Anachronismen für ein freieres Leben.
Das ich mich bislang erfolgreich geweigert habe, bei Facebook meine Daten einem gewissen Herrn Zuckerberg nebst einem Konsortium überwiegend russischer und US-amerikanische Investoren in den Arsch zu blasen, müsste den regelmäßigen Lesern hier bekannt sein. Aber ich habe eine gewisse Freude, das zu jeder sich bietenden Gelegenheit zu wiederholen, daher stelle ich diese Aussage auch an den Anfang dieses Posts. Sonst nutze ich in geringen – aber existierenden Dosen – das Social Web. Eine erste Nutzung ist dieses Blog – das fällt bereits auf das Jahr 2005 zurück, allerdings hat es mir 2007 mal einen Server zerrissen und so habe ich das erst Ende 2008 wieder aufgenommen. Und dann gibt es da noch Twitter und Youtube. Meinen flickr-Account habe ich gerade vor zwei Tagen geplättet, bei webshots liegt noch ein kleiner Bunch an Fotos. Und dann habe ich mit dem E7 ein halbwegs aktuelles und für meine Verhältnisse hochintegriertes sog. „Smartphone“ (wobei: smart wird so ein phone doch erst, wenn der Nutzer was smartes damit macht – ich tue das ausdrücklich nicht, ich telefoniere und höre Podcasts mit dem Teil).
Das mit dem Social Web ist so eine Sache: Wenn ich mir vor Augen halte, welche Unsummen derzeit in Facebook investiert werden, fühle ich mich an Zeiten des „Neuen Markts“ erinnert – Facebook und Co. könnten die vom Platzen bedrohte Blase dieses Jahrzehnts werden. Jedes Jahrzehnt braucht so eine Blase – Anfang der 90er sind den Konzernen ihre Akquisitionen um die Ohren geflogen, Anfang der 2000er dann Biotech-Zeugs, E-Commerce und Dotcom-Sachen und Kimbles Unfug und facebook und Konsorten werden wohl die Geldvernichtungsmaschine unserer Tage.
Anders lässt sich wohl kaum erklären, dass Microsoft Milliarden (sic!) in Skype investiert. Milliarden! In einen Dienst, in dem man mit einem gerüttelt Maß an Latenz im Internet „telefonieren“ kann – wenn man bereit ist, die skurrile Darbietung, die Menschen abgeben, von einem Notebook kniend, brüllenderweise in ebendiesen hineinkriechen zu wollen, telefonieren zu nennen. In Zeiten von Flatrates Milliarden! Ich bekomme das monatliche Minutenkontingent auf dem Handy nur dann annähernd platt, wenn man mit täglich mehrere Rückrufbitten auf das Gerät ballert. Eine Festnetzflatrate ist bei vielen Verträgen – mobil wie immobil – fester Bestandteil. Die Telefonfirma, die meinen heimischen Anschluss stellt, rechnet mit für eine Flatrate für Gespräche innerhalb Europas und den USA etwa vier Euro monatlich extra ab. Und die Pfeifen von Microsoft blechen für Skype Milliarden. Es ist unfassbar.
Noch interessanter ist, dass ebendies Social Web professionelle Marketing-Betrüger anzuziehen scheint, wie der Roßapfel die Fliegen. Wie das bei Facebook funktioniert, wissen wir: „Likes“ kann man im Dutzend im Tausenderpack klicken, ob Freunde echte Menschen oder nur mehr oder weniger gut ausgestopfte Sockenpuppen sind, weiß heute niemand mehr. Auch ich habe mir mal so einen Sockenpuppen-Account bei Facebook geklickt, um zu sehen, was das überhaupt ist und wie das funktioniert, ich bin aber nicht mehr im Besitz desselben, weil ich die Logindaten vergessen habe und mein Passwort kann ich mir auchnicht mehr auf die einstmals verwendete Wegwerfadresse senden lassen – die ist bereits im digitalen Nirwana, im Meer der Einsen und Nullen aufgegangen.
