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Der große Billigplattenspieler-Post

Vielen gelten sie als die Pest schlechthin, als technisch nicht nur auf das Nötigste reduzierte, sondern richtiggehend lumpige Plattenspielerlaufwerke – die generischen Kunststoffchassis („turntable mechanism“) aus China. Sie stehen nicht nur im Ruf, kurzlebig zu sein und schlecht zu klingen, ihnen wird auch nachgesagt, die auf ihnen wiedergegebenen Schallplatten zu schädigen oder gar zu zerstören.

Aufgrund ihres geringen Preises und der Tatsache, dass sie seit vierzig Jahren nahezu unverändert gebaut werden, dürften auf diesen Laufwerken basierende Plattenspieler millionenfach in Umlauf – und in täglicher Nutzung – sein. Grund genug, sich diesen Laufwerken näher zu widmen, sie sich genauer anzuschauen, die Qualität von Arm und System sowie Nadel zu bewerten und auch mit dem ein- oder anderen Vorurteil aufzuräumen (oder eben auch nicht).

Der nun folgende Post wird also ein long read, ein kleiner Wissensartikel zum Thema Billigplattenspieler. Ich habe den Eindruck, dass es den auch braucht, denn wer zu diesen Laufwerken nach konkreten Informationen sucht, findet erstaunlich viel Meinung und erschreckend wenig Wissen.

Zuerst einmal möchte ich zwei Bilder des „klassischen“ Laufwerks der China-Plastik-Plattenspieler präsentieren, damit man sehen kann, wovon überhaupt gesprochen wird:

China-Plastik-Plattenspieler, Laufwerk (cheap plastic turntable mechanism)

Optisch sind diese Laufwerke sehr einfach zu identifizieren: Zuerst fällt der Plattenteller aus Vollkunststoff ins Auge, weiterhin charakteristisch ist der Tonarm mit Kunststoff-Gegengewicht (das eigentlich keines ist) und das Headshell mit dem spitz nach vorn zulaufenden Dorn zum manuellen Auflegen der Nadel und das dünne Tonarmrohr aus Aluminium. Auch das System und der rot leuchtende Nadelträger sind charakteristisch.

China-Plastik-Plattenspieler, Laufwerk von unten (cheap plastic turntable mechanism, motor side)

Betrachtet man die Konstruktion des Chassis von unten, fällt zuerst einmal auf, dass das Laufwerk ganz klassisch an drei Punkten schwingend gefedert gelagert ist. Gut zu erkennen ist der einfache Motor mit seinen zwei Löchern im Boden, durch die zwei Geschwindigkeiten per Poti mit einem Schraubenzieher abgeglichen werden können. Auffällig ist zudem der Auto-Stop und Tonarmrückführungsmechanismus sowie die Transportsicherungsschraube rechts neben dem Tonarmlager.

Auf Grundlage dieses Mechanismus gibt es noch ein „verkleinertes“ Laufwerk, das eine ähnliche Konstruktion aufweist, aber einen deutlich kleineren Plattenteller und vor allem einen kürzeren Tonarm mit sich bringt. Solche Chassis werden gerne in kleinen Kompaktanlagen und den Kofferplattenspielern verbaut. Diese Komplettlaufwerke kosten, nimmt man sie in Tausenderstückzahlen ab, zwischen etwas weniger als 5 und 16 Dollar ohne Zollgebühren und Steuern.

Der Tech-Youtuber Kevin Tekel, besser bekannt als VWestlive, hat in einem sehr sehenswerten Video einmal die Entstehungsgeschichte dieser Billiglaufwerke nachgezeichnet. Die Laufwerke basieren auf einem Patent des US-amerikanischen Erfinders und Konstrukteurs James Dennis, erstmals gebaut wurde das auf minimale Produktionskosten optimierte Einfachlaufwerk in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre von der britischen BSR in Taiwan, die aber alsbald die Produktion von Plattenspielern einstellte (wohl um 1985). Produziert wurde aber bis in die frühen 1990er-Jahre weiter in Taiwan in derselben Fabrik, die nun wieder Capetronic hieß (die BSR kaufte 1981 den Hongkonger Hersteller Capetronic und gliederte ihn dann wieder aus). Dann verliert sich die Spur, es ist davon auszugehen, dass die identischen Laufwerke seit 1991/1992 in China hergestellt werden, ob mit einer offiziellen Lizenz oder als Clones, ist unbekannt – ich vermute letzteres.

