Piraten – nicht Fisch nicht Fleisch.
Meinen 800sten Artikel hier im Blog darf ich am Karfreitag – einem stillen Feiertag – den Piraten widmen. Weil es derzeit einfach gut passt und mal ein paar Sachen gesagt werden müssen. Am 17 März 2010 – vor reichlich zwei Jahren – habe ich schon mal einen Rant auf die Piratenpartei geschrieben, mit der Popularität der Piraten habe ich mich mich weiland grob verschätzt, mit etlichem anderen aber nicht. Nun, da die Piraten im Saarland tatsächlich in den Landtag eingezogen sind und sich die Umfragewerte fast überschlagen, 12 Prozent würden demnach die Piraten im Bund dieser Tage gutmachen, ist es also wieder mal an der Zeit, genauer hinzusehen.
Vorweg: In den vergangenen zwei Jahren bin ich kein Freund der Piraten geworden. Das hat im Wesentlichen programmatischen Gründe. Weiterhin haben die Piraten viele Chancen verspielt – weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Drittens steuern Sie auf einem Kurs der Beliebigkeit.
Weiterhin haben sich aber auch bestimmte Vorzeichen innerhalb der letzten zwei Jahre zu Ungunsten der Piratenpartei verschoben , und das das so ist, resultiert aus dem schuldhaften Nichtverhalten der Piraten. Aber von Anfang an:
2010 hatte ich noch eine Theorie zu den Piratren: Ich betrachtete sie seinerzeit als eine parteigewordene Bürgerrechtsbewegung der Jungen für ein freies und möglichst unreglementiertes Internet. Dieser Anspruch wurde seinerzeit auch programmatisch abgebildet. Da war die Tragfähigkeit des Eises für eine Partei zwar noch recht dünn, aber das machte mir erst mal nichts, ich habe nur darauf hingewiesen. Inzwischen ist hiervon aber leider viel zu viel verloren gegangen. Am Beispiel lässt sich das besonders gut deutlich machen: Als aufkam, dass es einen Bundestrojaner hgibt, der sich zum Bundesland- wie Staatstrojaner mauserte, der Gesetze und Bürgerrecht mit Füßen trat — schwiegen die Piraten. Ich laste ihnen nicht an, dass sie diesen Umstand nicht aufdeckten, aber ich laste den Piraten an, dass sie geschwiegen haben. Verdammte Hacke! Hier nicht zu intervenieren, hier nicht reingegrätscht zu sein ist nicht nur ein Fehler sondern führt die eigene Existenz ad absurdum. Auch in weiteren Fällen tzeigte sich: Die response time der Piraten in netzpolitischen Fragestellungen ist elend lang, viel zu lang. Das Ding mit der parteigewordenen Bürgerrechtsbewegung funktioniert nicht. Darauf aber gründeten sich die Piraten.
Das muss per se noch nichts schlimmes sein, eine Partei kann sich hier auch wandeln. Am Besten macht das die SPD vor, in den 1950er Jahren war die noch marxistisch orientiert, im Laufe der Zeit immerhin noch arbeitnehmerorientiert, heute wandeln sie an der Grenze von neokonservativ und neoliberal. Auch innerhalb der FDP gab es solche Wandel – die positionierten sich in den 1960er Jahren als Bürgerrechtspartei, heute sind sie so marktradikal wie bedeutungslos.
Diese Wandel brachten selten etwas positives mit sich, aber jedem dieser Wandel ist zueigen, dass er zielgerichtet geschieht. Das ist bei den Piraten derzeit nicht der Fall: In den als Kernkompetenz abgesteckten Claims reagiert die Partei nicht, in allem anderen ist sie nicht mal zerstritten sondern heillos überfordert. Echte Leitfäden gibt es nicht, das Parteiprogramm der Piraten ist ein dusseliges Gewäsch, dass hektarweise interpretatorischen Freiraum bietet. Inflationär wird der Begriff „Freiheit“ verwendet – im Wesentlichen war es das dann aber auch. Konkreter wird man nur bei der Trennung von Kirche und Staat. Und Drogen will man weitestgehend legalisieren, denn
Ein freiheitlich selbstbestimmter Umgang steht nicht im Widerspruch zu Schutz, Prävention und Aufklärung.
Das argumentativ zu zerlegen, rentiert der Mühe nicht, eh klar. Argumentiert wird hier in schwammigen, historischen Kontexten und es wird auf Eigenverantwortung und Genusskultur verwiesen, OMFGosh! Dann wäre dann noch zu lesen von einer geforderten Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in Kammern und Verbänden – hier zeigt sich die Handschrift von sog. selbstständigen Kleinstunternehmern. Dann gibt es noch ein wenig Geschwätz über Familienpolitik und eben die digitalen Komponenten.
