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Wird jetzt der Bologna-Prozess abgesägt?

Als ich gestern auf mdr-Info die Meldung hörte, dass nun einige Technische Universitäten sehr ernsthaft und konkret mit dem Gedanken spielen würden, die Diplomstudiengänge wieder einzuführen, staunte ich nicht schlecht. Beenden jetzt auf diese Weise einzelne Hochschulrektoren den Bologna-Prozess?

Marcus staunte ebenfalls nicht schlecht und sendete mir heute früh diesen Link zur Webseite des ZDF.

Was kann das bedeuten?

Unter den Studierenden sind die Bachelor-Abschlüsse landläufig unbeliebt. Auf dem Arbeitsmarkt ist der Bachelor im Vergleich zum Diplom weniger wert, das sich auf sechs Semester Regelstudienzeit verteilende Arbeitspensum aber recht hoch. Wer mit den Diplomanden mithalten möchte, sieht sich gezwungen, einen Masterstudiengang zu belegen (und der geht nicht selten ins Geld).

Man kann sich vorstellen, was passiert: Die Unis, die in Zukunft einen Diplomstudiengang anbieten, werden – mit Recht – überrant, schließlich will jeder den hochwertigsten möglichen Abschluss. Andere Unis sind dann gezwungen, nachzuziehen, es sei denn, sie wollen Studierendenzahlen reduzieren.

Damit scheint es schon absehbar, dass der Vorstoß der Uni Dresden, wieder einen Diplomstudiengang im Fach Ingenieurwesen anzubieten in Zukunft auch bei anderen Unis und (Fach)Hochschulen Dämme brechen lassen wird.

Ich begrüße diese Entwicklung grundsätzlich. Die Einteilung in Bachelor und Master etabliert ein Zweiklassenstudiensystem, den Master kann sich bei weitem nicht jeder leisten, der den Bachelor finanziell gerade noch gestemmt bekam. Wegen der Reduzierung um zwei Semester, mit der nicht zwingend eine Reduzierung der Vorlesungen oder Seminare einherging, ist die Arbeitslast zudem nicht selten extrem hoch – verschulte Studiengänge entstehen, um das „Pensum“ überhaupt bewältigen zu können.

Ärgern dürften sich jetzt die ersten Bachelor-Abgänger, denn die werden nicht in den Genuss des anerkannteren Abschlusses kommen. Und so kennt nun die Reform der Reform wieder einmal Verlierer. Denn hier ist beileibe noch nicht gesagt, dass die jetzigen BAs ihren Abschluss als Diplom anerkannt bekommen.

Auch für andere Fachrichtungen ist diese „Quasi-Rücknahme“ des Bachelor vorstellbar. Hochschulen konkurrieren untereinander und wenn eine „schwächere“ Hochschule mit einem attraktiveren Abschluss lockt, stehen schnell andere mit gleichen Fakultäten unter Zugzwang.

Natürlich ist das alles Zukunftsmusik – aber sollte sich dieser Trend „verhärten“ – es wäre nicht das Schlechteste für die Studierenden.

Studentenproteste? Bildungsstreik?

Vorweg: Das Ding mit dem Bologna-Prozess ist ja mächtig in die Hose gegangen! Ich habe noch mein Diplom – ich werde kein Master und ich will Dr. werden und nicht PhD! Denn das Elend mit der ursprünglich angedachten konsekutiven Studiengängen ist: Im Grunde wird ein vollwertiges Studium so weit eingedampft, dass im besten Falle ein Wissensskelett übrig bleibt, wirklich „Fleisch“ haftet der Sache nicht mehr an. Wer auf den Bachelor noch den Master sattelt, hat auch nicht Gewissheit, dass sich hier etwas bessert. Oder etwas radikaler: Das Humboldtsche Bildungsideal ist hier in den Arsch gegangen und kommt da wohl auch nicht so schnell wieder raus.

Was ist passiert, dass ich mich so überdeutlich äußere? Ich will ein Erlebnis voranstellen: Im letzten Jahr habe ich, in Weiterentwicklung einer hochschuldidaktischen Methode, eine Zeit mit Studierenden verbracht im Bachelor-Studiengang Sozialarbeit und ein Soziologie-Seminar mitgestaltet. Die Studieenden waren im sechsten Semester. Frohen Mutes legte ich los und blickte nach einem kurzen tagespolitischen Input, also zu einem Zeitpunkt, als es anfing (sic!), sich überhaupt um soziologische Grundbegriffe zu drehen, in immer verständnislosere Gesichter. Irgendwann kam mir die Sache komisch vor, hatte ich doch bereits zum Thema Armut mit einem ND-Artikel polarisiert bzw. provoziert und anderes unternommen, um in eine Plenumsdiskussion zu kommen. Ich fragte nach dem Problem, die Antwort war erschütternd: Die angehenden Sozialarbeiter hatten keine (!) einzige (!!) Soziologievorlesung genossen, die Veranstaltung „Armut in Deutschland“ war ersatzlos gestrichen und auch die politikwissenschaftliche Grundlagenvorlesung ging beim Umstellungsprozess auf „Bologna“ vollends über die Wupper. Da könnt Ihr Euch nicht nur vorstellen, wie dumm ich geschaut habe, sondern auch, wie sehr ich ins Schwimmen kam. Und nicht nur ich – das wäre je verkraftbar – sondern insbesondere die Studenten.