Das keramische Tonabnehmersystem selbst kostet rund 1,70 $, die Ersatznadel wenige zehn Cent. Tekel identifiziert es als Clone des japanischen Systems Chuo-Denshi CZ-800, das heute als generisches Tonabnehmersystem mit der Nummer P-188 von mehreren Herstellern angeboten wird. Auf den ersten Blick als solches ist das P-188 durch den roten Nadeleinschub, den wohl schon jeder einmal gesehen hat, erkennbar. Wie es klingt, und ob es tatsächlich die böse Plattenfräse ist, als die es oft bezeichnet wird, dazu komme ich später noch.

Die Frage, die sich hier nun stellt, liegt auf der Hand: Kann ein Plattenspielerlaufwerk, das komplett mit Tonarm, Abnehmer, Nadel, vollständig verkabelt und mit einem Anschlussterminal nebst Motorsteuerung versehen ist und durchschnittlich OEM fünf (klein) bzw. zehn (groß) Dollar kostet, etwas taugen? Oder sollte man tunlichst davon Abstand nehmen, einem solchen Chassis auch nur eine einzige Schallplatte zum Abspielen zu überantworten?

Ja, die Dinger sind nicht der Hit. Wobei ich dem geschätzten Kollegen zumindest ein wenig widersprechen muss: Es gibt von diesen China-Laufwerken mindestens zwei Typen, das größere, das ihr oben im Bild seht und das kleinere, das wir im Video von Techmoan sehen können. Mit beiden Laufwerken habe ich Erfahrungen gemacht – und die sind nicht zwingend identisch. Um es vorwegzunehmen: Ich halte das Große für deutlich besser als das Kleine, das Kleine ist, um ehrlich zu sein, relativ unterirdisch. Die großen Laufwerke waren bis vor wenigen Jahren recht verbreitet, inzwischen sind sie schon fast eine Rarität und durch die kleine, deutlich billigere Variante verdrängt worden. Wer beispielshalber bei Amazon nach diesen Billigplattenspielern sucht, findet unter den ersten hundert Treffern nur noch ein einziges Gerät mit großem Laufwerk, ein Kombigerät von Universum mit zusätzlichem DAB-Radio. Der Rest sind die kleinen Laufwerke (oder höherwertige Chassis, die sollen hier aber nicht Betrachtungsgegenstand sein).

Ein oft gehörter Kritikpunkt an diesen BilliglaufwAltervativangebot)erken kann zutreffen, muss aber nicht: Per se wird dem Laufwerk angekreidet, dass man weder die Auflagekraft noch das Antiskating einstellen kann. Das muss man aber gar nicht, denn dieses Laufwerk wird mit seinem nicht gegen einen anderen austauschbaren Arm, einem einzigen Systemtyp und einem einzigen Nadeleinschub geliefert. Ein Beispiel: In den 80ern wurden etliche Technics-Plattenspieler ohne diese Einstellmöglichkeiten geliefert, unter anderem der Technics SL-BD22D oder der SL-BD3. Diese Plattenspieler waren werksseitig mit einem definierten Arm und einem definierten System konfektioniert – und perfekt ab Werk auf diese Komponenten abgeglichen. Und auch heute, mehr als 35 Jahre später, sind diese Einstellungen noch perfekt – denn sie sind nicht verstellbar. Eine Zeit lang bekam man diese Typen sehr sehr günstig gebraucht, ich habe mehrere instand gesetzt (Hauptproblem dieser Geräte sind Schmutz und Rauchgilb die Patina der Jahre und Kontaktfehler, technisch also nichts Großes, so eine Instandsetzung beläuft sich zumeist auf das Beseitigen der Kontaktprobleme, den Tausch von Nadel und Riemen, die Reinigung, evtl. Nachlöten kalter Lötstellen, die sieht man bei den Japanern und Taiwanern jedoch äußerst selten) und weitergegeben, sie laufen noch heute top! Ein Abgleich von Antiskating und besonders Auflagekraft ist dann vonnöten, wenn man das Tonabnehmersystem wechselt – bei unserem „chinesischen Freund“ ist das weder vorgesehen noch möglich. Sollte das Antiskating grob falsch eingestellt sein, hört man das in aller Regel – und zwar dadurch, dass ein Kanal deutlich lauter spielt, als der andere. Dieses Phänomen ist mir bei den China-Plastikchassis so aber bisher nicht begegnet.

