bequem in der Hosentasche begleiten kann.
Vor noch zehn Jahren hat jeder der großen Hersteller, sei es Nikon, Canon, Fuji, Olympus oder Sony, einfache Kompaktknipsen im Programm gehabt, diese sucht man heute aber vergeblich. Der Markt für solche einfachen und preisgünstigen Kompaktkameras scheint mir komplett in chinesische Hände übergegangen zu sein, auffällig ist hierbei, dass sehr einfache Sensoren mit integriert Mini-Optik Verwendung finden, die man so eigentlich nur aus simplen No-Name-Smartphones, Dumbphones oder Tablets kannte. Sichtbare Objektivteile sind in der Regel fake, einen optischen Zoom sucht man ebenfalls vergebens und die aufgedruckten Megapixel-Superlative werden durch Interpolation erreicht (wenn sie denn tatsächlich überhaupt irgendwie erreicht werden). Wenn die Abbildungsleistung solcher Kameras allerdings halbwegs passt, dann erhält man in aller Regel einen kleinen, gut bedienbaren Fotoapparat mit langer Akkulaufzeit und enormem Speicher – der die Aufnahme von Bildern mit einer ganz eigenen Ästhetik zulässt.
Prinzipiell hatte ich also kein Leiden damit, einfach mal eine billige China-Kamera zu kaufen und zu sehen, was man damit machen kann, zumal mir vor etlichen Jahren ein Kollege schon mal eine solche China-Kamera schenkte und ich sie vier Jahre lang immer wieder recht gerne zur Hand genommen habe.
Was ich bis zum Wochenende aber nicht wusste: Es gibt tatsächlich Scam-Kameras. Kameras, die prinzipiell funktionieren, aber so schlecht sind und deren technische Werte in keinem Zusammenhang mit den beworbenen Eigenschaften stehen, dass man sie selbst kleinen Kindern nicht als Spielzeug in die Hand drücken möchte. Plattformen wie Temu oder AliExpress, aber auch Ebay und Amazon werden gegenwärtig von solchen Kameras überschwemmt. Ich habe mein 64-Megapixel-Prachtstück, das ich Euch gleich stolz präsentieren werde, für etwas weniger als 25 Euro bei Amazon geschossen (und konnte es daher auch recht elegant und ohne Geldverlust wieder loswerden).
Ich darf Euch also die sagenhafte „Digitalkamera für Fotografie, Autofokus 48 MP Vlogging-Kamera für YouTube mit 2,4-Zoll-Bildschirm, 16-fachem Digitalzoom, Kompakte Reisekamera, Blitz, Anti-Shake“ der Firma „Yunir“ vorstellen, gefertigt von der Dongguan Liaobu Simao Electronics Factory (well, ich hätte es besser wissen müssen).
Das Ding ist wirklich krasses Plastik, aber – hey! – 4K, 64 Megapixel. Her damit! USB-C, ein Slot für microSD-Karten, das ist alles was man braucht, oder?
Nun, von den oben gemachten Angaben, die ich aus dem Amazon-Produkttitel so herauskopiert habe, trifft eigentlich nichts zu.
Kommen wir zuerst einmal zum 16-fachen Digitalzoom. Den gibt es, trotz gut sichtbarem Zoomhebel, nämlich nicht. Auch der Zoomschalter ist nämlich nur eines: Fake.
Er kann nicht bewegt werden, zieht man ihn nach oben ab, lässt sich auch erkennen, warum er keine Funktion hat – das Ding ist eine Attrappe. Krass, oder?
Wie aber kommt es zustande, dass es den beworbenen Digitalzoom, der je im Wesentlichen nichts anderes ist, als ein paar Zeilen Code in der Kamerafirmware, nicht gibt? Das hängt nach meinem Dafürhalten mit der niedrigen Auflösung des Sensors zusammen, die diese Funktion schlicht nicht zulässt. Das kann bei 64 Megapixeln eigentlich nicht sein, möchte man einwenden. Die 64 MPix gibt es nicht, sie schrumpfen bereits im Gerätemenü auf 48 MPix herunter (was immer noch ein akzeptabler Wert wäre). Aber auch davon bleibt letztlich nichts übrig. Ich zeige Euch jetzt mal zwei Aufnahmen vom Wochenende, geschossen im Freien bei der höchsten Einstellung, 48 Megapixel mit feiner Bildauflösung:
Von der Bildqualität war ich schockiert. Die ist so schlecht, dass selbst die Nummernschilder der geparkten Autos nicht mehr lesbar sind. Die Kamera liefert meiner Einschätzung nach bestenfalls 640×480, also VGA (oder umgerechnet 0,3 Megapixel). 64 MPix? 48 MPix? Aber wirklich nicht!
