Es ist schon ein spannend Ding: Das Hamburger Magazin Spiegel entblödet sich, gegen Wikileaks zu bashen, wie dieser Tage bei Fefe zu lesen ist. Hintergrund ist, wie könnte es anders sein, das Video eines US-amerikanischen Apache-Kampfhubschraubers, das belegt, wie am 12. Juli 2007 zwei für Reuters tätige Journalisten getötet und zur Hilfe eilende Iraker getötet und zwei Kinder verletzt wurden. Das Video wurde in dem Helikopter aufgenommen, der geschossen hat. Es wurde auf Wikileaks – einer Plattform, bei der geheimgehaltene Dokumente anonym und unzensiert veröffentlicht werden können, publiziert.
Und nun wird das Video in einem Spiegel-TV-Betrag online gezeigt – darunter findet sich ein SPIEGEL-Artikel von einem Martin Müller, der die Quelle, Wikileaks basht, dass es schöner kaum geht: Herr Müller, dessen Arbeitgeber genau so von Wikileaks profitiert, wie andere Journalisten überall auf der Welt, ist, das ist dem Artikel deutlich abzuspüren, gar nicht begeister von Wikileaks.
Und so ist da zu lesen:
WikiLeaks definiert sich über die Radikalität, mit der es Regeln bricht: „In doubt we publish“, heißt die Maxime der Seite – im Zweifel veröffentlichen wir.Das heißt: im Zweifel auch gegen das Recht auf Privatsphäre, gegen Geheimhaltungsgesetze. Um auf WikiLeaks veröffentlicht zu werden, muss das brisante Dokument eine besondere Bedingung erfüllen: Jemand muss es irgendwann einmal als geheim klassifiziert haben.
Hier irrt Herr Müller. Es ist nicht das Anliegen von Wikileaks, irgendjemandes Privatsphäre zu verletzen sondern Dokumente von öffentlichem Interesse auch dann zu veröffentlichen, wenn sie geheim gehalten werden sollen. Diese Diskussion Privatsphäre versus öffentliches Interesse wird ja mindestens im Jahresrhythmus quasi immer dann geführt, wenn Paparazzi irgend was Unschönes bei Promis ablichten. Das ist, das sollte Herr Müller aber auch wissen, nicht der Teich in dem Wikileaks fischt. Promis beim Nacktbaden, um die Wette koksende Rockstars oder im Jogginganzug beim Supermarkt um die Ecke einkaufende Schauspielerinnen sucht man bei Wikileaks vergebens. Das ist das Metier der Regenbogenpresse und das wird es wohl auch bleiben.
Und weiter schreibt Müller:
Über sich selbst verraten die Aktivisten dagegen fast nichts. Wer sich alles hinter WikiLeaks verbirgt: geheim. Wie viele Server es gibt und wo sie stehen: geheim. Wer genau die eingereichten Unterlagen überprüft: geheim. Die Organisation gibt nur über sich preis, sie sei von „chinesischen Dissidenten, von Journalisten, Mathematikern und Technikern“ gegründet worden.
Das ist Sinn und Zweck des Ganzen und: Das ist die Gewähr dafür, dass die Sache funktioniert. Wenn ich als Zuträger mit einem Journalisten, gerne auch mit einem vom SPIEGEL, auf elektronischem Wege in Kontakt trete, hinterlasse ich Spuren. Ob der mich als Quelle wirklich schützt, kann ich nicht wissen. Entweder ich vertraue ihm – oder eben nicht. Und selbst wenn er mich schützt, kann er mich nicht vor den hinterlassenen Spuren schützen. Der deutsche Rechtsstaat geht in der Regel mit Journalisten recht ordentlich um. Das wissen auch die Quellen und das entspannt das Verhältnis von Journalist, Quelle und Publikation. In China, im Iran und selbst in den USA sieht die Situation aber ganz anders aus.