Wenn wir von den Plastiklaufwerken mit dem typischen roten Nadeleinschub sprechen, in HiFi-Kreisen wird der gerne als „rote Pest aus China“ bezeichnet, dann haben wir es mit mehreren generischen Modellen zu tun, von denen ich grundsätzlich zwei grobe Typen unterscheiden möchte: Ein größeres Chassis mit einem Plattentellerdurchmesser von 28 cm und ein kleineres, das vorzugsweise in kleinen Kompaktanlagen und diesen gerade nahezu omnipräsenten Retro-Kofferplattenspielern verbaut ist, der Plattenteller ist ein wenig größer als eine 7″-Singleschallplatte (19,5 cm Durchmesser, um genau zu sein).

Um es einmal vorsichtig auszudrücken: Das größere Laufwerk gibt es auch ohne Geschwindigkeitsumschalter am Chassis, die sind beileibe nicht perfekt, aber immer noch von grundsätzlich annehmbarer Qualität. Das voreingestellte Antiskating und die Auflagekraft (etwas mehr als 5,5 Gramm) liegen im Bereich des Tolerablen, das Laufwerk verfügt über eine Endabschaltung und führt den Tonarm nach Ablauf der Platte zurück, den größten Nachteil sehe ich im Mitresonieren des Kunststofftellers und dem bei leisen Passagen leider deutlich hörbaren Rumpeln. Der Plattendorn ist fest, der Teller nicht besonders wertig gelagert und das ganze Laufwerk ist nahezu komplett aus recht dünnem Hartkunststoff gefertigt – und das hat freilich klangliche Konsequenzen. Ein wenig Abhilfe schafft hier eine Bedämpfung mit einer Plattentellermatte aus Gummi (Achtung, der Spieler kann zu langsam laufen, wenn sie zu schwer ist) oder drei aufzuklebenden Gummipunkten, die die Platte etwas vom Teller entkoppeln (sie müssen recht flach sein, damit die Höhe des Abtastsystems noch halbwegs stimmt, Mittel der Wahl und bei neueren Chassis sogar ab und an ab Werk vorhanden). Selbst wenn man das Chassis mit eingebautem Geschwindigkeitsumschalter vorfindet, ist das immer noch die bessere Wahl, als das „kleine“ Laufwerk. Verbaut wird dieser Chassistyp übrigens seit wenigstens Mitte der 1980er-Jahre, er dürfte in extrem hohen Stückzahlen auch in Markengeräten in den Haushalten vorhanden sein (ich habe so ein Chassis mal als Teil einer Siemens-Kompaktanlage – z.B. RS 150, RS 268 – gesehen!). Selbst TEAC hat es bei seinen Einstigergeräten zwei Jahrzehnte lang verbaut. Das große Laufwerk findet man selbst bei größeren Plattenspielern immer seltener – es ist einfach spürbar teurer, als die abgespeckte kleine Version, auf die ich gleich zu sprechen komme.

