blog.fohrn.com

Gemeinnützige Arbeit?

Es ist Wahlkampf in NRW und hier in Bayern bekomme ich davon gottlob nicht mehr mit, als unbedingt nötig. In Wahlkampfzeiten wird gerne mal der ein oder andere Vorschlag präsentiert, der sich schon auf den ersten Blick als Unfug erweist. Der Wahlkampf-Unfug des heutigen Tages kommt ausnahmsweise nicht von Herrn Rüttgers sondern von der stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden und -Spitzenkandidatin Hannelore Kraft. Sie forderte, so ist beim Spiegel nachzulesen, dass nicht/schwer vermittelbare Hartz IV-Empfänger zu gemeinnütziger Arbeit in Altenheimen oder Sportvereinen herangezogen werden und hierfür wie folgt zu „entlohnen“ sind:

Als Lohn für die langfristige Beschäftigung in gemeinnützigen Jobs reiche ein „symbolischer Aufschlag auf die Hartz-IV-Sätze“, der ohne Mehrkosten für den Staat realisierbar sei. (Spiegel Online)

Hut ab, Frau Kraft: Ihr „Vorschlag“ ist genau so unwürdig wie das Geschwafel von Herrn Westerwelle in den letzten Wochen, aber immerhin: Es klingt nicht ganz so schlecht.

Es gibt Politiker, die wollen, dass Hartz IV-Empfänger Straßen ausbessern und welche, die wollen, dass sie in Altenheimen arbeiten. Wo ist der Unterschied? Der Unterschied liegt im Wesentlichen darin, dass es der Straße herzlich wurscht sein dürfte, ob sie von einem gelernten Straßenbauer sachgerecht instandgesetzt wird oder ob ein arbeitsloser Wirtschaftspädagoge irgendwie an Schlaglöchern herumpfuscht. Der Straße bereitet das keine Schmerzen. Im Altenheim braucht es Fachkräfte für die Pflege und auch für die soziotherapeutische Betreuung. Wenn solche Tätigkeiten von Ehrenamtlichen ausgeführt werden, dann haben die zwar nicht zwingend eine Fachausbildung, aber mindestens eine fachgerechte Anleitung und nicht allein Interesse an der Tätigkeit (und die dazugehörige Motivation) sondern auch eine Idee davon, wie sie sich im Ehrenamt am besten weiterbilden. Das gilt auch für den Sportverein. Will man nun alle Hartz IV-Empfänger zum Übungsleiterschein „zwingen“?

Ein Dienst im Sozialbereich ist nicht selten hartes Brot. Man muss das wirklich wollen und auch eine Art Berufung dazu verspüren. Und es bedarf, schließlich will man den Klienten. Betreuten und Bewohnern keinen Schaden zufügen, auch einer Fachausbildung oder mindestens einer Anleitung in Verbindung mit echter Motivation dessen, der den Dienst später versehen soll. Diese Ausbildungen sind, entgegen der landläufigen Meinung, lange und komplex. Wer das nicht glauben mag, der sehe sich einmal den Ausbildungsplan eines Altenpflegers an. Das ist nicht von Pappe. Wer im Sozialbereich Qualität möchte (und das wollen Klienten, Angehörige, Mitarbeiter aber auch Kostenträger), der muss bereit sein, in diese Qualität zu investieren.

In sozialen Bereichen ehrenamtlich Tätige genießen einen Vorzug: Sie verfügen über die Freiheit, sich nicht überlasten zu müssen, können wählen, was sie sich zumuten wollen (und was nicht) und entwickeln in der Regel nach kurzer Zeit ein sicheres Gespür, wofür sie Verantwortung tragen können (und wofür nicht). Zwangsverpflichteten Hartz IV-Empfängern wird diese Freiheit im Sozialbereich nicht zuteil, zumindest lässt der Plan Krafts nichts davon erkennen. Unterm Strich würde man sich wohl mehrheitlich Menschen in einen Bereich holen, die ihre Arbeit weder richtig versehen können noch wollen noch im geforderten Umfang Verantwortung tragen können. Es ist ganz klar: Es wird, würde diese Idee tatsächlich umgesetzt, selbstverständlich Menschen geben, denen soziale Tätigkeiten liegen und die in diesem Tun für den Nächsten Halt und Perspektive finden. Ich gehe aber auch davon aus, dass es mindestens ebensoviele Menschen geben wird, die der an sie herangetragene Dienst einfach überfordert. Und das hilft weder dem Hartz IV-Empfänger noch den alten Menschen noch dem Heim (und dann wohl auch nicht dem Staatssäckel).