Kein Facebook zu haben ist schon was tolles, es gibt immerhin das gute Gefühl, nicht beschissen zu werden. Die Zahl der Facebook-Mitglieder, man handelt sie auf 500 Millionen oder gar mehr, dürfte sich unter Einbeziehung dessen, was der gesunde Menschenverstand anmahnt, auf einen Bruchteil reduzieren, um die Realität abzubilden.
Es stand ja zu befürchten, dass das bei YouTube ähnlich ist, aber so richtig hatte ich das noch nicht auf dem Zettel. Nun ist Gewissheit, was viele vermuteten: Markus Hündgen vom ZDF Hyperland hat sich mal ein gerüttelt Maß fünfstelliger Klicks für ein YouTube-Video in Pakistan gekauft – für eine Hand voll Dollar – und führt damit, vielleicht ohne es zu wollen, diese ganze Klick-, Views- und Like-Scheiße und damit in letzte Konsequenz das ganze Social Web ad absurdum.
Klicks, Likes und Views sind der Heilige Gral des Social Webs – denn deren öffentlich kundgetane Anzahl schaffen eine Art Testimonial über die Güte. Nur: Dieses Testimonial ist keines, denn es ist nicht einmal aus Gefälligkeit geschehen sondern einfach gekauft. Die Nuss ist hohl, so einfach ist das.
Gut, wenn Follower Bots sind, wenn Likes und Views gekauft, Klicks in der Dritten Welt generiert sind, wenn sich also für das Zeug, was man tut, keiner interessiert, dann kann man es auch lassen. Das einzige, was wirklich etwas bringt, ist echter, vernünftiger Content. Und da ist es dann auch wurscht, wie viele den ansehen, wichtig ist nur, dass er von Leuten zur Kenntnis genommen wird, die sich wirklich dafür interessieren. Fünf interessierte Leser sind wertvoller als 4 999 995 Likes o. ä. (denn da habe ich ja nur dumm Geld ausgegeben, um diese 4 999 995 Leser, Liker oder Viewer generieren zu lassen). Eine Binsenweisheit? Offensichtlich nicht. Nach der letzten Lektüre eines Magazins, dass sich da „t3n“ schimpft, hatte ich das Gefühl, dass Marketingexperten anderen Marketingexperten um jeden Preis genau diese Wahrheit auszureden suchen. Der Grund ist offensichtlich: Erstere „Marketingexperten“ klicken einfach lieber mit dem Geld des Kunden 4 999 995 Leser, Views Klicks, Likes…. als guten Content zu erschaffen (was nämlich Zeit kostet und Können erfordert – letzteres sucht man bei den selbsternannten Experten gerne vergebens).
Wenn andere Leute das Geld anderer Leute verschwenden, ist das im Prinzip nicht mein Problem – sollen sie nur machen. Dumm nur, wenn ich selbst „Teil“ eines dieser sogenannten Sozialen Netzwerke bin, denn dann bin ich ständig mit diesem künstlich nach oben gepushten Auswurf der Marketingexperten“ konfrontiert. Bei meiner Sockenpuppe hatte ich weiland das Gefühl, dass da nur Schrott bei rumkommt. Es ist fast so, als müsste man bei einer Tageszeitung mit der Seitenzahl des Otto-Katalogs die redaktionellen Beiträge händisch aus 99 Prozent Advertisment heraussuchen. So viel Lebenszeit lasse selbst ich mir nicht stehlen.
Ein wenig mehr Verunsicherung gefällig? Per definitionem von Professor Kruse wäre ich ein „digital visitor“, der deshalb nicht voll im Social Web aufgeht, weil er sich nicht mit seiner Identität voll hineingibt. Und: Wenn dem so ist freue ich mich über mein Dasein als „digital visitor“, denn ich müsste ja komplett bescheuert sein, meine Identität auf dem Altar der „Marketingexperten“ opfern zu lassen. Ganz so einfach ist es dann leider doch nicht,, irgendwie bin ich dann schon ein Resident – falle eben nur dadurch aus dem Raster, dass ich meine Souveränität dadurch wahre, vieles von dem, was ich im Web tue, auf eigenem Server auf Grundlage freier Software umzusetzen und möglichst wenig mit externen Plattformen zu erledigen.
Aber: So ein Leben als „digital visitor“ wäre gar nicht schlecht.