Bei den kleinen Laufwerken findet man diese drei Gummiklebepunkte schon vor, dieses Laufwerk (das en masse z.B. in diesen Retro-Kofferplattenspielern verbaut wird) ist aber doch etwas primitiver als sein großer Bruder. Und mit dieser noch primitiveren Konstruktion geht leider auch ein recht eingeschränkter, nasaler und nur wenig schmeichelnder Klang einher. Die kleinen Laufwerke sind sehr hart gefedert, sodass von einer sinnstiftenden Entkopplung des Chassis vom Gehäuse nicht mehr die Rede sein kann. Einige Hersteller behelfen sich hier mit einer zusätzlichen Entkopplung des Chassis mithilfe von Schaumstoffstreifen – mit leider sehr übersichtlichem klanglichem Nutzen. Dennoch sind auch diese Plattenspieler recht unempfindlich gegen Schwingen und Springen, weil einfach eine vergleichsweise hohe Auflagekraft gefahren wird. Nachteile des kleineren Laufwerks sind die fehlende Tonarmrückführung, die (in der Regel allerdings abschaltbare) unsaubere Endabschaltung des Motors und der gekürzte Tonarm, bei dem es daher zu winkelbedingten Abtastfehlern kommt, unweigerlich ein Konstruktionsmangel. Auch die Lagerung des Tellers ist noch bescheidener, als beim großen Chassis, mein erstes Exemplar hatte auch hörbare Gleichlaufprobleme. In Summe beeinträchtigen diese konstruktiven Merkmale und die hohe qualitative Streuung dieser Laufwerke den Klang merklich.

Kleiner Kofferplattenspieler "Voksun", schlechnte Klangqualität.

Nach meinem jetzigen Kenntnisstand würde ich daher Folgendes sagen: Die Plattenspielerchassis mit dem rd. 28 cm durchmessenden Teller sind prinzipiell brauchbar, sie sind nicht high-endig, für den Einstieg oder als seltener genutzter Bestandteil einer Kompaktanlage aber vertretbar. Das kleinere Laufwerk schneidet hier nach meiner Erfahrung leider deutlich schlechter ab. Man kann mit ihm Platten hören, die Tonqualität ist aber mangelhaft.

Ein paar Worte zum System und Nadel, der Qualität und Technik: Tonabnehmersysteme aus „Keramik“, auch „Kristalltonabnehmer“ waren bis in die 1970er Jahre Standard, auch bei den deutschen Herstellern. Im Ostblock konnten sie sich bis zum Fall des Eisernen Vorhangs halten. Sie sind nicht wirklich aus Glaskeramik, sondern piezoelektrische Wandler mit einem Keramikstreifen pro Kanal, der dafür sorgt, dass die kristallinen Barimuzirkonatstruturen durch die Auslenkung der Nadel und die dadurch entstehende minimale Reibung entsprechende elektrische Ladungen erzeugen, die dann – natürlich deutlich verstärkt – den Ton wiedergeben. Die Worte „Kristalltonabnehmer“ und „Keramiktonabnehmer“ werden synonym verwendet. Der Kristall/Keramiktonabnehmer hat einige technische Nachteile, aber auch zwei Vorteile: Zum einen sind solche Systeme sehr robust, unterliegen kaum Alterungserscheinungen und sind obedrein erstaunlich günstig herstellbar. Zum anderen liefern sie recht hohe Ausgangsspannungen, können unmittelbar an den Verstärker angeschlossen werden und benötigen in der Regel keinen eigenen Phonozweig bzw. Phonovorverstärker. Damit sind sie für unser Billiglaufwerk erste Wahl, denn so bedarf es weniger aufwendiger Verstärker- und Entzerrerschaltungen noch teurer magnetischer Systeme. Die technischen Nachteile sollen aber auch nicht verschwiegen werden: Solche Systeme haben oft eine akzeptable Basswiedergabe, sind aber im Bereich der höheren und hohen Frequenzen schwach auf der Brust. Freilich gibt es unter den Keramiksystemen auch hochwertige Tonabnehmer aus den späten 1960er, 70er- und frühen 80er Jahren, deren Frequenzspektrum sehr gut und hinreichend weit ist, „ehrliche“ Datenblätter gehen bei unserem Abnehmer P-188 von einem Frequenzspektrum von 80 – 10.000 Hz aus. Zum Vergleich: Das „weiße“ Einsteiger-Standardsystem von Audio Technica, das AT 3600, gibt hier ein Frequenzspektrum von 20 – 20.000 Hz an – ein deutlicher Unterschied! Der zweite technische Nachteil keramischer Abnehmer ist, dass sie mit einem relativ hohen Auflagegewicht von wenigstens 4 bis 5 Gramm, manchmal aber sogar 6 Gramm oder mehr  „gefahren“werden müssen. Das hohe Auflagegewicht wird benötigt, um auch bei leisen Passagen durch die Auslenkung der Nadel genug Spannung durch das piezoelektronische Element zu erzeugen. Das mag jetzt ziemlich schrecklich klingen – das ist es aber nicht! Der folgende Absatz fasst es kompakt zusammen – wenn ihr euch was aus diesem Post merken möchtet, dann bitte den nächsten Satz, der ist wichtig:

