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Nürnberg: Kultureller Kahlschlag?

Die diesem Post vorangestelle Frage lautet: Droht Nürnberg der kulturelle Kahlschlag? Diese Frage kann ich als Außenstehender natürlich nicht vollständig beantworten, ich will eher versuchen, mich auf eine (zwangsläufig lückenhafte) Spurensuche zu begeben.

Die Nürnberger Kunsthalle, aufgenommen im Juli 2022

Erst vor zwei Tagen ging es durch die Presse: Nürnberg hat die höchste Pro-Kopf -Verschuldung aller bayerischen Städte. Mit 1,6 Milliarden Euro, das sind pro Kopf etwa 3000,- Euro, steht die Kommune in der Kreide. Ohne jeden Zweifel eine Herausforderung für den Kämmerer, der einen Sparhaushalt entwerfen muss, der nicht nur die Stadtspitze und Stadtrat zufriedenstellt, sondern auch von der mittelfränkischen Regierung in Ansbach genehmigungsfähig ist. Keine leichte Aufgabe.

Stadtkämmerer Riedel, er steht kurz vor der Pensionierung, muss sich dieser schweren Aufgabe stellen. Wegen ebenjenem baldigen Ausscheiden aus dem Dienst an der Stadt Nürnberg kann er aber auch, ohne fürchten zu müssen, den eigenen Ruf zu beschädigen, unpopuläre Entscheidungen treffen (bzw. Vorschläge unterbreiten) und so ein unpopulärer Vorschlag (beziehungsweise ein ganzes Vorschlagsbündel) erreichte in der vergangenen Woche die Nürnberger Öffentlichkeit: Einsparungen sollen durch Schließung der Kunsthalle und der Kunstvilla erzielt werden, die Blaue Nacht, das Bardentreffen und das Klassik-Open-Air im Luitpolthain sollen zukünftig nur noch alle zwei Jahre (anstatt wie bisher jährlich) stattfinden, man diskutiert auch darüber, das nicht minder beliebte „Silvestival“ ganz einzustellen. Wie viel Geld sich durch diese Maßnahmen tatsächlich einsparen lässt, scheint strittig zu sein. Berichteten die Nürnberger Nachrichten vor einer Woche noch von einem Betrag von 15 Millionen Euro, sollen laut aktuellen Informationen der Süddeutschen Zeitung bis 2026 6,5 Millionen eingespart werden.

Werfen wir einen Blick zurück: Als die CSU und Ludwig Scholz 1996 überraschend die Stadtratswahlen gewannen, brauchte es nicht lange, bis Scholz insbesondere im soziokulturellen Bereich massive Einsparungen durchsetzte und damit vielen Künstlerinnen und Künstlern den Boden unter den Füßen wegriss. Nicht nur das KOMM, sondern auch zahllose kleine, seit teilweise zwei Jahrzehnten erfolgreiche Initiativen wurden dadurch zerstört oder nachhaltig geschwächt. Nürnberg hat unter der CSU und besonders unter Ludwig Scholz stark gelitten, die Schneisen der Zerstörung, die seine verheerende Kulturpolitik, die als gescheitert betrachtet werden darf, in die Kultur- und Kreativszene der Stadt geschlagen hat, sind bis heute nicht geheilt, nicht repariert. Wirklich in relevanten Größenordnungen Geld konnte so natürlich nicht eingespart werden – die „Einsparungen“ waren weiland selbstredend alle politisch motiviert. Und sie blieben natürlich nicht ohne Folgen. Viele Künstler verließen die Stadt, wer sich heute in Nürnberg künstlerisch betätigt, leidet nicht nur unter einer deutlich ausgedünnten Infrastruktur, sondern auch darunter, dass sich hier die Kunstszene in ihrer Gesamtheit eher übersichtlich ausnimmt. Und so ist es natürlich kein Wunder, dass Nürnberg mit seiner Bewerbung zur „Kulturhauptstadt Europas 2025“ krachend gescheitert ist. Die Grundlage dieses Scheiterns wurde nach meinem Verständnis in den späten Neunzigern von der CSU und der rigorosen Un-Kulturpolitik Scholz „geschaffen“, denn wer eine freie Kulturszene mit seiner rechtskonservativen Ideologie unter dem Deckmäntelchen vermeintlich nötiger Einsparungen kaputtschlägt oder durch ausbleibende Zuschüsse an den Rand der Handlungsfähigkeit drängt, braucht sich nicht wundern, dass sich die Stadt zwanzig Jahre später (sozio-)kulturell nicht regenerieren konnte und schlicht keine organisch gewachsenen Kulturprojekte zu bieten hat, die den Titel einer Kulturhauptstadt zu rechtfertigen in der Lage wären. Nürnberg hat sich leider bis heute – nicht nur in Belangen der Kultur – von Scholz nicht vollständig erholen können.

