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Nürnberg im O-Ton-Feature: Mit dem Mikrofon durch die Wand (1989)

Zu meinen liebstgehörten Sendungen im öffentlich-rechtlichen Hörfunk gehören Features. Jede der großen Anstalten hat einen entsprechenden Sendeplatz und so dürfen wir uns in Deutschland über eine Fülle und einen Reichtum höchstwertiger Hörbilder freuen – leider wird diese – ich sage bewusst Kunstform – oft verkannt.

Im Sommer nutzt der Bayerische Rundfunk mit seinem zweiten Programm den Sendeplatz, um Features vergangener Tage erklingen zu lassen, die sich maßgeblich aus Originaltönen speisen. Sechs Features aus sechzig Jahren Rundfunkgeschichte sind ausgewählt, drei habe ich bereits gehört, alle sind sie hörenswert, eines aber sticht durch seinen regionalen Bezug heraus: Es ist das Tonexperiment „Mit dem Mikrofon durch die Wand“ von Ralf Huwendiek.

1989 nimmt sich der Autor und Regisseur Ralf Huwendiek einen Stadtplan und zieht mit dem Lineal eine Linie von seiner Gostenhofer Wohnung zum Sinwellturm. Was diese Linie kreuzt, will er in guten 50 Minuten hörbar machen. Es klingt so einfach und ist in seiner Umsetzung doch so kompliziert, denn nicht jeder, der von der Linie „gekreuzt“ wird, will etwas sagen oder beitragen.

Huwendieks Feature ist keine Liebeserklärung, das Bild, das er malt, zeigt auch nicht durchgehend düstere Farben, es hinterlässt aber einen etwas faden Geschmack. Und es birgt einige Überraschungen:

Beispielsweise das Feature „Mit dem Mikrofon durch die Wand“ von Ralf Huwendiek. Er trifft auf seiner akustischen Wanderung durch seine Lieblingsstadt Nürnberg auf einen alten SS-Soldaten. Huwendieck begegnet dieser Nazi-Propaganda sehr geschickt, indem er sie anders behandelt als alle anderen O-Töne. Mehr möchte ich nicht verraten… (Quelle: BR)

Für jeden Nürnberger (aber nicht nur für Nürnberger) ein hörenswertes Stück Radio-, Zeit- und Lokalgeschichte. Wie war Nürnberg 1989 – und wie nah ist dieses damalige Nürnberg teilweise heute noch?

Gut, dass es das BR-Feature als Podcast gibt. So lässt es sich noch eine Weile nachhören, bis es (wann auch immer) mal depubliziert wird.

Hier gehts zur Audiodatei „Mit dem Mikrofon durch die Wand“.

Radiotipp: Im Gadget-Rausch.

Heute um 19.30 Uhr läuft im Rahmen der Sendereihe „Zeitreisen“ auf Deutschlandradio Kultur (DRadio) ein Feature des Autors Moritz Metz mit dem Titel „Im Gadget-Rausch“.

Verspricht interessant zu werden – hier ist der Ankündigungstext.

In Nürnberg hört man DRadio über Antenne auf UKW 105,6 MHz, via DAB und auch im Kabel von NEFtv und KDG.

Oury Jalloh, verbrannt am 7. Januar 2005

Heute jährt sich der Todestag des aus Sierra Leone stammenden Asylbewerbers Oury Jalloh, der in einer Dessauer Polizeizelle unter mysteriösen und bis heute nicht geklärten Umständen verbrannte – obwohl er gefesselt war (!) – zum sechsten Mal.

Nachdem im Prozess um den Tod Oury Jallohs (manche sprechen von Mord, was rein von der Argumentation her und der Faktenlage nicht ganz von der Hand zu weisen scheint) zwei Polizisten, die verdächtigt wurden, am Geschehen beteiligt gewesen zu sein, vom Landgericht Dessau freigesprochen wurden, hat der BGH (sic!) dieses Urteil postwendend kassiert. Es muss neu verhandelt werden; das beste, was einem Rechtsstaat passieren kann.

Es ist ein Glücksfall für den Rechtsstaat, dass der Fall neu aufgerollt werden muss.

Im Web habe ich einen Mitschnitt der Hördukumentation „Verbrannt in Polizeizelle Nr. 5„, produziert vom NDR Ende des vergangenen Jahres, gefunden. Ich kann wirklich jedem empfehlen, sich diese Dokumentation anzuhören.

Sie rüttelt auf, beklommen nur kann man ihr folgen und wird gewahr, wie Polizeigewalt im Nachhinein vertuscht wird, wie sich mögliche Täter zu Opfern stilisieren lassen.

Diese gut 50 Minuten sind nach meinem Dafürhalten eine der wenigen Sternstunden des deutschen Tonrundfunks im vergangenen Jahr. Die Sendung ist nicht nur informativ sondern auch eine angemessene Möglichkeit, Oury Jallohs zu gedenken.

Link zum Mitschnitt. (Mirror)