Alles nicht von besonderer Tragweite, was da als „Parteiprogramm“ niedergeschrieben steht, könnte beliebiger nicht sein, erschütternd allerdings, was da eben nicht steht: Kein Wort zur Wirtschaftspolitik,. kein Wort zur Außenpolitik, kein Wort über die Gesundheitspolitik, kein Wort zur Sozialpolitik. Nichts, nada, nothing.
Es liegt auf der Hand, ist ein unumstößlicher Fakt: Das, was uns die Piraten da als Parteiprogramm verkaufen wollen, ist keines. Alle Punkte, zu denen man Farbe bekennen müsste, alles, was ein wenig schwieriger ist – wurde schlicht ausgespart, weggelassen, ignoriert. Sorry, Piraten, so geht Politik einfach nicht. Hätten sich die Piraten vor ein paar Monaten gegründet, ich hätte nichts gesagt. Seit zwei Jahren aber ist es dieser Partei nicht gelungen, ein Programm zu erstellen und zu beschließen – setzen, sechs.
Ja, ich war in meiner Bewertung der Piraten vor zwei Jahren recht milde, heute ist das vorbei. Damals habe ich dieser jungen Partei die Findungsphase zugestanden – um heute feststellen zu müssen, dass seit der Gründung 2006 nichts passiert ist.
Das Schwadronieren der Piraten, sie seien nun mal eben werden rechts noch links, ändert daran nichts. Man kann trefflich behaupten, dass man eine neue Politik fordere – wenn man weder willens noch in der Lage ist, was der elementare Bestandteil dieser „neuen Politik“ ist, gilt es schlich nicht und reiht sich ein in den Reigen der hohlen Phrasen, die gerade von den Piratren gedroschen werden, die einst antraten, um der hohlen Phrasendrescherei den Garaus zu machen.
Nun könnte man das auch – im Sinne der propagierten, wenn auch zu Gänze falsch verstandenen Freiheit – so stehen lassen, wenn diese Konzeptlosigkeit den Piraten nicht schon jetzt um die Ohren fliegen würde. Interessanterweise mucken nämlich immer mal wieder die sich unter den Piraten befindlichen Neonazis auf. Symptomatisch für die Konzeptlosigkeit der Partei: Die fühlen sich von den Piraten angezogen, weiterhin symptomatisch: Sie werden in deren Reihen mindestens geduldet. Das ging nun ein, zwei, dreimal so und nun platzt einigen in der Jugendorganisation, den JuPis, der Kragen und es hagelt Schelte in Form eines offenen Briefs an die „Basis“:
Immer wieder fallen Mitglieder der Partei durch rassistische, sexistische, aber auch anderweitig diskriminierende Aussagen oder Verhaltensweisen auf.
Beim Brainstorming zu diesem Brief wurden einige Beispiele diskriminierender Aussagen und Vorfälle genannt: eine Frau galt als „zu hübsch“, um ernstgenommen zu werden, eine andere „sollte mal richtig hart durchgefickt werden, vielleicht entspannt sie sich dann ja mal“, ein Mitglied war der Meinung, Frauen gehörten nicht auf Stammtische, „ausländerkritisch“ zu sein galt in einer Twitterdiskussion als vollkommen in Ordnung.
Es ehrt die JuPis, dass sie das mal so deutlich aussprechen. Aber: Wundern sie sich denn ernsthaft, über diese Auswüchse? Wer weder links noch rechts ist, muss sich damit anfreunden, dass Linke und Rechte sich im Kreise der Piraten sammeln. Und zwar alle so verschrobenen Linke und Rechten, dass sie in anderen Parteien keine politische Heimat finden. Und mit denen müssen sich nun die Piraten rumärgern, sofern sie das überhaupt können.
Derartige Aussagen werden oft als „Einzelmeinungen“ abgetan – gerade in einer Partei, die sich ihrer starken Basis rühmt, darf das keine Rechtfertigung sein.
Auch die Meinungsfreiheit wird in Reaktion auf Empörung über diskriminierendes Verhalten immer wieder genannt. Im Zusammenhang mit Rassismus, Sexismus, Homophobie, Ableismus, Transphobie und anderen Diskriminierungsformen auf die Meinungsfreiheit zu verweisen räumt diesen Verhaltensweisen eine Legitimität ein, die ihnen nicht zusteht und lässt sie als subjektiv vertretbar erscheinen („man muss das nicht gut finden, aber es hat nunmal jeder seine eigene Meinung“).