Bei Wikileaks kann man sich des Quellenschutzes relativ sicher sein. Weil niemand genau weiß, wo Wikileaks sitzt, seine Server und Mirrors aufgestellt hat und wer dort tätig ist, kann es auch keinen Zugriff von Geheimdiensten, Regierungen oder Zensurbehörden geben. Und dass das System funktioniert, hat Wikileaks ebenso unter Beweis gestellt. Deren Quellen wurden bislang nämlich nicht enttarnt.
Mit der Anonymität wolle man Beteiligte aus Ländern mit unsicherer Gesetzeslage schützen, lautet die offizielle Rechtfertigung für die Geheimniskrämerei.
Genau. Nur: Das ist keine Geheimniskrämerei sondern eine Strategie gegen Geheimniskrämerei. Gegen Geheimniskrämerei von korrupten Unternehmen, US-amerikanischen Militärs, die einen sinnlosen Krieg führen, den US-Geheimdienst, Scientology oder rechtsradikale Parteien.
Nichts desto trotz pfopfert Herr Müller. Und zwar zu Unrecht. Den Beweis für die Wichtigkeit von Wikileaks tritt er übrigens selbst an:
Auch will sie demnächst 37 000 E-Mails aus der internen Kommunikation der NPD komplett veröffentlichen. Der SPIEGEL zitierte daraus auszugsweise bereits 2008, ein Rechtsstreit folgte.
Genau so funktioniert die Sache: Der SPIEGEL kann von der NPD juristisch niedergefochten werden, Wikileaks nicht. Und dazu ist es ja auch da: Wenn ich etwas in meinem Land nicht ohne die realistische Angst vor Repression an Journalisten übergeben kann, bediene ich mich Wikileaks. Und Wikileaks funktioniert unter Anderem deshalb so gut, weil Journalisten auf die unzensierten Dokumente zugreifen können und: Zugreifen. Nur eben nicht exklusiv. Aber warum auch?
Der Leser, Hörer oder Zuschauer hat von Exklusivberichten nämlich nichts. Die nützen allein dem Medium, dass eine Information entweder am schnellsten hat oder vertraglich zur alleinigen Nutzung einer Quelle berechtigt ist.
Und hier hat nun der SPIEGEL ein echtes Problem: Bis vor wenigen Jahren konnte sich der SPIEGEL nämlich ganz gut von dieser Exklusivität ernähren. Wer Informationen „aus erster Hand“ wollte, war auf die Lektüre des SPIEGELs angewiesen, andere Medien konnten ihn lediglich zitieren. Und so war es das Hamburger Nachrichtenmagazin, dass zur Pflichtlektüre all jener wurden, die auf die vorhin erwähnte Exklusivität Wert legten.
SPIEGEL-Leser wissen mehr? Tempi passati. Nicht alleine, aber im Besonderen durch Wikileaks, ist das Exklusivitätsmonopol diverser Medienerzeugnisse im Fallen begriffen. Für die Versorgung der Öffentlichkeit mit Information ist das ein guter Trend. Denn je mehr Medien über ein bestimmtes Thema berichten umso schwerer wird es, diese zu zensieren oder die Bevölkerung von diesen Inhalten fernzuhalten. Ich sage das nicht allein im Hinblick auf Deutschland. Ich sage dass im Bewusstsein, dass es viele Staaten gint, die nicht über eine freie Presse verfügen.
Wen nimmt es angesichts dieser Umstände Wunder, dass Herr Müller schreibt:
Die im Qualitätsjournalismus angestrebte Objektivität gilt für WikiLeaks ebenso wenig wie der Schutz der Privatsphäre. Die Mitgliederlisten der britischen rechtsextremen Nationalpartei wurden mit vollen Namen und Adressen veröffentlicht.
