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Ein paar Worte zum Aiwanger-Söder-Skandal

Wir leben in verrückten Zeiten. Zeiten, die so verrückt sind, dass man es kaum in Worte fassen kann. Ich will es dennoch versuchen, schon alleine, um hier einmal festzuhalten, wie weit fortgeschritten inzwischen die politische Unkultur ist.

Hubert Aiwanger hat mit hoher Wahrscheinlichkeit als Sekundarstüfler ein wirklich widerliches, antisemitisches und nach heutigem Verständnis auch volksverhetzendes Flugblatt verfasst, anlässlich eines Besuches im Konzentrationslager Judenwitze gerissen und im Klassenzimmer den Hitlergruß gezeigt. Vielfach bezeugt durch seine ehemaligen Mitschüler und vielfach bezeugt durch seine Lehrer. Er hat seine Kunstlehrerin mit Säure bespritzt und war auch sonst ein wohl eher widerwärtiger Zeitgenosse. Das alles passierte in einem Lebensalter, in dem man gewöhnlich reif genug ist, zu erkennen, dass solche Taten nicht nur falsch sind, sondern auch Konsequenzen haben.

Nun ist also herausgekommen, wes Geistes Kind dieser Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister des Freistaates Bayern, ist. Ich muss es an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Die vielen „markig-rechten“ Sprüche, die Aiwanger vor dem Skandal auf Twitter „X“ von sich gegeben hat, lassen in mir nicht die Hoffnung reifen, dass sich dieser Mann geändert haben könnte – nein, für mich persönlich bleibt Aiwanger der üble Antisemit, als der er sich zu erkennen geben musste.

Von Aiwanger halte ich persönlich nichts. Schon vor dem Skandal schien er mir weder als besonders integer noch als besonders klug. Ein einfacher Mann, ein Landwirt, ein Schlitzohr vielleicht (selbstredend ohne die halb positive, schon fast anerkennende Konnotation, die das Wort „Schlitzohr“ in Bayern hat). Er stand und steht einer Partei vor, die lediglich in ländlichen Gebieten in den Gemeinde- und Kreisräten einen gewissen Erfolg verbuchen kann, einer Partei, die sich einem diffusen Rechtskonservativismus verschrieben hat, wie er auf dem flachen Lande immer noch persistiert. Diese „Freien Wähler“ sind damit der CSU nicht unähnlich. Sie haben es, das halte ich für ein bemerkenswertes Detail, durch ihre kommunale Kleinarbeit geschafft, sich neben der CSU zu behaupten. Gerade Aiwanger, der erst 2002 zur Partei stieß, und nach den üblichen Stationen Vorsitzender seiner Partei in Land und Bund wurde, etablierte die FW als eine Partei, die rechts der CSU steht, vielleicht sogar nahe an der AfD, das möge nun jeder für sich entscheiden. Gerade vor der Folie des gesellschaftlichen Rechtsrucks der Zehnerjahre, besonders ab dem Jahr 2018, gelang ihm damit ein Lückenschluss, der der CSU nicht gefallen dürfte, gegen den sie sich aber auch nicht adäquat wehren konnte. Die Freien Wähler hatten mit der Wahl des niederbayerischen „Hillbillys“ Aiwangers als Galionsfigur erst einmal sogar Glück: Mit erstaunlich gutem Ergebnis zogen die Freien Wähler in den bayerischen Landtag ein. Ministerpräsident Söder konnte das Recht sein. Die sehr konservativen, ansonsten aber reichlich profillosen Kommunalpolitiker taten der CSU nicht weiter weh und erwiesen sich als loyaler Koalitionspartner. Auf die FDP in Bayern kann und konnte Söder nicht bauen. 2018 zog sie extrem knapp mit 5,1 Prozent gerade so in den Landtag ein, in diesem Jahr wird sie diesen Einzug mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr schaffen, was ausschließlich ein Personalproblem ist.

Söder, durch und durch Populist, steht sechs Wochen vor der Landtagswahl vor einem enormen Problem: Als unbeliebtester Ministerpräsident des Landes ist er weit davon entfernt, mit der CSU die zum Alleinregieren nötige Mehrheit zu stellen (was seinen Vorgängern in der Vergangenheit recht regelmäßig gelang). Klar wäre eine Koalition mit den in Bayern überraschend erfolgreichen Grünen durchaus möglich, allerdings für Söder nicht opportun.  Er stand den Grünen schon einmal deutlich näher, doch eine mögliche Koalition mit den im Bund recht unbeliebten Grünen scheint Söder den Bayern für nicht vermittelbar zu halten. Die FDP fällt als Koalitionspartner aus. Und mit der AfD will Söder nicht koalieren. Diesen Dammbruch überlässt er für die Zukunft lieber seinen Unionskollegen im Osten.