Man möchte ja meinen, dass man in der zweitgrößten Stadt Bayerns aus den Fehlern der jüngsten Vergangenheit gelernt habe. Das ist, wie der neue Kultur-Kahlschlag-Katalog zeigt, mitnichten der Fall. Die Sache hat aber eine neue Qualität: Während der Scholz-Kahlschlag weiland in den etablierten Medien der Stadt nur einen lauen Widerhall fand, ist heute das Heulen und Zähneklappern groß und laut – schlicht, weil es arrivierte Institutionen und Projekte trifft.

Auf zweierlei möchte ich eingehen: Zuerst ist da mal die avisierte Schließung der Kunsthalle und der Kunstvilla zu diskutieren. Beide Häuser haben nicht nur ihre in ihrer Konzeption liegende Existenzberechtigung – nein, sie sind für Nürnbergs Museumslandschaft absolut unverzichtbar. Ja, wir haben mit dem Neuen Museum ein hervorragendes Haus, in dem kontemporäre Arbeiten internationaler Künstler gezeigt werden. Als Museum mit reinen Wechselausstellungen von Künstlern internationalen Formats mit dem „heimlichen“ Schwerpunkt der Moderne der 1960er und 1970er Jahre ist die Kunsthalle aber ein ungemein spannendes Museum, dass die Ausstellungen nicht nur äußerst aufwändig und stimmig präsentiert, sondern sie mit allgemeinverständlichen Informationen anreichert und hervorragende Begleitmaterialien anbietet. Und in dieser Form ist sie wohl im süddeutschen Raum einzigartig.

Kunstvilla

Die Nürnberger Kunstvilla, Juli 2022

Von allerdings noch entscheidenderer Bedeutung für die Stadt ist die Kunstvilla, hat man sich dort doch zur Aufgabe gemacht, in der Region entstandene Kunst zu erforschen, zu sammeln und auszustellen. Die Ausstellungen der Kunstvilla waren nach meinem Erleben immer didaktisch hervorragend aufbereitet, zudem bietet die bezaubernde alte Kaufmannsvilla dafür einen hervorragenden Rahmen. Beide Häuser wegzusparen ist schlicht nicht vorstellbar und, mit Verlaub, ein Frevel!

Zum Zweiten: Die Veranstaltungen Bardentreffen und auch, auch wenn nicht explizit erwähnt, Stars im Luitpolthain, sind ebenfalls unverzichtbar, weil sie nicht nur ein niederschwelliges und kostenloses Kulturangebot für die breite Bevölkerung darstellen. Viel mehr noch ist gerade das Bardentreffen ein echtes Mitmachfestival, das durch die vielen nicht geplanten, spontanen Auftritte zahlreicher Musiker seinen ganz eigenen Charme entwickelt. Denn neben dem Festivalprogramm, das streckenweise recht hochkarätig besetzt war, kann sich dort jeder Musiker ohne Anmeldung, Vorleistung… vor Publikum ausprobieren. Und auch wenn die Line-Ups der letzten beiden Stars im Luitpolthain-Veranstaltungen durchaus gewisse Redundanzen mit sich brachten: So ein Festival mit seiner beflügelnden Atmosphäre könnte so nicht nur im vergleichsweise kleinen Nürnberg sondern auch in New York oder London stattfinden. Festivals oder Veranstaltungen von dieser Güte, Strahlkraft und im Falle des Bardentreffens auch Tradition zukünftig auszudünnen, wäre ein schwerer Fehler, ein Rückschritt, eine kaum wieder auswetzbare Scharte. Was diese Veranstaltungen letztlich so besonders, so zugänglich und so niederschwellig macht, ist der freie Eintritt. Jeder, der interessiert ist, darf kommen.