Wer jetzt stutzt und sich gerade fragt, was ich da schreibe, der möge sich nun vierzig Minuten Zeit nehmen und sich den Vortrag von Professor Kurse von der re:publica 2010 zu Gemüte führen. Ich denke, dass uns die hier geäußerten Kenntnisse in den nächsten fünf Jahren sehr nützlich sein werden. Hier. Jetzt. Gucken!
So, das war nun also der Bildungsteil.
Wie nun aber mit diesem Social Web umgehen, dass man nicht ständig Fakes aufsitzt? Die Lösung liegt in der Verwendung gut eingeführter Techniken nach alter Väter Sitte. Ein paar Impulse dazu habe ich bereits:
Zuerst einmal betrachte man sich das Telefon. Früher waren Telefone ortsgebundene Apparate, was den Vorteil mit sich brachte, dann nicht erreichbar zu sein, wenn man nicht erreichbar war. Das Handy hat das grundlegend geändert. In Deutschland gibt es mehr aktive SIM-Karten als Einwohner, was nichts anderes bedeutet als den Umstand, dass nicht nur quasi jeder einen dieser kleinen Quälgeister in der Tasche hat sondern ein immerhin präsenter Anteil der hier lebenden Menschen mehr als eins davon. Das Handy ist eine echt nette Sache – nur man muss den Umgang damit neu erlernen und sich nicht davon abhängig machen. Dienstliche Anrufe haben zum Beispiel auf dem Privatapparat nichts verloren. Den Fehler, alles und jedes Gespräch auf dem Handy anzunehmen, habe ich lange gemacht. Das tue ich nicht mehr – Freiheit gewonnen!
Dazu gehört natürlich auch, reale und potenzielle Anrufer ein wenig zu erziehen. Diese Erziehungsmaßnahme wird dann unterstützt, wenn man sich noch im Besitz eines echten Festnetzanschlusses befindet. Das Praktische hieran: Je nachdem, wen man wann wo sprechen will, gibt man den entsprechenden Personen die jeweilige Nummer. Auch das ist nicht ganz leicht zu entscheiden: Früher gab man einfach Festnetz- und Mobilnummer auf einer Visitenkarte, man konnte sich sicher sein, dass Gespräche zuerst einmal auf dem Festnetz aufliefen, denn das war für gewöhnlich die billigste Variante des Telefonierens. Wurde man dann nicht erreicht und war es wirklich dringend, versuchte man es auf dem Handy. Heute gibt es diese Gewissheit nicht mehr – die Leute rufe gleich auf dem Handy durch – in der Erwartung, dass man gleich mit ihnen spricht. Eigentlich eine Unverschämtheit.
Einstmals waren Handys Statussymbole. Heute kann man sie im Supermarkt kaufen. Grund genug, einmal darüber nachzudenken, wie man mit dem Ding umzugehen gedenkt. Dumm nur, dass Festnetzanschlüsse verschwinden. Wer es sich „leistet“, auf einen solchen zu verzichten, der muss sich echt was überlegen. Ab und an abschalten kann zum Beispiel ein erster Schritt in die richtige Richtung sein.
So ein Festnetzanschluss bringt einen nicht nur in den Genuss günstiger Auslandstelefonate, er ermöglicht auch, dann Gespräche zu führen, wenn man sich auf den Gesprächspartner konzentrieren kann und Zeit dafür hat. Ein durch fast nichts zu ersetzendes Mittel, um dies noch ein wenig zu verfeinern und die Kommunikation verbindlicher zu gestalten, entstammt längst vergangenen Tagen – den 1980er Jahren. Der Anrufbeantworter ist, setzt man ihn halbwegs zuverlässig ein, ein echt wertvolles Ding. Wenn ich nicht da bin, kann man mir eine Nachricht hinterlassen – ich rufe sogar gerne zurück, und zwar dann, wen ich mir Ruhe geschaffen habe und mich auf ein Gespräch wirklich einlassen kann. Wenn der Anrufer auf dem Band hinterlässt, was er möchte, kann ich mich auf das Telefonat sogar vorbereiten – solche Telefonate sind nett, effektiv und ungestört. Ein guter Anrufbeantworter ist für mich ein altes Gerät. Seines Sprachqualität ist höher als die von Mailboxen, sein Kassettenband gibt dem Anrufer den Raum, auch komplexe Anliegen stressfrei artikulieren zu können und eine Kassette vergisst ihren Inhalt auch dann nicht, wenn mal der Strom wegbleibt.