Es bleibt Söder also nur eine Option – die Freien Wähler. Und diesen Freien Wählern klebt gerade Scheiße am Schuh. Das Problem lässt sich einfach fassen: Die Freien Wähler haben ohne Aiwanger kein Gesicht. Das wäre dann kein Problem, wenn sie ein Profil hätten – sie haben aber keines. Kaum jemand kann präzise sagen, wofür diese FW eigentlich stehen. Man weiß allgemein, dass sie weiter rechts stehen als die CSU und man weiß, dass sie nicht die AfD sind. Und man kennt Aiwanger. Und vielleicht gerade so Herrn Professor Piazolo, der aber einfach nicht volkstümlich genug ist, um Aiwanger politisch beerben zu können. Gegenwärtig lässt sich die Sache auf eine einfache Formel zuspitzen: Die Freien Wähler sind Aiwanger und Aiwanger ist die Freien Wähler. Und Aiwanger klebt gerade Scheiße am Schuh – den Freien Wählern klebt Scheiße am Schuh. Unangenehm für Söder, der sich nun in einer Zwickmühle befindet – zur denkbar ungünstigsten Zeit: Am 8. Oktober wählt Bayern den nächsten Landtag.

Nun ist Söder sicher kein Mann, dem man so etwas wie „Standing“ oder gar Rückgrat attestieren könnte. Söder ist ein Opportunist – und er tut, was er als Opportunist tun muss: Er hält um jeden Preis, der nicht seine eigene Macht gefährdet, an seinem zukünftigen Koalitionspartner fest. Damit fügt der gegenwärtig taumelnden politischen Kultur einen unfassbar schweren Schaden zu – Aiwanger kann dieses Festhalten Söders an ihm als Erfolg verbuchen und damit – ohne ein Wort darüber verlieren zu müssen – als strahlender Sieger demonstrieren, dass antisemitische Hetze unbestraft bleibt und kein Hinderungsgrund für die politische Karriere ist. Es ist einfach unfasslich. Söder hat damit nicht weniger getan als eine der Grundfesten unserer Demokratie, dem Entgegentreten und dem Kampf gegen Antisemitismus, seinem bayerischen Koalitionsproblem zu opfern. Das ist in höchstem Maße verachtenswert. Söder hat hier einen großen Beitrag zur Legitimation des Rechsextremismus geleistet und damit eine schwerwiegende Schuld auf sich geladen – eine Schuld, die unverzeihlich ist und bleibt – und für die er wohl nie zur Rechenschaft gezogen werden wird. Daran wird auch das Manöver mit einem 25-Fragen-Katalog nichts ändern können (das war übrigens von Anfang an lächerlich – man hätte diese Fragen selbstverständlich bei einer Anhörung im Landtag stellen können; darauf hat man meines Erachtens bewusst verzichtet, wohlweislich, dass Aiwanger aus dem Stegreif nichts zu seiner Verteidigung zu sagen gehabt hätte, und sich mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weiter in den Skandal hineingeritten hätte – und das galt es zu verhindern).

Vor zehn Jahren wäre so ein weitreichender Skandal nicht denkbar gewesen. Vor zehn Jahren wäre Aiwanger sofort zurückgetreten, um seinem sicheren Rausschmiss vorzugreifen. Das muss er heute aber nicht mehr. Dreieinhalbtausend trunkene Landtölpel bejohlten jüngst im Bierzelt diesen Aiwanger, mit „Hubert! Hubert“-Rufen, der bis auf diese reichlich unglaubwürdige Geschichte mit der vermeintlichen Urheberschaft des Hetzpamphletes durch seinen Bruder Helmut nichts zu seiner Entlastung beitragen konnte – oder wollte. Der Ungeist ist wieder salonfährig. Dass Aiwanger nicht zurücktritt, ist nur folgerichtig. Olaf Scholz, tief verstrickt in den Cum Ex-Skandal, den Wirecard-Skandal und den G20-Skandal, ist auch nicht zurückgetreten. Der von der Maskenaffäre gebeutelte Spahn ist ebenfalls nicht zurückgetreten, er verbreitet inzwischen in zunehmendem Maße seinen Unsinn. Auch Scheuer, der wegen seines PKW-Maut-Skandals völlig untragbar geworden ist, ist nicht zurückgetreten. Aiwanger ist ja quasi eingeladen, nicht zurückzutreten – wieso sollte er auch?