Der erste Teil der Analyse ist richtig – der zweite, die Conclusio – aber fehlt in piratentypischer Manier. Ich darf da mal geschwind aushelfen: Farbe bekennen. Zur Zeit tümmeln sich in den Reihen der Piraten vor allem vergrätzte CDUler, denen die Union schlicht zu altbacken ist und FDPler, die einfach nicht verlieren können und deshalb den sinkenden Kutter FDP schnell verlassen. Aus dieser Melange der konservativ-marktradikalen (nicht vergessen: Der Nerz ist auh ein abgehalfterter CDUler) Frustler entspringt die „Freiheit“, Linke (oder besser: pseudo-linksliberale), denen die SPD zu rechts, die Linkspartei zu links ist und Nazis, die das nicht offiziell zugeben möchten und allerhand andere Wirrschädel anzuziehen. Und mit denen hat man dann halt schnell Ärger.
Aus der Ferne betrachtet mutieren die Piraten gerade zur neuen FDP – nur zu wenige erkennen das, sost wären es nicht 12 sondern eben zwei Prozent in den Umfragen. Sie sammeln fleißig Protestwähler und Nichtwähler – was unter den Strich das Selbe ist, denn Nichtwählen ist auch nur eine Form des Protests.
Zurück zum offenen Brief:
Gerade für eine Partei, die sich als „Mitmachpartei“ bezeichnet, die eine freie Presse fordert und dafür plädiert Fehler in der Politik einzugestehen und sich über Sachverhalte zu bilden, bevor eine Meinung vertreten wird, sind diese Abwehrreaktionen sowie Diskriminierung bzw. die Duldung dieser beschämend. Die Jungen Piraten fordern eine kritische Auseinandersetzung mit Diskriminierung in der Partei. Rufe nach Meinungsfreiheit, der Verweis auf „Einzelmeinungen“ und Verklärung des Problems dürfen nicht mehr die Debatte bestimmen.
Im Kern geht es um unangenmessene Abwehrreaktionen der Partei auf wenig wohlwollende Presseartikel. Im Grunde kann ich den JuPis Recht geben – sich hier angepisst in die Schmollecke zurückzuziehen oder aus lauder Überforderung mit der Kritik Naziparolen rauszuhauen ist der Sache nicht zuträglich. Was aber mal wieder fehlt, ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik. Die „etablierten“ Parteien sind – das will ich ihnen zu Gute halten – nicht einmal von den Piraten angenervt, weil sie eine Konkurrenz bedeuten sondern weil sie einfach so verdammt unprofessionell sind. Wobei: Unprofessionell ist vielleicht nicht die richtige Formulierung, sdie Piraten verhalten sich eher albern. Und sie nerven damit das „Establishment“. Das ist vielleicht auch mit der Grund, warum viele Protestwähler ihr Kreuz bei der Piratenpartei gemacht haben oder machen werrtden – man kann mit Piraten in den Parlamenten „denen da oben“ nämlich ganz schön eine hinhauen.
Das das für eine wirklich förderliche Politik – auch für eine vernünftige Netzpolitik – nicht genügt, ist klar. Damit machen sich die Piraten aber nur zum Büttel der Protestler. Ihre ursprüngliche Kernkompetenz – die Netzpolitik – ist für andere Parteien nämlich schneller erlern- bzw. adaptierbar als alle anderen Politikfelder für die Piraten. Das war vor zwei Jahren auch noch nicht absehbar. Aber es funktioniert: Die Linke hat die Piraten in Sachen Netzpolitik um Längen überholt.- Die SPD it ihnen auf den Fersen – nur die Union hat noch deutlichen Nachholbedarf. Bei den Piraten sind derartige Tendenzen in die andere Richtung derzeit nicht erkennbar. Wird der Druck zu groß, werden sie sich vielleicht auf das bedingungslose Grundeinkommen einigen können – vielleicht. Das ist aber kein natives Konzept der Piraten und lässt sich von anderen Parteien ebenso schnell adaptieren.
Damit haben die Piraten zwar ein bisschen Erfolg – schnell aber werden sie obsolet.
In dieser Identitätskrise steckend suchen nun die Piraten nun ein eigenes Profil und haben auch schon den Feind fest im Visir: Die Kirchen. Nun soll es dem Tanzverbot an Karfreitag an den Kragen gehen. Wie doof ist das denn? Und weil man für eine etwas zweifelhafte Aktion auch zweifelhafte Weggefährten braucht, ist die Grüne Jugend auch gleich mit von der Partie. Als ob eine Lockerung des Tanzverbots die drängenden gesellschaftlichen Probleme lösen könnte?
Etwas lächerlich das ganze, aber mit ernstem Hintergrund. Denn so wie die JuPis Toleranz fordern, so verletzt die Piratenpartei diese im Tanzverbotstreit und wendet sich gegen die Religionsfreiheit. Pfeifen.
Ich denke, wir müssen das mit den Piraten einfach aussitzen. Wenn das erste Protestpotenzial verebbt ist, werden die Piraten wieder zu der Kleinpartei, die sie sind. Das ist ok so. Denn in der Zwischenzeit hat sie den „etablierten“ Netzpolitik beigebracht. Und das war dringend nötig.