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Ingrid Schmidt schlägt über die Stränge

Man stelle sich vor: Jemand klaut mir eine Semmel vom Frühstückstisch. Und weil eine trockene Semmel weder besonders schmeckt noch besonders satt macht, klaut er auch noch zwei Gramm Butter und eine Scheibe Wurst. Von meinem Frühstückstisch! Skandal!

Was werde ich tun? Natürlich rufe ich die Polizei, denn dieser Diebstahl muss geahndet werden. Die Polizei allein genügt aber nicht – das GSG9 muss ausrücken, Hubschraubereinsatz ist gefragt. Straßen und die Landesgrenzen werden gesperrt. Der Semmeldieb ist zu fassen – besser wäre es, ihn auf der Flucht zu erschießen.

Das ist – wer das nicht bemerkte, hat kein Hirn – maßlos übertrieben. Würde man mir eine Semmel stehlen, eine Frikadelle oder sechs Maultaschen (sowas würde man mir nicht stehlen, weil ich sowas nicht esse, aber sei´s drum) und ich würde den Diebstahl anzeigen, würde ich mich – mit Recht – zum Gespött machen.

Wenn man mir einige Millionen oder gar Milliarden vom Konto entwenden würde (sowas würde man mir nicht stehlen, weil ich weder Millionen noch Milliarden besitze, ich behaupte, dass ich ein ehrlicher Mensch bin), würde ermittelt werden und der Täter, sodenn er gefasst würde, würde ordentlich verknackt. Das ist weder peinlich noch unangemessen. Das ist richtig so. Und in der Regel würde das auch funktionieren.

Nun blicken wir im Jahre der Wirtschaftskrise – 2009 – einmal in die Arbeitswelt:

Ein Mitarbeiter klaut. Silberne Löffel? Nein. Es werden Maultaschen „geklaut“, die sowieso weggeworfen werden. Es werden Frikadellen verspeist. Oder Pfandbons werden gemopst – mit einem Gegenwert von Centbeträgen.

Es werden andererseits ganze Banken in den Ruin getrieben, Gelder, die der betrieblichen Altersvorsorge hätten dienen sollen, verspekuliert. Fehlentscheidungen im Management kosten Arbeitsplätze. Nicht einige, nicht hunderte sondern tausende und Abertausende. Auch das haben „Diebe“ zu verantworten. Sie werden oft „verurteilt“ – ihre Strafe sind Abfindungen, nicht selten in Millionenhöhe.

Wer die Presse der letzten Monate verfolgt hat, weiß wovon ich rede: Arbeitgeber entlassen Mitarbeiter fristlos wegen angeblicher Diebstähle. Diebstähle, bei denen ein klar denkender Mensch im Allgemeinen bezweifelt, ob es sich überhaupt um Diebstähle handelt. Hier werden nicht en groß Briefmarkenblöcke oder päckchenweise Kopierpapier entwendet – hier werden Lebensmittel verspeist, die sonst weggeworfen würden, Pfandbons werden verwahrt und Diebstahl wird unterstellt. In all diesen Fällen wurden die Arbeitnehmer fristlos entlassen und wehrten sich vor Gericht. Und diese Arbeitgeber führten dann nicht selten den „Verlust des Vertrauensverhältnisses“ ins juristische Feld.

Im DwD-Blog bringt man es mit einem Satz auf den Punkt:

Wenn Manager großer Banken Milliarden in Luft auflösen, bekommen sie eine dicke Abfindung. Nimmt sich ein alt gedienter Arbeitnehmer eine Frikadelle vom Buffet, so ist das Diebstahl und er bekommt die Entlassung.

Dieser Satz spiegelt zum einen das Problem der deutschen Gesetzeslage und der Rechtsprechung wieder und zum anderen stellt es eine einfache Gerechtigkeitsfrage.