Radio hören und Zeitung lesen ist eine gute Möglichkeit, sich abseits des web-eigenen Grundrauschens intensiv zu informieren: Ein guter Kommentar steht selten auf SPON, in jeder Tageszeitung wird man fündig. Eine ernsthafte Analyse mit Originaltönen ist Sache des Deutschlandradios oder von hr2. Facebook bringt hier genau nichts. Ein Fachbuch birgt in der Regel mehr Tiefe als ein Wiki-Eintrag. Schnell einen Überblick darüber zu gewinnen, was los ist – hier kann Twitter schon helfen. Wer aber Entscheidungen treffen, Zusammenhänge verstehen, sich eine fundierte Meinung bilden will, dem nutzt der reine Überblick herzlich wenig.
Freunde? Sie zum Essen einzuladen, mit ihnen einen Schrank aufzubauen, feiern – das ist wertvoll. Jemanden zu „gruscheln“ (obwohl – nicht einmal das tut man heute mehr) den man selbst dann nicht in den Arm nehmen wollte oder könnte, wenn er weint, verzweifelt ist, ist völlig wertlos. Facebook zur Freundschaftspflege hat etwas von einem Knastbesuch in amerikanischen Spielfilmen: Man sieht sich durch eine Scheibe und flüstert über die Gegensprechanlage, immer unter dem scharfen Blick eines wachsamen Wärters. Das dumme daran ist nur, dass dieser Knastbesuch in amerikanischer Blockbustermanier wesentlich persönlicher ist als alles, was sich über Facebook abbilden lässt.
Zeitungen zu lesen, gar Bücher, Radio zu hören – Freunde persönlich zu treffen, Telefonate in Ruhe zu führen – ein Anachronismus im Jahre des Herren 2011. Der bringt Freiheit und Intensität. Darum geht es. Das Social Web mit allseinen Vorzügen und Annehmlichkeiten kann dies alles nicht ersetzen. Es könnte es selbst dann nicht, wenn sein Content wertvoller wäre und es frei und ungezwungen in Abwesenheit dieser Marketeers zuginge. Das macht das Social Web nicht schlecht – nur seine Grenzen muss man kennen.
Es geht hier nicht um Technikverweigerung – das ist denke ich klar geworden. Es geht hier zum einen um einen realistischen Umgang mit den eigenen Daten und im Besonderen um einen überlegten Umgang mit persönlicher Kommunikation – einer Kommunikation, die das Attribut persönlich auch verdient. Die „visitors“ sind hier – das muss auch ich demütig anerkennen – den „residents“ deutlich im Vorteil. Denn eine wirklich persönliche, weil erthaltige Kommunikation bedeutet mehr Lebensqualität (weil mehr Intensität und weniger Stress). Nichts spricht dagegen, in Twitter einen besseren Feedreader zu sehen, nichts spricht dafür, seine Lebenszeit im Fakebook zu verbammeln. Sich dabei althergebrachter Mittel zu bedienen ist kein Nachteil: Zu Zeiten, zu denen Ressourcen technischer Natur teuer und knapp waren, setzten sich die sinnvollen durch. Heute, da IP-basierend quasi jeder Sinn wie Unsinn anbietbar ist, ist es schwieriger, sinnvolle Kommunikationsinstrumente zu finden. Twitter gehört durch den Kniff der Reduzierung sicher zu den sinnvolleren, Facebook mit seinem altbackenen Design und seiner nutzlosen Verwurstung von Statusupdates, Chats Foren und Weiterleitungsfunktionen sicher zu den schlechteren. Im TK-Bereich gibt es ähnliche Trends: Nur weil es billig ist, zu telefonieren, muss ich doch nicht um alles in der Welt telefonieren.
Freiheit durch Anachronismen – zumindest ein lohnender Versuch.