Herr Müller, meinen Sie das ernst? Über den Schutz der Privatsphäre will ich nicht schon wieder sprechen – in meinen Augen darf man ruhig wissen, wer ein Nazi ist. Und das Ding mit dem Qualitätsjournalismus, lieber Herr Müller, ist Ihre Aufgabe und nicht die von Wikileaks! Mit Ihrem oben verlinkten Artikel machen sie dem Qualitätsjounalismus allerdings keine Ehre.
Warum, so könnte man nun fragen, schimpft Herr Müller mal zwischen den Zeilen, mal ganz unverdeckt, so gegen Wikileaks? Ganz einfach: Da geht mal wieder ein Geschäftsmodell über die Wupper, an denen auch Journalisten wie Herr Müller teilhaben. Denn er sieht sich, wie seine Kollegen auch, vor die Aufgabe gestellt, damit umzugehen, dass jeder sich ehemals geheime Informationen ziehen und journalistisch verarbeiten kann. Und der Beste, der Intelligenteste, der mit der flottesten Schreibe, der Schnellste, vielleicht auch der Plakativste oder Populistischste wird sich bei diesem Wettlauf profilieren.
Zwei Dinge sollte man im Blick haben: Die Medienkompetenz des Users, der früher einmal Konsument war. Da gibt es welche, die geistig nicht nicht über die Bildzeitung hinauskommen (die hätten aber den SPIEGEL wohl auch früher nicht gekauft, die, die mit dem SPIEGEL etwas anfangen können und die, die ein besseres Niveau brauchen. Und die, die vielleicht eine Fremdsprache gut beherrschen und nicht darauf angewiesen sind, sich allein auf dem deutschen Medienmarkt orientieren zu müssen. Die hätten früher vielleicht den SPIEGEL gekauft, heute müssen sie es nicht mehr – und wenn aus deren persönlicher Perspektive nichts für den SPIEGEL spricht, werden sie es nicht tun.
Weiterhin wichtig ist, dass sich auch der Medienmarkt globalisiert. Wikileaks ist eine Antwort darauf. Der SPIEGEL kann sich diesem Trend anschließen oder sich bewusst dagegen entscheiden. Dieses Problem hat Wikileaks aber weder erfunden, noch kann es das lösen. Das ist die Hausaufgabe vom SPIEGEL. Wikileaks-Bashing erledigt diese aber nicht.
Ich gehe sogar weiter und sage: Wikileaks ist für Journalisten eine Herausforderung und kann in meinen Augen den Qualitätsjournalismus befördern, denn jetzt kommt es darauf an, bei gleicher Quellenlage das Beste daraus zu machen. Hier kann ein Journalist dann bei transparenten Grundbedingungen mal so richtig zeigen, was er kann. Wikileaks ist ein Geschenk für Journalisten und ich bin überzeugt, auch für Sie, Herr Müller.
Der SPIEGEL erscheint am Montag. Bis dahin ist vieles, was die Woche über passiert ist, kalter Kaffee, der sich nur durch fundierte Hintergrundberichte so erwärmen lässt, dass er auch schmeckt. Wenn die passen, dann wird der SPIEGEL auch weiterhin gekauft. Wenn icht – nicht die Schuld von Wikileaks.
Und: Ich kann das Bashing vor dem Hintergrund, dass der SPIEGEL immer noch eine Auflage von einer guten Million Exemplare (sic!) hat, wirklich nicht verstehen.
Am Ende sollen noch zwei Dinge erwähnt sein: Jeder gute Journalist muss die Qualität seiner Quellen selbst prüfen. Das gilt auch für Wikileaks. Und wenn das aus Gründen, die Herr Müller „Geheimniskrämerei“ nennt, nicht erfolgen kann, ist es immer noch möglich, auf der Metaebene darauf hinzuweisen. Und auch diese Arbeit kann und will – so verstehe ich das – Wikileaks Herrn Müller nicht abnehmen. Und: Von wegen Geheimniskrämerei: Wer sich knappe zwei Stunden Zeitnehmen kann und will, kann sich ja mal das hier anhören. Ich finde das erstaunlich transparent.