Hier offenbart sich die Löchrigkeit des ganzen Systems: Inzwischen dürften Sozialarbeiter ihre Stellen angetreten sein, die keine Grundlagen in Soziologie, Politologie, Armutsforschung etc. mitbekommen haben, aber einen Text über kommunalpolitische Strukturen zu lesen bekamen. Tolle Wurst.

Nach etlichen Gesprächen mit Lehrenden muss ich feststellen, dass sich bis heute daran nur marginal etwas änderte. Dabei steht, gemäß Interview im ND von heute mit dem GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller, zum einen nirgendwo, dass eine Verkürzung der Bachelor-Studiengänge sein muss und zum anderen der Bologna-Prozess für die GEW nicht zu Debatte.

Im Prinzip hat Kollege Keller ganz Recht: Es ist niemand gezwungen, Bachelor-Studiengänge auf zwei Semester zu kürzen – aber die Realität fordert dies ein – wissen wir doch, dass der Bachelor von der Wertigkeit auf dem Arbeitsmarkt deutlich unter dem Diplom liegt, der Master etwas darüber. Ich spreche berufsbedingt täglich mehrmals mit Personalern – und wenn das Gespräch bei Recruitern auf Diplom bzw. Bachelor kommt, geben die meisten unumwunden zu, den Diplomierten den Vorzug zu geben – aufgrund der besseren Ausbildung. Und manch einer gibt leise und verschämt zu, dass es ja im Prinzip die Industrie war, die von den (Fach)Hochschulen für die Praxis besser und schneller qualifizierte Abgänger haben wollte und die jetzt irgendwie doch nicht mehr will. Schöne Scheiße!

Da schwillt den Studenten natürlich der Kamm, denn sie haben inzwischen auf ganzer Linie verloren: Sie zahlen Studiengebühren, erhalten aber keine Verbesserung der Lehre. Der Leistungsdruck steigt, sie sind aber schlechter ausgebildet (die eigene Entwicklung, Herausbildung persönlicher Schwerpunkte, eigenverantwortliche Studien- und Karriereplanung tritt in den Hintergrund, das kommt zu guten Teilen eher einer Ausbildung denn einem Studium nahe, mit dem Unterschied, dass diese „Ausbildung“ mit eingedampften Praxiszeiten zurechtkommen muss). Und das um Willen einer immer noch recht zweifelhaften europäischen Vergleichbarkeit der Abschlüsse? Hier mag mancher (mit Recht!) argumentieren, dass eine Vergleichbarkeit der Abschlüsse in Europa ja schon zu Zeiten des Lissabon-Abkommens möglich war und die nun hinzunehmenden Verschlechterungen kein Preis für eine „bessere Vergleichbarkeit“ sind.

Und dann der Scheiß mit den ECTS! Ich bin doch nicht Super-Mario, der seine Grabschepfoten langmachen muss, um irgendwelche Punkte einzusacken! Welches Bild vom Studium haben denn bitte die, die sich diesen Blödsinn ausgedacht haben! Mit Scheinen, mit Arbeiten Wissen nachweisen und dieses anständig belegen können? Bei den ECTS geht es, wie bei Super-Mario nicht um echte Leistungsnachweise. Das Spiel beginnt mit Studienbeginn, es gilt, in möglichst kurzer Zeit, möglichst viele ECTS einzuklauben und das nächste Level, das Master-Level mit 240 Goldringen ECTS zu erreichen. Das Spiel ist dann nach weiteren 90 bis 100 ECTS zu Ende, es sei denn, man geht mit vielen Dollars, Pilzen, Krönchen und Beam Power in die PhD-Bonusrunde. Man hätte den Leuten in der KMK und den anderen, die uns diese Bologna-Spaghetti á la Mario & Luigi eingebrockt haben, einfach früher das NES wegnehmen sollen (nicht auszudenken, was aus unseren Studiengängen geworden wäre, wenn die Killerspiele gezockt hätten {zyn-mode off}).

Mich wundern die derzeitigen Studentenproteste nicht, was können die Studis schon verlieren?

Erhalten die Studierenden nun aber Rückhalt aus der Politik? Ich meine: Nein. Wir haben es 1997 und 2005 bereits gesehen: Wann immer sich ein Studentenprotest formiert, pflichten die Politiker den Forderungen der Studis bei und stecken dann bis auf Weiteres den Kopf in den Sand. Die Angst, klare Positionen zu beziehen und dadurch Gefahr zu laufen, von den Studierenden durchaus öffentlichkeitswirksam den Kopf gewaschen zu bekommen scheint hier gerade im Kontext von ´68 zu tief zu sitzen.

Auf die Politik ist kein Verlass: Der Bildungsstreik muss weh tun – nur wem schadet er wirklich? Die Hochschulrektoren, Dekane und Präsidenten können den Streik in aller Ruhe aussitzen, es ist ja nicht ihr Semester, dass da über den Jordan geht. Ein Studiengebühren-Zahlungsboykott wäre da viel effektiver: Wenn eine Uni 90% der Erstsemester wegen Nichtzahlung und damit nicht erfolgter Rückmeldung exmatrikulieren müsste, würden die sich die Damen und Herren in Lehre und Verwaltung schon bewegen. Diesen Mumm allerdings bringen dann selbst die mutigen Studenten nicht auf. Und so steht der Mannifestation von Bologna und all seiner Nachteile auch nichts Wesentliches im Weg (Schwarz-Gelb im Übrigen überhaupt nicht).