Ein höheres Auflagegewicht macht Platten nicht kaputt und trägt auch nicht spürbar zu einem deutlich höheren Verschleiß bei, wenn die Nadel in Ordnung ist – viel, viel schlimmer für die Platte ist, wenn die Nadel aufgrund eines zu gering gewählten Auflagegewichts in der Rille nach links und rechts zu trudeln beginnt – das beschädigt die Platte wirklich! Sechs Gramm Auflagegewicht mögen theoretisch einen höheren Verschleiß begründen, stellen in der Praxis aber kein Problem dar, solange die Nadel in Ordnung ist.

Durch das deutlich höhere Auflagegewicht des keramischen Systems verschleißt, auch das ist ein technischer Nachteil, die Nadel schneller. Bei einem magnetischen System mit etwa 1,5 g bis 2 g Auflagegewicht hält eine Nadel, reinigt man sie vorsichtig und regelmäßig, 800 bis 1000 Spielstunden. Die unterschiedlichen Datenblätter unseres P-188 gehen von 300 Stunden Lebensdauer aus, ich würde diesen Wert aus praktischer Erfahrung eher bei 100 bis 150 Stunden sehen. Bedenkt man, dass die Nadeleinschübe des P-188 zwischen einem und maximal zwei Euro pro Stück kosten (!), kann man sich einen häufigeren Nadelwechsel auch leisten (der Verschleiß des Abspielens einer Plattenseite kostet rechnerisch etwas weniger als einen halben Cent).
Die Nadel selbst besteht bei diesen Systemen aus Rubin. Rubin klingt sehr edel – aber es handelt sich bei diesen beschliffenen Rubinsplittern recht schlicht um synthetischen Korund, der durch Aluminiumoxidschmelze gewonnen wird und seine rötliche Farbe durch Zugabe von etwas Chrom erhält. Dieser Korundsplitter wird auf ein feines Aluminiumröhrchen geklebt („getipt“ oder „gebondet“). Rubin und Saphir sind erst mal gar keine schlechten Materialien („Saphir“ ist auch Korund, nur eben ohne die rote Färbung, die technisch kleinen Vorteil bringt), nur echte Diamantsplitter sind härter.

P-188-Tonnadel, "die rote Pest aus China"

Wie gut oder schlecht sind nun diese Tonnadeln, die inklusive des roten Kunststoffeinschubs nur ein bis zwei Euro kosten? Ich habe mal so einen neuen Nadeleinschub unter mein zugegebenermaßen nicht so übertrieben hochwertiges Mikroskop gelegt und siehe da:

Die Nadel selbst ist absolut okay, der Kegel des Nadelschliffs könnte einen feinen Hauch symmetrischer sein, in der Praxis und beim verwendeten Kristallabnehmer wird das klanglich aber keine Rolle spielen. Was mir weniger gut gefällt, ist, dass der Durchschuss auf dem Aluminiumnadelträger nicht optimal entgratet ist, das sollte bei der Eintauchtiefe in die Rille aber ebenfalls kein Problem darstellen.

Auch die Draufsicht auf den Nadelträger zeigt, dass der Rubin sauber zentriert ist – hier sind keine Probleme zu erwarten. Die Tonnadel und das hohe Auflagegewicht beim Abspielen sind nicht wirklich optimal, aber bei normalem Gebrauch und normaler Pflege steht nicht zu erwarten, dass man die Schallplatten damit beschädigt. Um es an dieser Stelle deutlich zu sagen: Wir sehen unter dem Mikroskop den billigst bei Amazon Deutschland zu erstehenden Nadeleinschub für das P-188, neun neue Nadelträger kosten 8,99 Euro, die Nadel ist unbespielt.

