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„…es ist mir nicht erinnerlich…!“

Seit einigen Jahren ist es ein gut eingespieltes Ritual: Wann immer durch Recherchen schwere Verfehlungen eines Politikers aufgedeckt werden, die in einiger zeitlicher Distanz passierten, sagt der Politiker, er könne sich daran nicht mehr erinnern, es sei ihm nicht mehr erinnerlich.

Solche „Erinnerungslücken“ sind vor allem zweierlei: Erstens eine bequeme Strategie, die notwendige Erklärung zu verwässern, um einem nötigen Rücktritt zu entgehen und zweitens natürlich ausnahmslos eine dreiste Lüge. Natürlich weiß jeder, dass die Erinnerungslücke eine glatte Lüge ist – aber beweisen kann man das eben nicht. Scholz ist damit durchgekommen, Aiwanger kommt gerade damit durch und letztlich sind vor diesen beiden auch große und kleine Lichter mit der vorgeschobenen „Erinnerungslücke“ recht gut gefahren.

Die Sache hat aber einen Haken: Wir, das Volk, aber auch die Medien lassen den Politikern diese Erinnerungslücken-Lüge jedes Mal aufs Neue durchgehen. Dabei ist doch glasklar: Wer sich bei eklatanten Vorwürfen (die ja im Leben gewöhnlich durchaus eine große Bedeutung haben) urplötzlich an nichts mehr erinnern können will, also auch nicht daran, ob der Vorwurf wahr oder falsch ist, ist grundsätzlich für eine politische Führungsposition absolut und ausnahmslos ungeeignet.* Alleine eine Erinnerungslücke des oben geschilderten Ausmaßes muss einen zwingenden und sofortigen Rücktritt zur Folge haben, denn wer derartige Erinnerungslücken hat, ist nun einmal prinzipiell außerstande, in erforderlichen Maße Verantwortung zu übernehmen und politische Entscheidungen mit der ihr innewohnenden Tragweite zu treffen.

Wir benötigen für die folgende Formel dringendst einen gesamtgesellschaftlichen Konsens: Erinnerungslücke = Rücktritt. Dieser Konsens muss hergestellt werden und er darf auch grundsätzlich nicht verhandelbar sein.

Alles andere ist Bullshit. Alles andere ist Einknicken vor der Lüge.

*Und nun komme ich zur freilich nötigen Fußnote. Nein, diese absolut getroffene Aussage ist nicht abelistisch, nicht im Mindesten. Jeder von Erinnerungslücken geplagte Mensch, aus welchen psychischen und physischen Gründen sie auch immer entstanden sein mögen, kann und wird selbstredend einen Platz finden, an dem er sich mit Wirkmächtigkeit für Gesellschaft und Gemeinwohl engagieren kann. Sollte jemand allerdings unter so ausgeprägten Amnesien leiden, dass ihm selbst einschneidende Lebensereignisse, eigene kriminelle Handlungen oder schwere moralische oder politische Verfehlungen nicht mehr erinnerlich sind, so ist die Ausübung eines politischen (Spitzen)Amtes nicht das geeignete Betätigungsfeld.

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