Wir haben in den vergangenen Tagen viele (teilweise sehr gute) Argumente für eine Beibehaltung der kulturellen Angebote gehört. Diese reichen von „wir haben schon auf den Neubau des Konzertsaals verzichten müssen“ bis hin zu einer „Kulturdividende“, weil gerade die Veranstaltungen natürlich auch ein zahlungskräftiges Kulturpublikum in die Stadt ziehen. Eines geht aber in der ganzen Debatte leider unter: Wir werden uns in Zukunft einige Großprojekte leisten, deren Notwendigkeit schlicht nicht gegeben ist. Zu nennen wäre hier die völlig überflüssige, undichte und aus Gründen des Tierschutzes äußerst fragwürdige Delfinlagune, die nun eine neue Überdachung braucht, für sich genommen aber als unsanierbar gilt. Und dann der völlig aus der Zeit gefallene kreuzungsfreie Ausbau des Frankenschnellwegs. Würde man auf dieses Unsinnsprojekt verzichten, etliche Finanzprobleme der Zukunft wären bereits heute gelöst.

Unsinnig erscheinen die geplanten Streichungen im Kulturbereich gerade vor dem Hintergrund, dass Häuser und Veranstaltungen ja über Personal verfügen, das man nicht einfach so entlassen kann, das weiterbeschäftigt werden will und muss. Nun treffen die Einsparungspläne freilich nicht die Kultur allein, stattliche 500 Stellen sollen bei der Stadt Nürnberg „sozialverträglich“ gestrichen werden – aber hier offenbart sich doch, dass die Planungen des Kämmerers an dieser Stelle reichlich kurz greifen.

Die Konsequenzen der Streichungen sollte man genau bedenken: Die Dürer-Stadt verlöre deutlich an kulturellem Profil und würde auch touristische Attraktivität einbüßen. Was mit der nach Schließung dann leerstehenden Kunsthalle geschehen soll, ist ebenfalls offen. Der Leerstand einer solch speziellen Immobilie ist kaum dazu geeignet, dauerhaft wirklich Geld zu sparen, eine Umwidmung ist nur schwer vorstellbar und angesichts der Tatsache, dass das Haus erst für anderthalb Jahre geschlossen wurde, um teuer und aufwändig umgebaut zu werden, auch kaum vermittelbar. Hat man beide Museen einmal verloren, so steigt der Aufwand, sie irgendwann einmal so an selbem oder anderem Ort wiederzueröffnen – Fachleute gaben in den NN zu bedenken, dass eine Wiedereröffnung dann (selbst bei vielleicht hinreichend guter Kassenlage) nahezu unvorstellbar sei.

Die Schuldenlast der Stadt Nürnberg ist erdrückend. Und eine Kommune hat viele finanzielle Verpflichtungen, während Kunst und Kultur freiwillige Leistungen sind. So liegt es freilich nahe, hier den Rotstift zuerst anzusetzen. Die Konsequenzen sollten aber nicht aus den Augen verloren werden. Eine Stadt mit wenig geförderter Kunst und mit zwei bedeutenden Museen weniger wird natürlich unattraktiver – und fehlende Attraktivität macht sich „über Bande gespielt“ in vielen anderen Feldern wieder negativ bemerkbar. Es bleibt zu hoffen, dass die Entscheider in Nürnberg aus der mit Anlauf versemmelten Kulturhauptstadt-Bewerbung lernen und die Dummheiten von Scholz nicht wiederholen. Derzeit sieht es leider nicht danach aus. Der Schaden wäre gravierend.