Für diesen Bericht habe ich mir beim großen „A“ also einen dieser Kofferplattenspieler kommen lassen – der Hersteller nennt sich „Voksun“ und das Gerät selbst scheint generisch, es gibt solche und ähnliche Plattenspieler von vielen unterschiedlichen Herstellern.

"Voksun"-Billigplattenspieler mit einer Schellackplatte, abgespielt bei 78 RPM

Die Features, welche dieses mit knappen 43 Euro recht günstige Koffergerät mitbringt, sind erst einmal beeindruckend: AUX-In, Line Out per Cinch, Bluetooth-Wiedergabe, drei Geschwindigkeiten, Kopfhörerausgang und Stereolautsprecher – das liest sich zunächst prima. Die Ernüchterung kommt mit dem ersten Abspielen der Schallplatten. Dünn und schrill tönt der Sound, nicht nur die eingebauten Lautsprecher klingen fraglich, auch der Klang über Kopfhörer kann nicht überzeugen. Das gilt sowohl für Singles, als auch LPs, und auch bei der Wiedergabe alter Schellacks ist der Klang recht dünn. Was mich sehr irritiert, ist der Umstand, dass das Nadelgeräusch (ohne entsprechende elektrische Verstärkung) ebenfalls ungewöhnlich laut und kratzig klingt. Hier merkt man die hohe Auflagekraft, die benötigt wird, um dem System genug Ausgangsspannung für eine möglichst einfache Verstärkung abzutrotzen.
Das ruft nach der Tonarmwaage, ich möchte feststellen, wie hoch die Auflagekraft ist. Mit diesem Unterfangen scheitere ich aber, weil meine Tonarmwaage nur ein Maximalgewicht von 5 Gramm zu wiegen in der Lage ist. Haptisch ist der kleine Kofferplattenspieler durchaus okay, er fühlt sich an, wie ein einfacher Instrumentenkoffer – die Kunstlederbespannung ist ordentlich vernäht, Scharniere und Griff machen einen guten Eindruck, auch die Grundplatte, auf der das Plattenspielerchassis aufgesetzt ist und die Bedienelemente fassen sich gut und solide an. Eigentlich schade, dass bei so einem Materialaufwand der Output nur so mäßig ist. Man merkt beim ersten Hören, dass etwas mit der Entzerrung nicht stimmt, die Verstärkung unter Verzicht auf eine separate Entzerrung des Systems genügt bei modern geschnittenen Platten nicht, auf eine vernünftig angepasste Entzerrerschaltung hat man aber verzichtet.

So ganz kann ich nicht glauben, dass die Qualität des Laufwerks so schlecht ist. Der Gleichlauf passte nicht wirklich, der Sound war völlig unausgeglichen, nasal und kratzig – nein, das würde wohl kein Kunde so akzeptieren und zumindest das größere Laufwerk war auch nicht dergestalt schlecht. Vielleicht hatte ich nur Pech und ein schönes, aber schlecht funktionierendes Montagsgerät erwischt? Ich mache die Probe aufs Exempel und ordere einen weiteren Kofferplattenspieler der Marke „DigitNow!“, Kostenpunkt etwas weniger als 40,- Euro.

Der sieht optisch ein klein wenig anders aus, besonders der Koffer ist kantiger und etwas einfacher gearbeitet, der Plattenspieler hat zudem noch einen USB-Ausgang zum Digitalisieren der Platten am Rechner, aber das fast identische Plattenspieler-Chassis, das sich nur durch marginale Designvariationen vom anderen Laufwerk unterscheidet. Beim ersten Einschalten macht sich schon ein deutlich hörbares 50-Herz-Brummen bemerkbar. Das hatte der Voksun-Spieler nicht (das kann aber auch daran liegen, dass das Voksun-Gerät fälschlicherweise mit einem UK-Netzteil geliefert wurde und ich hilfsweise eines von meinen hochwertigeren geregelten 12-Volt-Netzteilen verwendete, das kann ich beim DigitNow-Gerät nicht reproduzieren, weil das statt mit 12 Volt mit 5 Volt betrieben wird). Sonst aber ist die Kiste genau so enttäuschend wie das Voksun-Gerät. Auch dieser Plattenspieler kann Bluetooth wiedergeben, hat einen Cinch-Ausgang, AUX In und eine Kopfhörerbuchse. Auch dieser Plattenspieler ist außerstande, Schallplatten grundsätzlich fehlerfrei abzutasten.