Wenn man sich dann noch die für den Staat kostenneutrale „Entlohnung“ der für diesen Dienst vorgesehenen Menschen ansieht, dann ist schon klar: Das Maß ist voll. Es wundert mich indes nicht, dass eine Sozialdemokratin die Frechheit besitzt, solche Forderungen auch noch in aller Öffentlichkeit kundzutun (mit dieser SPD ist bereits seit Schröder kein Blumentopf mehr zu gewinnen).

Nun gut, von einer Sozialdemokratin soll man nicht mehr erwarten, umso schändlicher und beschämender ist dafür, dass nun auch die Diakonie (gehört zur evangelischen Kirche) fordert, einen „sozialen Arbeitsmarkt“ für Erwerbslose aufzubauen. Bei Kirchens klingt diese Forderung noch etwas netter als bei Tante Kraft und um Welten besser als bei Westerwelle. Das nutzt aber alles nix, ist doch das Mindset der Leute, die diese Forderungen erheben, im Prinzip dasselbe: Menschen ohne Rücksicht auf Verluste zur Arbeit zu zwingen (egal, ob das sinnvoll ist oder nicht).

Eigentlich, so möchte man meinen, müsste gerade die Diakonie ein Interesse an professioneller sozialer Arbeit von qualifizierten Arbeitnehmern haben. Doch weit gefehlt: Auch die Kirche, Gewinnstreben sollte ihr fremd sein, hat ein Interesse an möglichst billiger Arbeit. Die Rummelsberger Anstalten gehören beispielsweise zur Diakonie und dort war es lange Jahre Praxis, Mitarbeiter nicht fest anzustellen sondern zu Dumpinglöhnen bei der Rummelsberg-Diakonie-kircheneigenen Zeitarbeitsfirma PAKT zu beschäftigen. Die Diakonie selbst versucht immer wieder, sich in der Öffentlichkeit als eine Vorreiterin professioneller sozialer Arbeit zu präsentieren und tut als großer Arbeitgeber nichts anderes, als dieses Vorhaben zu untergraben. Durch Lohndrückerei und durch solche Forderungen, wie sie unlängst ein Herr Kottnik erhoben hat. Bravo.

Und so ist auf der Webseite der EKD zu lesen:

Der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor muss Kottnik zufolge als sozialer Arbeitsmarkt ausgebaut werden. Dann könnten auch Langzeitarbeitslose ohne Vermittlungschancen auf dem regulären Arbeitsmarkt eine Beschäftigung aufnehmen, „statt dauerhaft ausgegrenzt und alimentiert zu werden“, betonte Kottnik. Der massenhafte Einsatz von „Ein-Euro-Jobs“ führe weg von diesem Ansatz.

Merkt man in der Diakonie denn nicht, dass sich hier die Katze in den Schwanz beißt? Ganz recht, der Einsatz von sog. „1-Euro-Jobbern“ bringt weder dem sog. „1-Euro-Jobber“ noch irgendwem sonst etwas. Aber das berührt das Problem nur am Rand: Zum einen wird von Pflegenotstand, von Mangel an qualifizierten Fachkräften gesprochen, weiterhin soll die Qualität in Sozialeinrichtungen ständig steigen und zum anderen wird Pflegen und Erziehen – auch von Diakonie und Caritas – miserabel bezahlt und solche Kottnikschen Vorstöße in Richtung „Bürgerarbeit“ haben das Potenzial, aus den miesen Löhnen echte Dumpinglöhen zu machen (wovon dann keine Erzieherin und keine Pflegerin mehr leben kann). Die Folgen, das lässt sich in eiligem Staccato herunterdeklinieren: Sinkende Qualität, Burn Out, Personalfluktuation, Belastung des Staates durch kranke Mitarbeiter von Diakonie und Caritas und durch Transferleistungen zum Aufstocken der Dumpinglöhne. Und unter solchen Vorzeichen will dann auch keiner mehr Pfleger werden. Und das bei der hinlänglich bekannten demographischen Entwicklung… Mensch, liebe Leute bei der Diakonie, ihr könnt doch nicht allen Ernstes so dämlich sein und die Hand gegen Euch selbst erheben! Bei Politikern, deren Vorstellungs- und Handlungshorizont selten weiterreicht, als eine Legislaturperiode, mag ich mir das noch eingehen lassen, man ist ja nichts anderes gewohnt, aber die Kirche sollte hier doch etwas souveräner auftreten und weitsichtigere Konzepte anbieten. Und, liebe Kirchenleute, nur für den Fall, dass ihr das vergessen habt: Auch eure Mitarbeiter sind Euch anbefohlen!