Für die Rechtsprechung ist unter anderem Frau Ingrid Schmidt, die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, verantwortlich (eine Notiz am Rande: 1994 wurde sie von der SPD ins Bundesarbeitsgericht lanciert). Kurz vor Weihnachten will nun die SPD auf sich aufmerksam machen: Ein Gesetzentwurf über „Bagatelldiebstäle“ soll ins Kabinett eingebracht werden, der zukünftig regeln will, dass Arbeitnehmer bei Bagatelldiebstälen zuerst abgemahnt werden müssen, bevor im Wiederholungsfall die Kündigung ausgesprochen werden darf (btw: Der Gesetzentwurf hat mehrere Fehler: Der erste ist, dass die SPD nichts zu melden hat. Der zweite ist, dass die Rechtslibertären FDP da mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mittun wird und dass das mit der Bagatelle förmlich nach eine hieb- und stichfesten Definition schreit). Was hat das mit Frau Schmidt zu tun? Sie äußert sich heute in der Süddeutschen Zeitung im Interview. Auf eine, wie ich finde, feige wie unangemesse Weise.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse bezeichnete die Rechtsprechung deutscher Arbeitsgerichte als „barbarisch und asozial“, damit wurde Schmidt im Interview konfrontiert. Ihre Antwort schlägt dem Fass den Boden aus:

Diese Kritik war völlig daneben. Seit Jahrzehnten sagt die Rechtsprechung: Diebstahl und Unterschlagung auch geringwertiger Sachen sind ein Kündigungsgrund. Es gibt in dem Sinne also keine Bagatellen. Jeder frage sich mal, wie viel er sich denn aus der eigenen Tasche nehmen lassen würde, bevor er reagiert. (Schmidt in der Südeutschen Zeitung)

Gut, Frau Schmidt, was passiert, wenn mir jemand eine Semmel, eine Frikadelle oder eine Handvoll Maultaschen klaut, habe ich zu Beginn dieses Posts ausführlich dargestellt. Dieses Argument zieht wohl nicht so richtig. Leider verloren. Auch ein souveräner Umgang mit Kritik sieht anders aus, aber lassen wir es mal dabei bewenden.

Viel schlimmer und schwerwiegender ist aber, dass die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (sic!) sich zentralen Fragen zu Rechtsprechung und im Besonderen zu Gerechtigkeit durch ein durchsichtiges wie billiges Ausweichmanöver zu entziehen versucht. Die Süddeutsche fragt:

Und wie steht es mit Artikel eins des Grundgesetzes: Wird nicht die Würde des Menschen verletzt, wenn wegen – sagen wir – 2,39 Euro seine Lebensleistung nichts mehr gilt?

Chapeau! Und was sagt Frau Schmidt?

Meine Frage ist eine andere: Wie kommt man eigentlich dazu, ungefragt Maultaschen mitzunehmen?

Ich glaub´, ich muss gleich kotzen. Danke, Frau Schmidt, das wars dann auch mit Ihrer Reputation. Frau Schmidt entblödet sich nicht, in der ֖ffentlichkeit Verständnis für Entlassungen wegen Bagatellen zu zeigen. Das ist schlimm. Wirklich schlimm. Viel schlimmer finde ich aber, dass man der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (sic!!!) offensichtlich noch erklären muss, dass es hier weder um Pfandbons, Semmeln, Maultaschen oder ähnliches geht, sondern um den Versuch der sog. Arbeitgeber, treue, altgediente Arbeitnehmer hinauszuschmeißen – und zwar nicht, weil sie mal was geklaut hätten, was für den Ascheimer bestimmt war (welch tiefe Schuld!) sondern weil sie sie loswerden wollen – ohne Abfindungen zahlen zu müssen, Fristen wahren zu müssen etc. Und das wirklich Schlimmste ist, dass sich Frau Ingrid Schmidt willfährig vor den Karren der Arbeitgeber spannen lässt. Und sowas ist Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts – unfassbar!

Diese neue Mache der sog. Arbeitgeber ist durchsichtig. Wenn sich die FDP mit ihren Vorhaben, Arbeitnehmerrechte und den Kündigungsschutz abzuschaffen durchsetzt, bedarf es keiner zu Diebstählen hochstilisierten Bagatellen mehr, um Arbeitnehmer nach Lust und Laune auf die Straße zu setzen.

Ein Blick in die Blogs: Es ist kein Wunder, dass sich noch andere auf diese Scheinargumente einlassen. Und andere wiederum Partei für die Arbeitnehmer ergreifen. Oder die aus Entsetzen einfach nur losschlagen. Eine andere Sicht der Dinde, nämlich die auf den Gesetzentwurf der SPD findet man bei Spreeblick. Undo Vetter vom lawblog kann sich mit dem SPD-Gesetzentwurf ebenfalls nicht so richtig anfreunden. Unzufrieden mit der Gerichtsbarkeit ist man hier.