Dieses Exemplar ist sogar noch schlechter gefertigt, als der erste Testkandidat – die Federaufhängung des Laufwerks wird durch die Montage quasi sabotiert und es wird versucht, sie mittels Schaumstoffstreifen „auszugleichen“. Die Spaltmaße zwischen Koffer und Plattenspielerchassis sind, wie das nun folgende Bild zeigt, unterirdisch:

Man muss kein Techniker sein, um auf den ersten Blick zu erkennen, dass dieses Gerät ab Werk Müll ist. Auch das Tonabnehmersystem sitzt alles andere als gerade im Headshell, dass hier der Azimut nicht stimmt, sieht man mit bloßem Auge. Dumm nur, dass er sich kaum korrigieren lässt – dass so ein Koffer auch nur irgendeine Qualitätskontrolle erfolgreich passieren konnte, lässt tief blicken. Diesem Umstand trotzend, werden solche Plattenspieler vieltausendfach verkauft – das sollte einem zu denken geben.

Es überrascht sicher niemanden, dass der Klang auch dieses Koffers hinter jeder Erwartung zurückbleibt. Er ist aus meiner Sicht schlechter als der Klang eines Handylautsprechers. Das ist nicht allein den nicht besonders wertigen Lautsprechern und dem primitiven Verstärker des Koffers geschuldet, nein, das Abtastverhalten des Laufwerks ist schlicht ungenügend.

Wenn bei Amazon jemand diese Plattenspieler als gut oder sehr gut bewertet – dann traut diesen Bewertungen bitte nicht. Diese Geräte sind richtig mies – deutlich mieser als die alten BSR-Laufwerke und leider auch deutlich schlechter, als ich es erwartet hätte. Ich denke, dass die guten Bewertungen solcher Spieler dem Umstand geschuldet sind, dass die Rezensenten schlicht keine klanglichen Vergleichsmöglichkeiten haben und angesichts des günstigen Preises und der Funktionsvielfalt dieser Geräte einfach zu überzeugen waren. Man wird damit seine Platten bei normalem Gebrauch wohl nicht wirklich schädigen, aber man tut sich selbst mit einer so schlechten Klangqualität auch keinen Gefallen.

Wie aber kann es sein, dass dieses Chassis derart schlecht klingt? Nun, zuerst einmal sehe ich als Problem die wirklich hohe qualitative Streuung der Laufwerke. Bei zwei Exemplaren eiert eines, das andere ist schlicht schief auf- und auch noch unzureichend in den Koffer eingebaut. Die Herstellung eines Plattenspielers erfordert ein Mindestmaß an Präzision, das bei diesen Plastikteilen schlicht nicht gegeben ist (Präzision, eine saubere Justierung und eine hinreichende Qualitätskontrolle sind einfach Kostenfaktoren). Erschwerend kommt die Kürze des Arms hinzu. Es ist kein Zufall, dass die TOP-Laufwerke der 70er- und 80er-Jahre 12-Zoll-Arme hatten, um dem entgegenzuwirken. Sehr kurze Tonarme gab es schon immer, denken wir nur an die kleinen Chassis, die man früher in den Musiktruhen verbaute. Hier waren die Arme aber eben nicht einfach nur gerade, man kröpfte sie, winkelte sie also vorn ab, um damit den Abtastfehlwinkel zu reduzieren. Darauf hat man beim Design dieses Laufwerks teilweise aber leider verzichtet (mutmaßlich aus Kostengründen, siehe das zweite getestete Gerät von DigitNow) – der Abtastwinkel passt, das lässt sich selbst mit einer einfachen Pappschablone schnell überprüfen, an keiner Stelle der Platte – das ist schon ein bisschen blöd. Auch beim Voksun-Player passt die vorhandene Kröpfung nicht, sie wurde nämlich vom Chassis mit dem langen Arm übernommen (immer noch besser, als ein komplett gerader Arm!). Da fallen dann die anderen Nachteile gar nicht mehr so sehr ins Gewicht. Ich sehe die, der Vollständigkeit halber, im eingeschränkten Frequenzgang und den qualitativen Schwankungen beim Tonabnehmersystem, beim mitresonierenden Plattenteller, der aufgrund seiner Beschaffenheit aus dünnem Hartkunststoff trotz Riemenantrieb über das Kunststoffchassis Motorlaufgeräusche auf Platte und System überträgt und beim durch den einfachen Motor und den leichten Teller bedingten, ungenügenden Gleichlauf. In Summe klingen Platten auf diesem Gerät leider schauderhaft, ihr klangliches Potenzial wird kaum ausgeschöpft. Dass die verbauten Lautsprecher jeder Beschreibung spotten – geschenkt.