Das oben zu sehende Bild hat eine Auflösung von 7680 x 5760, was in etwa 44 MPix oder 8K UHD Videoauflösung entsprechen würde – aber die Qualität des Bildes liegt deutlich unter der meiner 1 Megapixel-Digicam, die ich um die Jahrtausendwende nutzte. Unfassbar. Das Teil ist wirklich ein Scam.
Fast schon überflüssig, zu sagen, dass der Sensor der rückseitig verbauten Selfie-Kamera über eine ebenso schlechte Auflösung verfügt, die dann gnadenlos auf die 44 Megapixel hochgezogen wird… Ich frage mich schon, warum man so etwas baut, letztlich müssen Hersteller und Händler doch gewahr sein, dass die Kunden so ein Gerät umgehend retournieren.
Im Prinzip könnte man ja jetzt sagen, dass man, erkennt man die nicht ganz unspezifische Gehäuseform dieser Kamera wieder, einfach einen weiten Bogen um ein solches Gerät macht – doch das ist wohl auch nur ein Teil der Wahrheit. Ich habe von exakt dieser Kameraform auch schon Rezensionen mit Beispielbildern gesehen, bei denen mir die Fotoqualität verglichen mit diesem Gerät relativ brauchbar vorkam. Es ist also nicht gesagt, dass eine Kamera mit gleicher Optik wirklich so ein Scam sein muss, wie mein Modell. Dennoch wollte ich von dieser Kamera abraten. Bemüht man die Amazon-Bildersuche, wird man auf wenigstens fünfzehn preisähnliche Angebote stoßen – ich wollte bei keinem zuraten. Von Temu und Konsorten lasse ich ja grundsätzlich die Finger… Eine einheitliche Modellbezeichnung oder Marke scheint es nicht zu geben, auf der Schachtel des Produkts ist immerhin in einer Ecke LK-003 zu lesen und „CCD Digital Camera“. Bei Temu wird dieses Modell gerne auch als „Vintage CCD Digital Camera“ geführt.
Bei der Software bediente man sich übrigens eines UIs, das ganz offensichtlich für Kinderkameras gebaut wurde, schließlich kann man mit dieser Kamera auch MP3s anhören, Pac Man spielen oder lustige Rehkitz-Rahmen über das Foto rendern lassen. Oh my gosh.
Abschließend die Frage, ob solche Kameras überhaupt was taugen können und ob sie in unseren Tagen noch eine Berechtigung haben. Ich würde sagen, dass es immer wieder ganz brauchbare No-Name-Billigkameras gibt, man muss diese aber suchen. Wenn man Glück hat, erwischt man eine mit 12 Megapixel-Sensor von Sony, die hatten immer eine gute und verzeichnungsarme Abbildung bei wenig Bildrauschen. Oder man greift eben wie ich ins Klo und holt sich eine Kamera mit einem Modul, das kaum für Spielzeuge geeignet ist. Vorher wissen kann man es nur, wenn man nicht gekaufte Rezensionen mit echten Beispielbildern liest – und die gibt es bei Weitem nicht von jedem Produkt.
Auch in Zeiten von sehr leistungsfähigen Smartphone-Kameras sehe ich durchaus mehrere Berechtigungen für diese Produktkategorie. Zum einen ist das der angenehme und für viele Fotografen auch günstige Formfaktor. Ein echter Fotoapparat fasst sich doch ganz anders an, als ein Telefon. Das mag auch mit dazu beitragen, dass sich die Ästhetik dieser Aufnahmen doch ganz erheblich von Handybildern unterscheidet – und mitunter auch dann positiv ins Auge fällt, wenn die Kamera technische Unzulänglichkeiten hat. Andererseits gibt es auch Bilder, die man nicht sofort mit der Cloud synchronisieren möchte und die lokal auf einer Speicherkarte ganz gut aufgehoben sind. Nicht in jeder Situation möchte man sein teures Smartphone zücken, kann aber mit einer billigen Kompaktkamera dennoch gute Ergebnisse erzielen. Würde die Kamera dann in die Baugrube, in den See oder ins Meer fallen, wäre das zwar ärgerlich, finanziell aber verschmerzbar. Und irgendwie finde ich den Umgang mit einer Kompaktkamera auch bequem.