Während wegen einer Lappalie, der Automobilmesse in München, gegenwärtig 27 Klimaschützer in Präventivhaft genommen wurden (ein Vorgang, der jeden vernunftbegabten und herzensgebildeten Menschen an der Rechtsstaatlichkeit solcher Aktionen zweifeln lassen muss), werden wir einen neuen Vizeministerpräsidenten mit dem schweren Makel, sich vom Verdacht, ein Antisemit zu sein, nie ernsthaft befreien zu können, erdulden müssen – wegen eines Ministerpräsidenten, der schlicht zu feige war, das zu tun, was er hätte unternehmen müssen: Aiwanger zu entlassen.

Der deutsche Konservatismus, das lehrt uns dieser Skandal, ist an seiner Wurzel verfault. Es ist nichts weiter als ein Elend.

Eigentlich ein guter Grund, aus der Kirche auszutreten…?

Die Existenz Rummelsbergs ist an und für sich der beste Grund, aus der Kirche auszutreten. Ich tue es, das sei vorab gesagt, natürlich nicht, denn die evangelische Kirche hat – Gott sei Dank! – etliches mehr zu bieten, als Rummelsberg. Aber wenn jemand „wegen Rummelsberg“ aus der Kirche austräte, so könnte ich diesen nur beglückwünschen – als Mensch mit Herz und Verstand.

Es gibt, das muss gesagt sein, noch einen Menschen mit Herz und Verstand – und Mut: Der Journalist Michael Kasperowitsch, der in den Nürnberger Nachrichten nicht nur widerkehrend über die Situation sozial Benachteiligter schreibt (und ihnen, so mutmaße ich, unter Umständen mehr hilft, als so mancher Rummelsberger Bruder). Es ist insbesondere Kasperowitschs Verdienst, dass die Öffentlichkeit über die Rummelsberger Machenschaften in Kenntnis gesetzt wird (und als Folge hiervon Überlegungen immer lauter werden, den Rummelsbergen im Speziellen oder der Diakonie an sich nichts mehr zu spenden – was ich, ginge das Geld an Rummelsberg, für eine exzellente Idee halte).

Was ist passiert?

Wer die regionalem aber auch überregionale Presse der letzten Monate (es geht ja schon fast ein Jahr durch die Medien) verfolgt hat, der weiß, dass der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Rummelsberger Anstalten und Rektor der Brüderschaft, Karl-Heinz Bierlein, Diakonenschüler über Jahre systematisch körperlich misshandelt hat. Er wurde auch wegen gefährlicher Körperverletzung rechtskräftig verurteilt – geschadet scheint es dem einstmals vielgelobten „Top-Manager“ und Pfarrer indes nicht zu haben, ist er inzwischen doch wieder Vorstandsvorsitzender, diesmal der Johannes-Seniorendienste in Bonn.

Nun macht der nächste Skandal aus Rummelsberg die Runde: Mitglieder der Leitungsebene haben – wie christlich und getreu dem Bibelwort „Wer hat, dem wird gegeben“ – erheblich in die eigene Tasche gewirtschaftet. Selbst das evangelische Sonntagsblatt Bayern kommt nicht umhin, festzustellen, dass Bierlein sich zwei Jahre, bevor er gehen musste, sich ein Beraterhonorar in Höhe von 2000 Euro monatlich zu seinem Gehalt genehmigen ließ. Diesen Beratervertrag hat ein weiterer braver Christ, ein Gefolgsmann Bierleins, Christian Tölken, mitunterschrieben.

Wen will es wundern, dass gerade dieser Christan Tölken, als er im Jahr 2006 das System Rummelsberg verließ, sich für kirchliche Verhältnisse wahrhaft fürstlich abfinden lässt. 450.00 Euro (sic!) schob sich der Kirchenman in die Tasche.

Das alles ist keine lässliche Sünde mehr, besonders, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich die Rummelsberger Führungsspitze die Taschen zum Bersten vollstopfte, während quasi zeitgleich die Rummelsberger die Zeitarbeitsfirma PAKT gründeten, die, wen wundert es, auf Ihrer Webseite wenig transparent, nicht mit ihrer Zugehörigkeit zu Rummelsberg kokettiert.

Oder etwas plastischer: Während sich die Oberen fürstlich bedienten, wurden die Arbeitnehmer via Zeitarbeitsfirma „flexibel“ gehalten.

Nun, das Image der Rummelsberger ist in der nächsten Zeit im Arsch. Und mit was? Mit Recht! Da kann der Konzern machen, was er will. Auf der eigenen Webseite wird kräftig nachtarockt. Es ist eine peinliche Vorstellung.