Der ein- oder andere Zeitgenosse mag nun einwerfen, dass es dennoch eine sinnstiftende Verwendung für diese Billiglaufwerke geben könnte. Da sie heute alle auch über eine Geschwindigkeit von 78 Umdrehungen pro Minute verfügen, böte sich doch das Abspielen von Schellackplatten an. Diese sind nicht tangential geschnitten, aufgrund der Rillenbreite fällt der Fehlwinkel nicht so übertrieben ins Gewicht, ihr Frequenzgang ist ohnehin eingeschränkt und sie bedürfen auch keiner separaten Entzerrung. Wäre das nicht was für unsere Kofferplattenspieler?

Diese Überlegung liegt gar nicht so fern, ich habe es gerne auf einen Versuch ankommen lassen – mit Erfolg, aber eben nur mit mäßigem Erfolg. Prinzipiell passt die Abtastung der Schellackplatte, hier sind ja weit größere Toleranzen technisch deutlich unproblematischer. Es funktioniert auch, Gleichlaufschwierigkeiten treten bei dieser hohen Umdrehungszahl ebenfalls in den Hintergrund – aber auch bei Schellacks ist der Sound recht dünn, denn die Nadel ist hierfür einfach zu fein und zu wenig verrundet (dieses Problem hat das Billigchassis übrigens nicht alleine – denn es gibt auch andere Laufwerke, bei denen inzwischen wieder die 78er Geschwindigkeit vorhanden ist, die eingesetzte Mikrorillennadel aber für das Abspielen der Schellackplatten nicht sinnvoll einsetzbar ist). Man müsste bei all diesen Plattenspielern den Nadeleinschub durch einen für Schellacks geeigneten ersetzen. Plattenspieler in den 1950er, 60er und 70er Jahren lösten dieses Problem mitunter durch eine Wendenadel, die man mit einem Fähnchen auf einer Achse unterhalb des Abnehmers drehen konnte. Interessanterweise gibt es für unsere Billigchassis sogar ein passendes Keramiksystem mit Wendenadel, das für etwas mehr als 5 Euro (zzgl. etwa zwei Euro Versand) aus China bezogen werden kann (Screenshot des Angebots, Alternativangebot). Sollte diese Angebote vergriffen sein, bekommt man das System auch über Soundmaster und CMK. Der Umbau ließe sich also prinzipiell leicht bewerkstelligen. Selbst habe ich das allerdings noch nicht gemacht. Mir scheint es aufgrund der oben genannten Defizite auch nicht geboten, die kleinen Koffer, auch wenn sie chic sind, umzubauen, sondern den Umbau nur bei Geräten mit dem großen Chassis vorzunehmen. Auch für diesen Anwendungsfall ist zumindest das kleinere chinesische Billigchassis also leider nicht wirklich zu empfehlen, da auch die Schellack-Wiedergabe ohne Umbau des Abnehmers einfach zu kompromissbehaftet ist.

Mein Kurzfazit: Nein, eine echte Plattenfräse ist dieses Laufwerk nicht, mittlerweile ist die Qualität der Chassis aber so gesunken bzw. die kleine Variante auch mit konstruktiven Mängeln behaftet, sodass ich prinzipiell nicht zuraten möchte. Die klangliche Bewertung erfolgt nicht etwa aus der Warte des High-End-Snobismus, sondern liegt der Erfahrung als jahrzehntelanger Plattenhörer zugrunde.

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