Eine Aussprache über den Bericht von Michael Kasperowitsch, der an diesem Tag in den Nürnberger Nachrichten zu lesen war, bildete den ersten thematischen Schwerpunkt an diesem Tag.

Solche Sätze, so harmlos sie klingen mögen, sind kennzeichnend für das System Rummelsberg. Dass hier nicht die zahllosen Verfehlungen der Rummelsberger genannt werden, aber der Name Kasperowitschs, ist eine Stillosigkeit, deren man in der Rummelsberger Kommunikation mehrere findet. Doch das Problem ist nicht dieser der Wahrheit verpflichtete Journalist der NN – das Problem ist Rummelsberg.

„Der Artikel hat wehgetan“, bekannte Vorstandsvorsitzender Dr. Wolfgang Bub. Er hätte lieber eine Überschrift gelesen, „In Rummelsberg wird erfolgreich an der Zukunft gearbeitet.“

Man möchte kotzen, aber es bleiben einem vor Schreck die Brocken im Hals stecken. Statt sich – auch in der Öffentlichkeit – reflektierend mit den eigenen, massiven Problemen auseinanderzusetzen, möchte man der Presse nun vorschreiben, was sie zu schreiben habe. Wie gesagt: Man möchte kotzen! Analog zu dieser Denke offenbaren auch Sätze wie

In der Versammlung wurde immer wieder auch von Männern und Frauen aus dem Plenum dafür plädiert, den Blick nicht nur in den Rückspiegel zu werfen, sondern auch nach vorne zu sehen.

das Rummelsberger Mindset. Denen ist nicht mehr zu helfen. Nur bleibt zu fragen, wie jemand, dem nicht mehr zu helfen ist, denn anderen Hilfe angedeihen lassen will (oder welche Qualität diese Hilfe hat).

Nun ziehen erste Kirchengemeinden Konsequenzen: Der Kirchenvorstand der mittelfränkischen Gemeinde Thann hat beschlossen, erst mal nicht mehr für die Diakonie und damit auch Rummelsberg zu sammeln. Ich ziehe meinen Hut vor diesen Aufrechten! Zwar argumentiert nun die Diakonie, dass nur ein kleiner Teil der eingeworbenen Spenden an die Rummelsberger geht und der Spendenboykott damit auch „unschuldige“ diakonische Einrichtungen in Bayern träfe – aber diese Argumentation scheint vor dem Hintergrund, dass sich jeder Spender den Empfänger selbst wählen kann – auch einzelne Institutionen und Organisationen, etwas hölzern. Hier mag sich vielleicht auch die Angst vor sinkenden Spenden verbergen. Zu danken hätte es die Diakonie wem? Den Rummelsbergern!

Ich gebe zu: Die Überschrift dieses Posts ist sehr provokativ. Mir fiele es im Traum nicht ein, aus der Kirche auszutreten, nur weil in Rummelsberg nichts mehr richtig zu funktionieren scheint. Rummelsberg ist weder groß genug noch bedeutend genug, dass sich deren (allerdings massives und gehäuftes) Fehlverhalten einen Kirchenaustritt rechtfertigen würde. Es gibt zudem in der Landeskirche gute Leute und Institutionen, die es rechtfertigen, in der Kirche aktiv zu bleiben. Ich kann aber jenen verstehen, der diesen Schritt geht, weil er nicht bereit ist, das System Rummelsberg mit seiner Kirchensteuer mitzufinanzieren.

Der Spendenboykott indes scheint mir eine gute Sache zu sein. Die Diakonie wird erst begreifen, dass es sinnvoll ist, sich von Rummelsberg zu trennen, wenn es weh tut. Zudem: In Rummelsberg hat man schon wieder ein dickes Minus eingefahren (und das nicht erst seit gestern und seit diesem Jahr). Wenn ein Minus vor der Bilanz steht und sich einzelne Vorstände dicke Prämien ausbezahlen, dann ahnt man schon, dass hier höchste Gefahr ist, dass die Spendengelder versickern.

Update: Und – Rette sich, wer kann! – schwups, schon ist auch der Bub weg. Bwahahahaha!!

In einer persönlichen Erklärung begründete Bub dies damit, dass „gerade in den letzten Wochen einiges geschehen ist, was für mich jenseits der Grenze des Zumutbaren lag. Das betrifft unter anderem manches, was in der Presse zu lesen war, manche Äußerungen von einzelnen Brüdern und ein unterschiedliches Verständnis von Leitung zwischen Teilen der Brüderschaft und mir.

Ach, nee. Bedaure. Da sagt/schreibt jemand was, was nicht passt – und zack und wech? Na ja, Rummelsberg eben. Bwahahahaha!!